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# taz.de -- Waldschäden im Harz: Totes Holz ist Leben
> Niedersachsens grüner Umweltminister Christian Meyer plädiert für mehr
> Wildnis im Nationalpark Harz. Vor Ort hört das nicht jeder gern.
Bild: Wichtiger Lebensraum nicht nur für Pilze und Insekten: Totholz im Nation…
Osnabrück taz | Es gibt Worte, die fallen nicht von ungefähr. „Mehr Wildnis
wagen“, sagte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne), als er
Ende letzter Woche den Nationalpark Harz in Torfhaus besuchte, dessen
[1][neu gestaltetes Besucherzentrum] eröffnete. Das Zentrum zeigt eine
Ausstellung zum Thema „Waldwandel zur Wildnis“, und Meyer betonte, dass
diese Wildnis ein „wesentliches Ziel der niedersächsischen
Großschutzgebiete“ ist.
Meyer weiß: Nicht alle hier im Harz hören das gern. Er ist in einem Park zu
Gast, in dem es 2022 zu 16 Bränden kam. Seither fordern hier Hardliner, die
Wildnis zu zähmen, unter ihnen der Landrat des Landkreises Harz, Thomas
Balcerowski (CDU), und die Ortsbürgermeisterin von Schierke, Christiane
Hopstock (CDU).
Besonders [2][das Totholz ist ihnen ein Dorn im Auge], sie sehen es als
Brandbeschleuniger. Sie sähen es am liebsten weggeräumt, zumindest in
Ortsnähe. Sven Schulze (CDU) denkt ähnlich, der Forstminister von
Sachsen-Anhalt. Als es Anfang September mehrere Tage lang südlich des
Brockens brannte, stellte er den knapp 25.000 Hektar großen Park, den sich
sein Bundesland mit Niedersachsen teilt, sogar generell in Frage.
160 Hektar groß sei der Brand, hatten Feuerwehr und Landkreis Harz
[3][zeitweilig behauptet] – Öl aufs Feuer der Anti-Wildnis-Aktionisten. Am
Ende stellte sich heraus: Es waren weniger als 12.
## Totholz ist ein Lebensraum
Schulze war es auch, der danach, unter Beteiligung des Landkreises Harz und
der Stadt Wernigerode, einen Plan zur Waldbrandprävention im Nationalpark
anschob, die „[4][Wernigeröder Erklärung]“. Einer der strittigsten
Beschlüsse, neben der Anlage von Brandschutzschneisen: das Fällen und
Räumen von Totholz.
Das rief den Nabu Sachsen-Anhalt auf den Plan. In einem Eilverfahren
beantragte er beim Verwaltungsgericht Magdeburg, der Nationalparkverwaltung
zu untersagen, Totholz zu entfernen. Europäisches Naturschutzrecht werde
gebrochen. Das Gericht ordnete den vorläufigen Räumstopp an.
Inzwischen ist ein Vergleich geschlossen, ein, so der Nabu, am Naturschutz
orientierter Kompromiss: Die besonders exzessiven Totholz-Räumplanungen bei
Schierke sind Geschichte. Maßnahmen im Nationalpark sind künftig auf ihre
Naturschutzverträglichkeit zu prüfen.
„Das großflächige Entfernen von Totholz widerspricht den Kriterien eines
Nationalparks“, sagt Frederik Eggers der taz, Naturschutzreferent des Nabu
Landesverbands Niedersachsen. „Totholz ist zudem kein Brandbeschleuniger,
sondern ein wichtiger [5][Bestandteil im Ökosystem Wald].“ Totes Holz
stärke die Abwehrkräfte des Waldes: „Es bindet viel Feuchtigkeit und wirkt
auf diese Weise sogar als natürlicher Schutz vor Waldbränden.“ Eine erhöhte
Brandgefahr gegenüber lebenden Beständen bestehe nicht.
## Harzbrände haben viele Ursachen
„Totholz bildet eine wertvolle Humusschicht und bietet somit unzähligen
Organismen wie Pilzen und Insekten einen Lebensraum“, sagt Eggers. Durch
liegendes Totholz werde „ein nicht unbeachtlicher Anteil an Kohlenstoff in
den Boden eingetragen, was der Klimakrise entgegenwirkt.“ Auch seien für
eine Räumung schwere Forstmaschinen nötig. Dabei sei „mit irreversiblen
Schäden an den Böden“ zu rechnen.
Niedersachsens Umweltminister Meyer sieht das ähnlich. „Grundsatzprinzip
eines Nationalparks ist es, Natur Natur sein zu lassen“, sagt er der taz.
„Totholz hat daher grundsätzlich im Nationalpark zu verbleiben.“ Ausnahmen
seien möglich, etwa für Verkehrssicherheit und Gefahrenabwehr, aber
Forderungen, „den Wald aufzuräumen“, seien „kontraproduktiv für den
Nationalparkgedanken“.
Die Harzbrände haben viele Ursachen: Lagerfeuer. Kranke Fichtenkulturen.
Die Klimakrise durch ihre Dürren. Ein Hauptgrund aber ist ein
Touristenmagnet: die Steinkohle-Dampfloks der Harzer Schmalspurbahnen, die
zum Brocken hochfahren. Dabei kommt es zu Funkenflug.
Sachsen-Anhalt sei mit den Harzer Schmalspurbahnen im Gespräch „zur Zukunft
der Antriebstechnologien“, antwortet Forstminister Schulze im Herbst 2022
auf die Kleine Anfrage „Brandgeschehen im Harz“ von Cornelia Lüddemann,
Landtagsabgeordnete der Grünen. Es gebe „noch keine abschließende
Meinungsbildung“ der Landesregierung. Die Karte, die Schulzes Antwort
beiliegt, spricht eine klare Sprache. Eng entlang der Bahn-Trasse reihen
sich rund 100 rote Punkte; jeder steht für einen Brand.
„Wenn es für die ganz überwiegende Mehrzahl der Brände im Nationalpark
einen einzigen, dingfest gemachten Verursacher gibt, dann muss diese
Brandursache primär abgestellt werden“, sagt Martin Schulze,
Vizevorsitzender des Nabu Sachsen-Anhalt. „Dann ist es aber sinnlos,
gleichzeitig breite Schneisen in den geschützten Naturwald zu schlagen.“
Neben Säge und Schredder setzt der Landkreis Harz im Übrigen zukünftig
satellitengestützte Frühwarn-Sensorik ein. Ob die neue Technik auch
erkennt, ob da lebendes Holz brennt oder totes?
14 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.nationalpark-harz.de/de/besucherzentren/torfhaus/
[2] /Feuer-im-Nadelwald/!5880731
[3] /Falsche-Angaben-zum-Waldbrand-im-Harz/!587959
[4] https://mwl.sachsen-anhalt.de/fileadmin/tsa_rssinclude/Wernigeroeder-Erklae…
[5] /taz-nord-Serie-Waldspaziergang/!5869061
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Wald
Naturschutz
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Harz
Holz
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Schwerpunkt Klimawandel
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Trockenheit
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