Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Michel Abdollahi über Vorurteile: „Ein bisschen Druck rausnehmen…
> Der Moderator Michel Adollahi tauscht das Studio oft mit der
> Fußgängerzone oder dem Nazidorf. Ein Gespräch über die Gründe,
> Beleidigungen auszuhalten.
Bild: Würde den Aufklärungsposten gern verlassen, sieht aber noch viel Bedarf…
Michel Abdollahi kommt 15 Minuten zu spät zum Interviewtermin. Er
entschuldigt sich: Er ist im Bahnhof kontrolliert worden, allgemeine
Personenkontrolle. Das sei ihm in Hamburg schon ewig nicht mehr passiert.
Ausgerechnet heute habe er seinen Personalausweis nicht dabei gehabt. Nach
einigem Hin und Her und einer Google-Recherche haben ihn die Polizisten
gehen lassen.
taz: Herr Abdollahi, waren Sie sauer, dass ausgerechnet Sie rausgepickt
wurden?
Michel Abdollahi: Nein, gar nicht. Ich glaube nicht, dass das was mit
meinem Äußeren zu tun hatte. Wieso auch, ich mit meinen ordentlichen
Schühchen und meinen rosa Socken, ich bin sogar einigermaßen rasiert.
Vielleicht folgte Ihre Kontrolle dem Vorurteil, dass nicht deutsch-stämmige
Menschen per se verdächtig sind. Haben Sie selbst auch Vorurteile?
Eigentlich habe ich kein klassisches Vorurteil. Vorurteile sind etwas
Allgemeines, etwas, dass man auf ganze Gruppen bezieht und nicht auf
einzelne Personen. Solche pauschalen Vorurteile habe ich nicht. Da ich
immer eines Besseren belehrt wurde, habe ich mir das abtrainiert.
Wie funktioniert das?
Das funktioniert ganz gut, wenn man sich einfach sagt: Ich habe keine
pauschalen Vorurteile und stattdessen jeden Menschen einzeln beurteilt. Das
ist natürlich mehr Arbeit. Vorurteile machen das Leben ja einfacher. Ich
persönlich werde aber auch einfach nicht gerne eines Besseren belehrt, dann
müsste ich ja mit Argumenten dagegenhalten und das kann bei pauschalen
Vorurteilen einfach nicht funktionieren, deshalb habe ich sie mir
abtrainiert. Und wahrscheinlich auch, weil ich selbst immer Vorurteilen
ausgesetzt war oder immer noch bin.
Welchen?
Dieses generelle Ausländer-Sein. Dass immer eine Gefahr von mir ausgehen
könnte, immer angeguckt werden, ob im Flugzeug, im Laden, in der Bahn. Der
könnte was Böses machen, der könnte klauen, der spricht vielleicht kein
Deutsch, der ist ungebildet, der behandelt Frauen nicht gut, der
respektiert unsere Werte und Normen nicht. Das ist ein ganz großer, bunter
Blumenstrauß.
Sie haben sich 2015 mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie
wissen?“ in eine Hamburger Fußgängerzone gestellt. Hilft das, Vorurteile
abzubauen?
Ich weiß nicht, ob das hilft. Aber viele Leute finden das gut. Es gab
unheimlich viele positive Reaktionen. Das ist überhaupt keine Sache, die
ich gerne mache, wirklich nicht. Aber wenn es so viele Leute interessiert,
wenn es so viele Leute wichtig finden, wenn es so vielen Leuten Ängste
nimmt, dann mache ich das.
Sie machen das nicht gern?
Wenn ich sage, ich mach das nicht gerne, heißt das, ich stehe nicht gerne
mit einem Schild draußen auf der Straße, beantworte Fragen und friere. Die
Islamschild-Aktion werde ich nicht vergessen. Da waren es tiefe Minusgrade,
ich war ein Eiszapfen. Abgesehen davon lasse ich mich auch nicht so gerne
von Leuten auf der Straße beschimpfen. Wenn du da stehst, stehst du im
Fokus und dann trauen sich die Leute auch, dich zu beleidigen. Es gibt
natürlich auch schöne Momente, aber wenn ich abwägen müsste, ich kriege
zehn Mega-Komplimente plus eine ganz fiese Beleidigung, würde ich sagen,
das möchte ich nicht.
Wieso machen Sie es dann trotzdem?
Für mich ist das ein Dienst an der Gesellschaft. Es ist Aufklärungsarbeit.
