# taz.de -- Völkische Expansion: Neonazis suchen Lebensraum | |
> In Mecklenburg und in der Lüneburger Heide setzen sich rechte Siedler | |
> fest. Wie kann man damit umgehen? | |
Bild: Hoch die rechte Fahne: NPD-Anhänger feiern den Tag der Arbeit in Schwerin | |
HAMBURG taz | Berühmt wurde das Dorf Jamel mit einem [1][Foto]. Es zeigt | |
eine Garagenwand, auf der in Frakturschrift steht: „Dorfgemeinschaft Jamel. | |
frei – sozial – national“. Daneben ist eine idealisierte blonde Familie | |
aufgemalt. Der Ort wurde als „Nazidorf“ bekannt, den Ton gibt dort Sven | |
Krüger an, der sich schon als Jugendlicher in der rechtsextremen Subkultur | |
zwischen Kameradschafts- und Rechtsrockszene bewegte. Krüger ist es | |
gelungen, in dem nahe der Lübecker Bucht gelegenen Dorf nach und nach | |
Kameraden anzusiedeln. Bei einer bekannten Nazi-Gegnerin im Dorf brannte | |
die Scheune ab. | |
Jamel ist ein Beispiel für die Strategie der rechten Szene, neue Räume zu | |
erobern. Die Motive für die völkische Landnahme sind verschieden, doch die | |
Landnehmer eint der Glaube, eine Kulturrevolution gegen den „Großen | |
Austausch“ der „autochthonen“ Bevölkerung zu führen und eine | |
„Islamisierung“ der eigenen Heimat zu verhindern. | |
## Völkische Ökos | |
Südlich von Rostock, in der Umgebung von Teterow und Güstrow, wollen | |
zugezogene Familien die Ideen der [2][„Artamanen“] wiederbeleben. Schon | |
1923 hatte der Gründer der Bewegung, Willibald Hentschel, ein „Zurück zur | |
Scholle“ propagiert, um der Landflucht und im Osten der befürchteten | |
Besiedlung durch „die Polen“ entgegenzuwirken. Die alternativ-ökologischen | |
Ideen verwob er mit arischen Rassezüchtungsvorstellungen. | |
In den 1990er-Jahren entstanden in der Region die ersten Artamanen-Höfe. | |
Auf den Bildern von damals sehen die rechten Siedler wie linke Aussteiger | |
aus. Nur ein kleiner Wimpel mit Hakenkreuz offenbart ihre Weltsicht. „Wir | |
dachten, das sind Ökos, also Linke“, sagen Anwohner heute. Manche | |
Neo-Artamanen versuchen, beruflich in Bio-Netzwerken Fuß zu fassen. Einige | |
stehen der AfD nahe. | |
## Hotspot der NPD-Kader | |
Ein weiteres Zentrum der rechten Siedlerbewegung ist die Gegend um | |
[3][Lübtheen], nur wenige Kilometer nördlich des Wendlands gelegen. Nach | |
der Wende zogen vor allem Kader der NPD dorthin, die zweimal in den | |
Schweriner Landtag einzog – den dritten Einzug verhinderte 2016 der Antritt | |
der AfD. | |
Die NPD-Kader und ihre Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ sind aber | |
nicht weggezogen, in Mecklenburg-Vorpommern wollen sie weiter Immobilien | |
erwerben und den Zuzug von Anhängen ermöglichen – mit einer Genossenschaft. | |
## Genossenschaft für Volksgenossen | |
2018 war ein erster Gründungsversuch noch gescheitert, doch in diesem Jahre | |
wurde aus der Kapitalgesellschaft [4][„Mecklenburg-Vorpommersche | |
Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG“] die Unternehmergesellschaft „MVSE | |
Objektbetreuung“. | |
Zu den Gesellschaftern gehören laut dem Recherche-Portal [5][„Endstation | |
rechts“] die ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Stefan Köster und David | |
Peterreit, aber auch Tino Streif und Sven Krüger aus Jamel. Die | |
Genossenschaft mit Sitz in Klein Belitz will sich in der Bau- und | |
Immobilienbranche verankern, auch um über Kleinstfirmen die eigenen | |
Netzwerke zu stärken. | |
Doch die rechten Siedler wollen mehr. Einige von ihnen traten dieses Jahr | |
bei den Kommunalwahlen an, die NPD wurde dabei nicht erwähnt. In Groß Krams | |
bei Lübtheen erreichte der frühere Vorsitzende der NPD-Jugend „Junge | |
Nationalisten“, Sebastian Richter, das zweitbeste Wahlergebnis nach dem | |
Bürgermeister. Einen [6][Wahlerfolg] erreichte auch Sven Krüger aus Jameln | |
bei der Kommunalwahl. Mit der neu gegründeten „Wählergemeinschaft Heimat“ | |
zog der mehrfach vorbestrafte Rechtsextreme in die Gemeindevertretung | |
Gägelow. | |
Nachbarn und Anwohner vor Ort waren vom Eintritt der Rechten in die | |
