# taz.de -- Vor der EU-Wahl: Wie der Rechtsruck näher rückt | |
> Ratlos blicken Sozialdemokraten, Grüne und Liberale Richtung rechts, wo | |
> sich die Radikalen neu sortieren. Sie könnten mehr Sitze erobern als die | |
> EVP. | |
Bild: Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni bei einer Wahlkampfveranstaltung… | |
BRÜSSEL taz | Der befürchtete Rechtsruck bei der Wahl zum EU-Parlament | |
nimmt Gestalt an. Nach den letzten Umfragen und Prognosen könnten rechte | |
und rechtsradikale Parteien nach der Wahl am 9. Juni mehr Parlamentssitze | |
erringen als die bisher führende konservative Europäische Volkspartei | |
(EVP). Dies hätte weitreichende Folgen – von der Bildung der nächsten | |
EU-Kommission bis hin zur Klimapolitik. | |
Zunächst die Zahlen: Laut dem auf Europapolitik spezialisierten Portal | |
[1][politico.eu] könnte die EVP mit ihrer deutschen Spitzenkandidatin | |
Ursula von der Leyen (CDU) 172 Parlamentssitze erringen – rund 30 mehr als | |
die Sozialdemokraten mit ihrem Luxemburger Frontrunner Nicolas Schmit. Das | |
rechte Lager käme auf bis zu 184 Sitze. Es könnte somit sogar stärker | |
werden als die EVP. | |
Nach den Zahlen von Euronews stehen die Konservativen besser da. Dort kommt | |
die EVP auf 181 Sitze, S&D (Sozialdemokraten) auf 135 – und die Rechten auf | |
225, wobei die AfD und allerlei Splittergruppen mitgezählt werden. Für eine | |
Mehrheit im Parlament (720 Sitze) sind 361 Stimmen nötig. Selbst wenn die | |
EVP eine große Koalition mit den Sozialdemokraten bildet, reicht es nicht. | |
Es sind weitere Partner nötig. | |
Hier kommen Liberale und Grüne ins Spiel – aber auch die rechten und | |
rechtsradikalen Parteien. Sie könnten Zünglein an der Waage sein. Wenn | |
keine neue Mitte-links-Koalition zustande kommt (wie bisher), könnten sie | |
eine „alternative“, rechtslastige Mehrheit konstituieren. Denkbar wären | |
auch wechselnde Mehrheiten oder ein Patt – wenn sich die „proeuropäischen�… | |
Parteien zerstreiten. | |
## Konservativer Flirt | |
Von der Leyen hat im Wahlkampf erklärt, dass sie eine Zusammenarbeit mit | |
einzelnen Rechten nicht ausschließt. Sie umwirbt vor allem die | |
rechtskonservative ECR („European Conservatives and Reformists“), in der | |
Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni den Ton angibt. | |
Meloni sei proeuropäisch, für die Ukraine und für den Rechtsstaat – | |
behauptet von der Leyen. | |
Wird Meloni nach der Wahl zur „Königsmacherin“, ohne die nichts mehr geht? | |
Der konservative Flirt mit der Rechten legt das nahe. Doch in der EVP weist | |
man diese These zurück. Die zentrale Figur sei und bleibe von der Leyen. | |
Sie habe alle Chancen, die Wahl zu gewinnen, heißt es in der Brüsseler | |
Parteizentrale. Danach liege es an Sozialdemokraten und Liberalen, die | |
Kandidatin der Konservativen zu unterstützen und den Einfluss der Rechten | |
zu begrenzen. | |
Doch so einfach ist es nicht. Von der Leyen selbst habe die demokratische | |
„Brandmauer“ eingerissen und Meloni umworben, kritisieren Schmit und die | |
grüne Spitzenkandidatin Terry Reintke die Kommissionschefin. Wenn sich die | |
EVP-Frau mit Hilfe des rechten Lagers wählen lasse, könne sie nicht auf die | |
Stimmen der Sozialdemokraten und Grünen rechnen. Auch viele Liberale denken | |
so, Linke sowieso. | |
## Unüberhörbare Warnung | |
Das rot-grüne Lager geht auf Distanz, die Warnung ist unüberhörbar. Doch | |
nicht nur Melonis dunkler Schatten schwebt über dieser Europawahl. [2][Auch | |
die Führerin des Rassemblement National in Frankreich, Marine Le Pen, | |
möchte ein Wörtchen mitreden]. Sie hat Meloni und der ECR vorgeschlagen, | |
mit der rechtsextremen ID (Identity and Democracy) eine gemeinsame Fraktion | |
zu bilden. | |
„Jetzt ist der Moment, um sich zu vereinen“, warb Le Pen in einem | |
Interview. Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán träumt von einem | |
Rechtsbündnis. Nach der Wahl würde er gern zur ECR stoßen. Die AfD wiederum | |
könnte sich [3][mit der rechtsextremen bulgarischen Partei Wiedergeburt] | |
einlassen und so ihre Isolierung überwinden, in die sie durch den | |
Ausschluss aus der ID gestürzt worden ist. | |
Die Rechte formiert sich neu, nach der Wahl könnte sie in Brüssel zu einem | |
unverzichtbaren Machtfaktor werden. Der liberale britische Economist sieht | |
von der Leyen, Meloni und Le Pen schon beinahe vereint – diese drei Frauen | |
würden Europa ihren Stempel aufdrücken. Allerdings spricht wenig dafür, | |
dass Meloni und Le Pen tatsächlich zueinanderfinden und eine | |
Superrechts-Fraktion bilden. | |
Viel wahrscheinlicher ist, dass Meloni versucht, mit von der Leyen | |
anzubändeln und neue Deals einzufädeln. Nach der Migrationspolitik, wo sie | |
bereits gemeinsam Abkommen mit Tunesien und Ägypten geschlossen haben, | |
könnte es nach der Wahl zu Absprachen in der Klimapolitik kommen. | |
„Das wäre das Ende des Green Deal“, warnen die Grünen. Vor fünf Jahren | |
haben sie sich mit von der Leyen in der Klimapolitik verbündet. Nun könnte | |
der Vormarsch von Meloni und Le Pen die grünen Erfolge zunichte machen – | |
und die EU weit nach rechts rücken. | |
5 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.politico.eu/ | |
[2] /Wahlkampf-in-Frankreich/!6013210 | |
[3] /Petar-Wolgin-will-nach-Bruessel/!6012518 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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