# taz.de -- Aktivistin kandidiert in Neonazi-Dorf: Kampf ohne Ende | |
> Birgit Lohmeyer kämpft in Jamel gegen Neonazis. Damit will sie für die | |
> SPD im Gemeinderat weitermachen. Aber: Die Rechten treten auch an. | |
Bild: Rund 40 Einwohner hat das kleine Dorf. Elf Häuser – und in fast allen … | |
JAMEL taz | Birgit Lohmeyer steht in ihrem Garten, unter den Linden, im | |
Löwenzahn, die Vögel singen, und gerade war der Postbote da. Lohmeyer reißt | |
einen Brief auf. „Puh, super.“ [1][Der Pachtvertrag für eine Wiese] steht, | |
auf der im Sommer ein Teil von Lohmeyers Demokratiefestival stattfinden | |
soll. Der Pächter stellte sich quer, nun lenkt er ein. „Eine Sorge | |
weniger.“ | |
Und Sorgen hat Birgit Lohmeyer wahrlich genug. In ihrem Dorf, Jamel, redet | |
kein Nachbar mehr mit ihr und ihrem Mann Horst. Das hat damit zu tun, dass | |
vor dem Nachbarhaus ein Wohnwagen mit „See you in Walhalla“-Aufschrift | |
steht, beim Haus gegenüber eine riesige schwarz-weiß-rote Fahne auf dem | |
Dach weht. In der Dorfmitte ein Wandbild eine arische Familie zeigt, | |
geborgen von einem Adler, und ein Wegweiser daneben auch Braunau ausweist, | |
den Geburtsort Hitlers. An der Haustür von Birgit Lohmeyer aber kleben | |
Aufkleber, auf denen steht: „Kein Ort für Nazis“. | |
Rund 40 Einwohner hat das kleine Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, nahe | |
Wismar, zwischen Feldern, am Ende einer Sackgasse. Elf Häuser – und in fast | |
allen wohnen Neonazis. Aber auch ein Paar, das sich [2][seit Jahren allein | |
gegen die Rechten stemmt]: Birgit Lohmeyer und ihr Mann Horst. | |
Seit 2004 währt dieser Kampf, seit die Lohmeyers von Hamburg nach Jamel | |
zogen. Inzwischen ist es eine Lebensaufgabe, eine mit enormem Preis. Die | |
Neonazis zerstachen Autoreifen der Lohmeyers, kippten ihnen Mist auf die | |
Einfahrt, legten eine tote Ratte in den Briefkasten. Ein Neonazi fragte, ob | |
sie ihr Grundstück nicht verkaufen wollten, „solange Sie noch können“. Und | |
dann brannte 2015 die Scheune der Lohmeyers nieder. | |
## Die „Wählergemeinschaft Heimat“ | |
Aber die Lohmeyers sind noch da. Und nun will Birgit Lohmeyer den Kampf auf | |
einem weiteren Wege fortführen: dem parlamentarischen. Im vergangenen | |
September trat sie in die SPD ein und kandidiert nun am 26. Mai für die | |
Wahl zum kleinen Gemeindeparlament in Gägelow, das auch Jamel umfasst, und | |
für den Kreistag. | |
Aber: Auch die Neonazis von Jamel treten zur Wahl an. Einige Wochen nach | |
Lohmeyers SPD-Eintritt präsentierten sie ihre „Wählergemeinschaft Heimat“. | |
Es ist ein erneuter Entscheidungskampf. Diesmal nicht nur um die Hoheit im | |
Dorfalltag – sondern auch über die politischen Entscheidungen. Behält in | |
Jamel die Demokratie die Oberhand? | |
Birgit Lohmeyer ist eine fröhliche Frau, trotz allem, die sagt, sie könne | |
nichts so leicht erschüttern. Vor gut einer Woche sitzt die 60-Jährige in | |
ihrem Wohnzimmer, der Ofen bollert, eine der sechs Katzen schläft | |
eingerollt auf dem Tisch. Lohmeyer trinkt Kaffee, lacht viel. Immer wieder | |