Kommunalpolitik oft überrascht. Der Tenor, der vielfach zu hören ist: | |
„Hinter ihrem Gartenzaun, auf ihren Anwesen, sollen die machen was sie | |
wollen.“ Brauchtumsfeste, 1.Mai- und Kinderevents, Hochzeiten nach | |
vermeintlich germanischen Ritualen lösen nicht immer gleich | |
zivilgesellschaftlichen Widerspruch aus. | |
## Völkische Familien in der Heide | |
In die Politik haben sich die rechten Familien, die seit Jahren in der | |
[7][Lüneburger Heide] leben, bisher nicht eingemischt, wohl aber ins | |
Gemeinde- und Vereinsleben. Derzeit versuchen diese völkischen Familien, | |
die seit Generationen rechts außen stehen, weitere Immobilien zu erwerben. | |
Gute Beziehungen bestehen zur AfD und zur NPD. Kinder der Familien sind bei | |
der [8][Identitären Bewegung], die versucht, durch provokante Aktionen auf | |
sich aufmerksam zu machen – und der Stolz von Opa und Oma. | |
„Lasst die doch in Ruhe“, bekamen Mitglieder des „Netzwerk Beherzt“ zu | |
hören, als sie anfingen, öffentlich über die rechten Nachbarn in der | |
Lüneburger Heide zu reden. „Sie wollen eben nicht bloß ihre Gesinnung in | |
der Familie oder auf ihrer Grundstück einfach ausleben“, betont Martin | |
Raabe, Sprecher des Netzwerkes. | |
## „Erbgesunde Kinder“ | |
Die rechte Szene ist vielgestaltig. So soll in Niedersachsen auch die | |
[9][„Anastasia-Bewegung“] nach Siedlungsmöglichkeiten suchen. Seit 2014 | |
findet die aus Russland kommende Bewegung in Deutschland immer mehr | |
Anhänger. Auslöser war eine Buchreihe von Wladimir Megre, der eigentlich | |
Wladimir Usakow heißt. In den zehn Bänden mit Titeln wie „Anastasia – | |
Tochter der Taiga“ erzählt Megre von der Begegnung mit einer | |
geheimnisvollen Frau auf einer Geschäftsreise 1994. Diese fiktive Figur, | |
Anastasia, dargestellt mit wallendem blondem Haar, mal nackt, mal mit einem | |
Hauch von Nichts bekleidet, lebt im Einklang mit der Natur und den Tieren. | |
In dem Epos von Megre wird nicht bloß ein Leben in | |
Familienlandsitz-Siedlungen mit etwa einem Hektar für eine Familie zur | |
Selbstversorgung als Erlösung empfohlen. Auf dem Land sollen Vater und | |
Mutter „erbgesunde Kinder“ zeugen. Der Partner dürfte nicht von einer | |
anderen „Rasse“ sein. Die Frauen müssen sich keusch verhalten, Sex nur der | |
Zeugung dienen. Homosexualität ist verpönt. | |
Anastasia ist „unbegreiflich, wie die dunklen Kräfte es schafften, die | |
Frauen (…) zu verdummen, dass sie ahnungslos die Männer mit ihren Reizen | |
anziehen“ und nicht die „richtigen“ Männer wählen. Fatal, auch weil die | |
Anhänger*innen überzeugt sind, dass der erste Sexualpartner einer Frau die | |
später gezeugten Kinder mit prägen würde. Diese These der Telegonie | |
ventilierten Rechte schon im 19. Jahrhundert. | |
In der esoterisch-völkischen „Anastasia“-Saga taucht im sechsten Band das | |
„jüdische Volk“ auf, das „vor den Menschen schuld habe“, weil sie | |
versuchten, „alle zu betrügen, vom Jungen bis zum Alten“. Ein jüdischer | |
Oberpriester gehöre zu jenen, die die Welt beherrschen. | |
In Brandenburg und Sachsen-Anhalt bestehen schon erste Siedlungen. Der | |
Erfolg dieser Siedler hängt auch vom Widerstand ab. | |
Wie rechte Siedler in Mecklenburg vorrücken, lesen Sie in der | |
Wochenendausgabe der taz oder [10][hier] | |
22 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Nazi-Dorf-Jamel/!5516761/ | |
[2] /Rueckwaertsgewandte-Siedler/!5370963/ | |
[3] /NPD-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5088892/ | |
[4] /Kolumne-Der-rechte-Rand/!5471891/ | |
[5] https://www.endstation-rechts.de/news/rechtsextreme-genossenschaft-macht-al… | |
[6] /Kommunalwahlkandidaten-aus-Jamel/!5599720/ | |
[7] /Extreme-Rechte-im-Wendland/!5335380/ | |
[8] /Aktionen-der-Identitaeren-Bewegung/!5606513/ | |
[9] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-anastasia-bewegung | |
[10] /Unser-eKiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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