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# taz.de -- Von der Leyen und Meloni: Liebe auf den zweiten Blick
> EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin
> Meloni scheinen sich prächtig zu verstehen. Sie brauchen einander.
Bild: Die Chemie scheint zu stimmen: Giorgia Meloni (r.) und Ursula von der Ley…
Brüssel/Rom taz | Eigentlich sollte man meinen, dass
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu den Letzten gehört, die
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einfallen, wenn sie an Europa
denkt. Schließlich hatte Italiens postfaschistische Regierungschefin noch
im Europawahlkampf 2014 den Ausstieg aus dem Euro gefordert.
Noch 2021 giftete sie in ihrer Autobiographie „Io sono Giorgia“ („Ich bin
Giorgia“) Richtung Brüssel, es sei „ein Spielplatz von Technokraten und
Bankiers, die es sich auf dem Rücken der Völker gut gehen lassen“ „Dieses
‚falsche Europa‘, verkörpert von den gemeinsamen Institutionen der EU, ist
utopisch und potenziell tyrannisch“.
Und steht nicht ausgerechnet von der Leyen an der Spitze „der aktuellen
Europäischen Union, einer undefinierten Entität in den Händen obskurer
Bürokraten, die über die nationalen Identitäten hinweggehen, ja sie sogar
auslöschen wollen“? Eigentlich schien programmiert, dass es zwischen den
beiden Spitzenfrauen knirschte oder auch richtig krachte.
Schließlich hatte von der Leyen bei ihrem Amtsantritt 2019 versprochen, die
europäischen Werte entschlossen zu verteidigen. Ungarn und Polen nahm die
CDU-Politikerin wegen Rechtsstaats-Verstößen ins Visier, Italien galt wegen
des Rechtsrucks und der hohen Schulden als Wackelkandidat. Wenn der
parteilose Ministerpräsident Mario Draghi abtreten sollte, könne das Land
zur Gefahr für die EU werden, hieß es in Brüssel.
## Polemik gestrichen
Doch schon im italienischen Wahlkampf im Jahr 2022 hatte Meloni vorgebaut
und die Polemik gegen die EU aus allen Reden gestrichen. So hielt sie es
auch, als sie im Oktober 2022 vor dem Parlament die programmatischen Linien
ihrer Regierung darlegte. Selbstverständlich würden die europäischen
Verträge, würden auch die dort niedergeschriebenen Verpflichtungen Italiens
zur Haushaltsdisziplin eingehalten, verkündete sie nun.
Und auch an ihrer Haltung im Ukraine-Krieg ließ sie keine Zweifel
aufkommen: Unter ihrer Regierung stehe Italien weiterhin fest an der Seite
der Ukraine. Selbstverständlich war das nicht. Denn ihre postfaschistische
Partei Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) hatte sich zwar seit
Beginn des Konflikts eindeutig gegen Russland positioniert, doch ihre
beiden kleineren Koalitionspartner, Forza Italia unter Silvio Berlusconi
sowie Matteo Salvinis Lega, hatten immer durch große Nähe zu Russlands
Präsidenten Wladimir Putin geglänzt. Meloni aber machte umgehend klar, dass
die Positionierung Italiens auf diesem Feld allein Chefinnensache sei.
Die Vorarbeit hat sich ausgezahlt. Als von der Leyen im Januar 2023 zum
bilateralen Gipfel mit Meloni nach Rom anreiste, gab es statt Spannungen
freundliche Umarmungen. Die beiden Frauen strahlten um die Wette, die
Kommissionspräsidentin teilte per Tweet mit, es sei einfach „ein Vergnügen,
Giorgia Meloni zu treffen“, und die erwiderte, die Begegnung sei eine „sehr
gute Gelegenheit für einen Meinungsaustausch“ gewesen.
So gut jedenfalls hatte es den beiden gefallen, dass sie in der Folgezeit
laufend neue Treffen organisierten, ja dass sie immer wieder auch gemeinsam
auf Reisen gingen, mit den immer gleichen Bildern, auf denen sie sich
herzlich begrüßen, inklusive Wangenküsschen.
## Neues „Team Europe“
Im Juni und gleich darauf im Juli 2023 flogen Meloni und von der Leyen –
beide Male begleitet vom niederländischen Premier Mark Rutte – nach Tunis,
um mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied darüber zu verhandeln, wie
der, im Interesse Europas ebenso wie Italiens, die Flüchtlinge an der Fahrt
übers Mittelmeer hindern könne.
Ein neues „Team Europe“ war geboren. So nennt von der Leyen die Grüppchen
von EU-Politikern, die sich auf unbekanntes Terrain vorwagen und auch schon
mal Tabus brechen. Nun war die Asyl- und Flüchtlingspolitik dran – eines
der heißesten Eisen der EU-Politik, mit dem Nationalisten und
Rechtspopulisten regelmäßig gegen Brüssel mobil machen.
Meloni hatte in dieser Frage die Initiative ergriffen – und sie brauchte
von der Leyen, um dem tunesischen Präsidenten dank EU-Geldern ein
attraktives Angebot unterbreiten zu können. In der Sache waren sich die
beiden Frauen einig, wie auch im März 2024, als die zwei sich nach Kairo
aufmachten, in gleicher Mission.