fällt ihr Blick auf einen kleinen Bildschirm: die Aufnahmen der | |
Überwachungskamera von ihrer Auffahrt. | |
Als die Lohmeyers – sie freie Autorin, er Musiker – vor 15 Jahren nach | |
Jamel zogen, war es eine Stadtflucht. Der alte Forsthof in Jamel, wie | |
verwunschen, von Bäumen und Wiesen umwuchert, schien perfekt. Damals gab es | |
nur einen einzigen Neonazi in Jamel: Sven Krüger. Dann aber folgten immer | |
mehr – und verdrängten frühere Dorfbewohner. Die Lohmeyers blieben. | |
## Fast wie ein Kulissendorf | |
„Wir lassen uns nicht vertreiben“, sagt Birgit Lohmeyer. „Dann hätten die | |
Nazis ja gewonnen.“ Mehr noch: Das Paar hält dagegen. Seit 2007 | |
organisieren die Lohmeyers jeden Sommer ein Musikfestival für Demokratie, | |
das „Jamel rockt den Förster“. 1.500 Leute reisten dazu zuletzt an – und | |
Musikgrößen wie Herbert Grönemeyer oder Bela B. von den Ärzten. Die | |
Überreste der verkohlten Scheune stapelte das Paar als Skulptur in ihrem | |
Vorgarten auf. Als Mahnmal. | |
Aber die Neonazis machen weiter wie bisher. Erst vor zwei Monaten trat | |
jemand den Gartenzaun der Lohmeyers ein. Mitten im Ort steht ein | |
Schaukasten, momentan werden dort ein Rechtsrockfestival der NPD und | |
„germanische“ Bräuche beworben. Ganz am Ende der Straße steht das Haus von | |
Sven Krüger. „Frei, sozial, national“ kündet hier ein Schild. | |
Im Garten weht eine große Fahne mit „Widerstand“-Aufdruck. Und gegenüber | |
steht ein Traktor mit dem Emblem von Krügers Abrissfirma: Ein Mann, der | |
etwas zerschlägt, das wie ein Davidstern aussieht. Das Ganze wirkt wie eine | |
Karikatur, fast wie ein Kulissendorf. | |
Zuletzt machten aber nicht mehr nur die Neonazis Ärger, sondern auch die | |
Ämter. Für Lohmeyers Festival verlangte die Gemeinde plötzlich eine | |
Kaution, um gemeindeeigene Wiesen zu nutzen, alles muss nun haarklein | |
vertraglich fixiert werden. Dreimal habe die Gemeinde zuletzt Flächen | |
ausgerechnet an Rechte verkauft oder verpachtet, berichtet Lohmeyer. | |
Zuletzt war es die zentrale Dorfwiese. | |
## Alles soll schön harmlos klingen | |
„Da ist mir schlicht und ergreifend die Hutschnur geplatzt.“ Offenbar sei | |
einigen nicht klar, wie fatal ein „Kuschelkurs“ mit den Nazis sei. „Die | |
Mehrheitsverhältnisse in der Gemeindevertretung müssen sich ändern.“ | |
Lohmeyer will nun mit dafür sorgen. Warum die SPD? „Die SPD hat uns von | |
Anfang an unterstützt“, sagt Lohmeyer. | |
Schon früh wurde die SPD-Landtagspräsidentin die Schirmherrin für ihr | |
Festival. Später folgte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, zum Festival | |
im letzten Jahr reiste die Sozialdemokratin im Anti-Nazi-Shirt an. | |
Jetzt aber macht auch Sven Krüger mobil, zusammen mit zwei Nachbarn, beide | |
ebenfalls seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv. Der 44-Jährige ist | |
ein stämmiger Mann mit langem, geflochtenem Bart, der sich nach außen gern | |
unbedarft gibt. Auf einem Werbebild für seine „Wählergemeinschaft Heimat“ | |
steht Krüger nun lächelnd im Karohemd auf einem Feld. | |
