# taz.de -- Waldzustandsbericht 2022: Fichte schlägt keine Wurzeln mehr | |
> Dürre, Hitze und Landwirtschaft: Das Waldsterben in Deutschland schreitet | |
> immer mehr voran. Vier von fünf Bäumen sind erkrankt. | |
Bild: Aufforsten gegen den Klimawandel? Junge Nadelbäume im Arnsberger Wald be… | |
BERLIN taz | Die Spitze abgeknickt, kein Grün an den Ästen, alles | |
abgestorben: So steht eine Fichte neben der anderen an den Berghängen | |
vielerorts im Harz. Die Fichte – bei der Holzwirtschaft beliebt, weil sie | |
eigentlich schnell und gerade wächst und Bauholz liefert – leidet unter | |
Dürre, Hitze und dem Borkenkäfer. Für ihn sind die geschwächten Bäume ein | |
gutes Fressen. Waldbrände und Stürme erledigen ihr Übriges. Nicht nur im | |
[1][Harz]. | |
„Die Fichte wird es in tieferen Lagen unterhalb von 700 Metern nicht | |
schaffen, sie stirbt großflächig“, sagt Nicole Wellbrock, Expertin für | |
Waldökosysteme am Thünen-Institut im Brandenburgischen Eberswalde. Sie hat | |
die Erhebungen zum neuen [2][Waldzustandsbericht] koordiniert, den der | |
grüne Bundesagrarminister Cem Özdemir am Dienstag vorgestellt hat. Es ist | |
eine Art Bauminventur. „Der Wald ist ein Patient, der unsere Hilfe | |
braucht“, resümierte Özdemir. | |
Forstwirte müssen sich Sorgen machen, alle anderen auch. Und zwar nicht | |
nur, weil den Deutschen ein romantischer Hang zum Wald nachgesagt wird. Der | |
Wald soll Holz liefern für Möbel und anderes, Tieren und Pflanzen ein | |
Zuhause geben, die Luft kühlen, Trinkwasser einlagern, Jagdrevier und ein | |
Ort der Erholung sein. | |
Und: Er ist fest eingeplant als Klimaschützer. Denn Holz bindet | |
Kohlenstoff, wenn es wächst. Doch die Natur macht in einer Art schlapp, die | |
selbst die Experten überrascht. Die Fichte stammt ursprünglich aus kühlen | |
Gebieten oder Höhenlagen. Dass für sie der Klimawandel reiner Stress ist, | |
verwundert Wellbrock nicht mehr. Doch die Picea Abies – so der lateinische | |
Name – stirbt nicht allein. Plötzlich trifft es auch eine Baumart, von der | |
es heißt, sie komme eigentlich mit den widrigsten Bedingungen zurecht: die | |
Kiefer. | |
Sie, die Pinus sylvestris, gedeiht auf trockenen Sandböden, auf Felsen, an | |
den Rändern von Mooren, trotzte der Erderhitzung lange. Mittlerweile wird | |
es ihr aber doch zu heiß. Sie stirbt noch nicht in dem Maße wie die Fichte, | |
die derzeit die höchste Mortalitätsrate aufweist. Sie schwächelt auch nicht | |
so stark wie die Buche oder die Eiche. „Der Kiefer geht es aber so schlecht | |
wie nie zuvor“, sagt Wellbrock. | |
Regionale Unterschiede | |
Die Diagnose im Einzelnen: Der Wald bedeckt ein Drittel der Fläche in | |
Deutschland, vier von fünf Bäumen, die dort wachsen, sind krank. Nur noch | |
21 Prozent der Bäume verlieren gewöhnlich viele Blätter oder Nadeln, 35 | |
Prozent weisen hingegen deutliche Schäden auf. | |
Dabei gibt es regionale Unterschiede, je nach Baumarten, Boden, Höhenlagen | |
und Klima. In Nordrhein-Westfalen zeigen zum Beispiel bereits 38 Prozent | |
der Bäume deutliche Schäden, in Hessen 39 Prozent, in Rheinland-Pfalz 41, | |
in Baden-Württemberg 46, in Thüringen sogar 50. Dagegen sind es etwa in | |
Bayern, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern jeweils 26 Prozent, | |
in Brandenburg nur 20. | |
Die Kronenverlichtung, die den Blatt- und Nadelverlust beschreibt, gilt als | |
Vitalitätsmaßstab: Je lichter, desto weniger Laub oder Nadeln, umso | |
kränkelnder der Baum. Und es trifft alle vier wichtigen Baumarten in | |
Deutschland: Deutliche Schäden haben von den [3][Buchen] 45 Prozent, von | |
den Eichen und Fichten jeweils 40 Prozent und von den Kiefern 28 Prozent. | |
Noch 2018 waren es bei Kiefern erst 15 Prozent. | |
Nichts ist mehr astrein. Die Ausscheiderate, also der Anteil aller Bäume, | |
die seit der vorangegangenen Erhebung abgestorben sind, liegt mit 6,7 | |
Prozent nun höher als je zuvor. Es hat nicht viel geholfen, dass es im Jahr | |
2021 etwas mehr geregnet hat. Der Wald hat sich von den Dürren 2018, 2019, | |
2020 nicht erholt. Und das Klima komme jetzt „einfach on top“, zu | |
belasteten und schon geschädigten Böden hinzu, sagt Wellbrock. | |
Landwirtschaft macht Bäumen zu schaffen | |
[4][Bereits in den 1980er Jahren] sprach man von einem Waldsterben: Damals | |
fiel saurer Regen auf die Wälder. Dieser wurde durch Luftverschmutzung | |
verursacht und belastete die Böden. Um den entgegenzuwirken, wurden zum | |
Beispiel in Fabriken Filter eingebaut, der Rauch der Kraftwerke wurde | |
gereinigt, so konnte sich der Wald kurzzeitig erholen. Nun machen | |
Stickstoffeinträge aus der Landwirtschaft und Abgase aus dem Verkehr den | |
Bäumen zu schaffen. | |
Der Stickstoff wirkt wie Dünger, die Bäume wachsen dadurch mehr, was sich | |
zunächst gut anhöre, erklärt Wellbrock. Aber Buchen stecken dann zu viel | |
Energie in das Holzwachstum und die vermehrte Fruchtbildung, heißt: in | |
Bucheckern. Das sei ein Kraftakt – und die Reserven an anderen Nährstoffen | |
würden aufgebraucht, an Kalium etwa. So entstünde ein Ungleichgewicht, das | |
die Buche anfälliger mache. Es ist wie bei einer zu einseitigen Ernährung | |
des Menschen. Der Boden versauert zudem, wenn zu viel Stickstoff da ist. | |
Doch wie kann den Wäldern geholfen werden? Wellbrock plädiert für eine | |
Aufforstung und den Umbau zu „klimastabilen, standortangepassten“ | |
Mischwäldern statt Monokulturen, in denen sich gefräßige Insekten schneller | |
breitmachen. Seit November 2022 werden alle privaten und kommunalen | |
Waldbesitzer dabei unterstützt, erklärte Agrarminister Özdemir am | |
Donnerstag. Bis 2026 stünden dafür 900 Millionen Euro bereit. Der Wald soll | |
so wieder grüner werden. | |
21 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /taz-nord-Serie-Waldspaziergang/!5869061 | |
[2] https://www.bmel.de/DE/themen/wald/wald-in-deutschland/waldzustandserhebung… | |
[3] /Waldsterben-in-Deutschland/!5793666 | |
[4] /!1772579/ | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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