Statt in Europa abseits zu stehen, war Meloni so auf dem Feld der
Flüchtlingspolitik mitten drin, Schulter an Schulter mit von der Leyen. Von
der gab es dann auch ein großes Kompliment, als [1][die italienische
Regierung mit Albanien die Errichtung zweier italienischer Flüchtlingslager
auf albanischem Boden aushandelte]. Das sei „ein Modell“ für Europa, freute
sich die Kommissionspräsidentin.
## Willkommenes Gegengewicht
Die deutsche EU-Politikerin braucht Italien, um in der Flüchtlingspolitik
zu punkten – einem Feld, bei dem sie bisher kaum Erfolge vorweisen kann.
Von der Leyen braucht Meloni aber auch, um sich ein wenig von Deutschland
und Frankreich zu lösen. Präsident Emmanuel Macron hatte sie 2019 in ihr
Brüsseler Amt gehievt, Kanzler Olaf Scholz will sie auf deutsche Ziele etwa
in der Industriepolitik verpflichten. Mit Meloni verfügt von der Leyen über
ein willkommenes Gegengewicht.
Die beiden können einander aber auch mit Blick auf die Zukunft nützlich
sein. [2][Schließlich will von der Leyen auch nach den EP-Wahlen ihren Job
als Kommissionspräsidentin fortsetzen]. Sie erinnert sich nur zu gut an
ihre Wahl vor fünf Jahren. Damals erreichte sie ein denkbar knappes
Resultat von nur neun Stimmen über der absoluten Mehrheit im EP. Weitere
Unterstützer*innen sind ihr deshalb hochwillkommen.
Und Meloni wiederum ist von der Leyens Suche nach Unterstützung willkommen.
Mit ihren Postfaschisten von der FdI sitzt sie in der europäischen Fraktion
EKR (Europäische Konservative und Reformer), die bisher im Machtgefüge
Brüssels am Rande standen und von den das Spiel beherrschenden Fraktionen
eher als Schmuddelkinder betrachtet wurden. Denn neben FdI gehören auch die
polnische PiS, die Schwedendemokraten und die Franco-Nostalgiker der
spanischen Vox dazu.
Die Brücke hin zur EVP, der christkonservativen Familie in der EU, zu
schlagen, war und ist Meloni ein wichtiges Ansinnen. Am 24. Februar dieses
Jahres fuhr sie, wieder einmal an von der Leyens Seite, nach Kyjiv, um von
dort aus per Videoschalte einen G7-Gipfel zu moderieren.
## Ergeiziges Ansinnen
Und sie konnte verbuchen, dass ihre beharrliche Arbeit bei von der Leyen
Früchte getragen hatte. Die nämlich mochte von einem Veto gegen die
Zusammenarbeit mit der EKR-Fraktion nicht reden, sondern ließ wissen, „ich
arbeite mit den Pro-EU-, Pro-NATO-, Pro-Ukraine-Parteien“ – ein Kriterium,
das Meloni und ihre FdI allemal erfüllen.
Meloni wiederum durfte sich von der katholischen Tageszeitung Avvenire mit
den Worten zitieren lassen, Italien müsse „in dem Europa, das entscheidet,
dabei sein“.
Und so führt sie ihren Europawahlkampf gegenwärtig auch mit dem ehrgeizigen
Ansinnen, in Straßburg und Brüssel eine Koalition ganz genauso wie in Rom
aufzulegen, sprich eine Allianz, in der ihre EKR genauso dabei wäre, aber
auch von der Leyens EVP (zu ihr gehört neben CDU/CSU auch die Forza
Italia). Selbst die ID-Fraktion, in der Melonis Koalitionspartner, Matteo
Salvinis Lega, an der Seite des Rassemblement National oder der FPÖ sitzt,
könnte so hoffähig werden.
In Brüssel kommt diese Aussicht nicht gut an. Linke, Grüne,
Sozialdemokraten und sogar die Liberalen warnen vor einem Rechtsbündnis im
neuen Europaparlament. Bei der ersten und letzten TV-Debatte der
Spitzenkandidaten forderte der sozialdemokratische Frontrunner Nicolas
Schmit von der Leyen auf, endlich Farbe zu bekennen und die gefährliche
bündnispolitische „Grauzone“ zu verlassen.
Doch die denkt gar nicht daran. Meloni habe sich zu Europa, zur Ukraine und
zum Rechtsstaat bekannt und damit alle Voraussetzungen für eine
Zusammenarbeit erfüllt, erklärte sie. „Sie ist wirklich pro-europäisch und
gegen Putin. Wenn das so bleibt, werden wir auch weiter zusammenarbeiten.“
Schließlich braucht es im neuen EU-Parlament auch eine neue Mehrheit. Und
da sind Meloni und ihre rechten Koalitionspartner unverzichtbar geworden –
auch für von der Leyen.
29 May 2024
## LINKS
[1] /Fluechtlingsdeal-mit-Albanien/!5976094
[2] /Ursula-von-der-Leyen/!6013209
## AUTOREN
Eric Bonse
Michael Braun
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