Er wolle etwas tun, damit es auf dem Land wieder mehr Kinder gebe, schreibt | |
er dazu. Er setze sich ein für den Erhalt der Dörfer, günstiges Bauland und | |
Freizeitangebote „für Jung und Alt“. Alles soll schön harmlos klingen. | |
## Krüger war zu einem Treffen bereit | |
Aber es ist nicht harmlos. Schon Krügers Vater lebte in Jamel und war als | |
Rechter bekannt. Der Sohn wurde rechtsextremer Skinhead, sammelte | |
Vorstrafen, trieb sich im militanten Netzwerk der Hammerskins rum, saß für | |
die NPD im Landesvorstand und 2009 schon mal im Kreistag. | |
Dann aber wanderte Krüger 2011 in den Knast, weil er illegal ein | |
Maschinengewehr besaß und geklaute Bausachen verhökerte. Auch Sven Krüger | |
war erst zu einem Treffen bereit. Dann, nach Rücksprache mit seinen Leuten, | |
sagte er ab. Was solle bei einem taz-Artikel schon rauskommen, hieß es nun. | |
Zuletzt marschierte Krüger am 8. Mai auf einem NPD-Aufmarsch in Demmin mit. | |
In Grevesmühlen, gleich neben Jamel, betreibt er sein „Thinghaus“, einen | |
Neonazitreff mit Konzerten und Kampfsport. Nach Jamel lud Krüger Ende April | |
80 Gleichgesinnte zu sich aufs Grundstück, zum „Mai-Tanz“. Und Krügers | |
Wählergemeinschaft säuberte zuletzt die Zufahrtsstraße nach Jamel. | |
Auf einem Foto wirft einer der Neonazis lächelnd einen gefundenen Becher | |
von Lohmeyers Demokratiefestival in einen Müllsack. „Die Strecke gehörte | |
uns“, heißt es dazu. Dazu hängte Krüger Plakate seiner Wählergemeinschaft | |
in Jamel auf. Ein Plakat hängten sie direkt vor die Einfahrt der Lohmeyers. | |
## Was, wenn sie verliert? | |
Birgit Lohmeyer zuckt darüber nur noch mit den Schultern. Eine Provokation, | |
mal wieder, nun ja. Warum im Dorf keine SPD-Plakate hängen? „Wen sollen wir | |
hier für die SPD gewinnen?“ Birgit Lohmeyer ist dafür in den umliegenden | |
Gemeinden unterwegs, verteilt dort Flyer, stellt sich hinter Infotische. | |
Und sie hat prominente Unterstützung – ihr Widerstand ist längst bundesweit | |
bekannt. | |
Vergangene Woche reisten SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und | |
SPD-Bundesvize Ralf Stegner an, um Lohmeyers SPD-Ortsverband zu helfen. Und | |
Ministerpräsidentin Schwesig erklärt: „Es freut mich, dass Birgit Lohmeyer | |
für die SPD antritt.“ Doch die örtliche SPD zögerte, als Birgit Lohmeyer | |
auf sie zukam. Vielen in der Region gelten die Lohmeyers auch als | |
Unruhefaktor, das Naziproblem in Jamel wollen sie nicht so hochgehängt | |
sehen. Der SPD-Ortsverband wählte Lohmeyer schließlich auf Listenplatz 4. | |
Aber es bleibt ein Risikospiel: Denn am Ende der Wahl wird es Verlierer und | |
Gewinner geben. Und es ist möglich, dass Birgit Lohmeyer nicht gewählt wird | |
– Sven Krüger aber schon. Birgit Lohmeyer hat dieses Szenario durchaus | |
mitbedacht. „Aber soll ich deshalb gar nicht erst antreten?“ Klappe es | |
tatsächlich nicht, will sich Lohmeyer eben so ins Gemeindeparlament setzen, | |
als interessierte Bürgerin. „Dann werde ich andere Wege finden, die | |
Entscheidungen im Blick zu behalten.“ | |
Gägelows Bürgermeister Uwe Wandel war lange Jahre SPD-Mann und ist | |
mittlerweile Parteiloser. Er sagt über Birgit Lohmeyer: „Ist doch gut, wenn | |
sie sich für die Gemeinde engagiert. Das hat sie ja bisher all die Jahre | |
nicht gemacht.“ Aber das Festival? Gut, das schon, sagt Wandel. | |
## Wie lange ist es auszuhalten? | |
Aber sonst, bei den Sitzungen der Gemeindevertretung, da habe er die | |
Lohmeyers nie gesehen. Sven Krüger und seine Leute hingegen schon. Dabei | |
hält Wandel auch von Krüger nichts. Der habe sich nun „einen kleinen | |
Schafspelz übergehängt“, aber jeder wisse ja, wer Krüger und seine Leute | |
wirklich seien: „stramme NPD-Genossen“. | |
Seit 2006 ist Uwe Wandel Bürgermeister. Vor Jahren noch kritisierte er, | |
dass die Polizei den Neonazis in Jamel zu viel Freiraum lasse. Inzwischen | |
ist der Autohändler leiser geworden. Auch wenn man wolle, man bekomme die | |
Rechten nicht weg aus Jamel, sagt Wandel. „Letztendlich müssen wir mit | |
diesen Menschen leben.“ Und die Verpachtung der Wiese an einen Rechten? Der | |
Mann sei kein Parteimitglied, sei nicht vorbestraft, wehrt sich Wandel. | |
„Soll ich bei jedem eine Gesinnungsprüfung machen?“ | |
Es sind solche Aussagen, bei denen Birgit Lohmeyer ins Kopfschütteln | |
verfällt. Der Wiesenpächter hänge mit Sven Krüger ab, an seinem Auto klebe | |
das Dorfwappen der Neonazis. „Wie deutlich soll es noch werden?“, fragt | |
Lohmeyer. „Meine Einstellung ist: Keine Geschäfte mit Nazis machen, fertig, | |
aus.“ | |
In Jamel direkt ins Gespräch zu kommen, ist schwierig: Das Dorf wirkt an | |
diesem Tag verlassen, fast überall springt ein bellender Hund an den Zaun. | |
Nur ein kahlgeschorener Mann im schwarzen „Abriss Krüger“-Pullover | |
schlendert über die Straße. Und der ist bereits im Bilde, dass hier die taz | |
unterwegs ist. | |
Krüger sei nicht da, ruft er. Ob er denn verraten wolle, wie er zu Birgit | |
Lohmeyer stehe? Würde er sie wählen? „Warum sollte ich?“ Wisse er denn, w… | |
die Scheune der Lohmeyers anzündete? „Woher denn?“ Ein Gespräch ist nicht | |
möglich, der Mann verzieht sich hinter seinen Gartenzaun. | |
Wie lange ist all das auszuhalten? Irgendwann könne sie sich schon ein | |
ruhiges Leben vorstellen, am Meer, ohne den ganzen Ärger, sagt Lohmeyer. So | |
wie Horst und sie es sich anfangs für Jamel dachten. „Aber dann müsste das | |
hier mit dem Haus erst geklärt sein.“ Das Haus an Rechte verkaufen würden | |
sie nicht. Wer aber sonst will nach Jamel? Vielleicht wäre eine | |
demokratische Tagungsstätte eine Lösung, sagt Lohmeyer. „Dann könnten wir | |
eventuell gehen. Aber momentan steht das überhaupt nicht an.“ | |
Erst kürzlich, am 1. Mai, stand Birgit Lohmeyer wieder auf der Straße, | |
diesmal in Wismar. Eigentlich ein Erfolg, 1.000 Demonstranten standen 300 | |
Rechtsextremen gegenüber. Doch den Lohmeyers schwante an diesem Tag auch, | |
dass es noch ein langer Kampf werden könnte. Ein junger Neonazi-Demonstrant | |
war der Sohn von Sven Krüger. | |
17 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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