Ich bekomme so viele Zuschriften von Leuten, die das toll finden. Es ist
schön, wenn man Lob und Dank bekommt. Das war mit Jamel genauso. (Für die
TV-Reportage „Im Nazidorf“ zog Abdollahi für vier Wochen in eine Blockhüt…
nach Jamel in Mecklenburg-Vorpommern). Ich campe nicht gerne. Aber wenn es
gesellschaftlich relevante Themen gibt und die Leute das wichtig finden,
die herauszuarbeiten, dann wiegt das mehr.
Trotz teilweiser wüster Beschimpfungen bleiben Sie stets freundlich und
höflich. Wie machen Sie das?
Was soll ich denn machen? Ich habe die Sachen schon so oft gehört, das
schockt mich nicht mehr. Mich interessiert es nicht, wenn da wieder einer
kommt und sagt: „Na, Ölauge, wie geht’s denn heute so.“ Seit ich ein
kleines Kind bin, werde ich mit so was konfrontiert, ich bin da
mittlerweile völlig abgestumpft. Abgesehen davon bin ich ein privilegierter
Mensch, da ist man dann auch etwas entspannter. Wenn ich mich den ganzen
Tag damit beschäftigen würde, dass Leute Vorurteile gegen mich haben, dann
hätte ich ein Kackleben.
Ist das nicht ermüdend, immer mit denselben Themen um die Ecke zu kommen,
immer wieder sagen zu müssen: „Nicht alle Muslime sind böse“?
Natürlich ist das ermüdend, aber es kommen ja immer wieder neue Leute, und
denen muss man es dann wieder erklären. Wenn man eine Veränderung in der
Gesellschaft haben will, muss man durch die schwierigen Themen durch. Ich
habe Ausdauer.
Sie haben mal von sich selber gesagt, Sie seien ein Super-Vorzeige-Migrant.
Ich bin ein super integrierter Migrant, wie hunderttausend andere auch,
aber die anderen stehen eben nicht in der Öffentlichkeit. Aber die Leute
müssen gerade für die positiven Dinge sensibilisiert werden. Das nervt mich
manchmal auch, dass ich da ständig für kämpfen muss, ich würde viel lieber
mehr Schönes machen, wo die Leute sich gern haben, ist aber nicht so.
Wie war es für Sie als Kind, von Teheran nach Hamburg-Eidelstedt
überzusiedeln?
In Eidelstedt war es zwar nicht so opulent wie in Teheran, aber Eidelstedt
war schön, weil ich da meine Freunde hatte. Mir hat es in meiner Kindheit
nie an etwas gefehlt.
Was ist typisch iranisch und was typisch hanseatisch an Ihnen?
Das ist schwer zu erklären. Dass man sich ordentlich zu kleiden hat, wusste
ich jedenfalls schon von meinen Eltern. Mein erstes Jackett habe ich schon
sehr früh bekommen, weil man eben im Iran schon als Kind auf Hochzeiten
geht. Und da trägt man eben Anzug.
Ihnen wird hanseatisches Understatement nachgesagt. Was verstehen Sie
selbst darunter?
Sich für seine Leistungen und seine Errungenschaften keine Orden an die
Brust pinnen, das ist so ein bisschen das, was ich unter hanseatischem
Understatement verstehe; sich in den Dienst einer Sache zu stellen aus
Gründen des Privilegiertseins. Das verknüpft sich auch ganz gut mit den
iranischen Werten, mit Geboten wie Höflichkeit und Anstand und Respekt vor
dem Alter.
Sind Sie noch oft im Iran?
Nein, in den 2000ern als Student war ich oft dort, da hatte ich noch Zeit.
Mittlerweile sind auch ein paar Menschen verstorben, die mir wichtig waren
und deren Haus immer für mich offen stand. Außerdem habe ich das meiste,
was ich im Iran sehen wollte, auch gesehen.
Werden Sie oft nach Reisetipps gefragt?
Ja, sehr oft. Aber da bin ich eine schlechte Adresse.
Wieso?
Der Iran verändert sich sehr schnell. Teheran ist nicht Hamburg. Da kannst
du nicht sagen, den Schanzenbäcker da hinten, den gibt’s schon seit 100
Jahren, geh da mal hin. Da schießt alles aus dem Boden und du erkennst die
eine Ecke nicht mehr, in der du schon etliche Male warst. Die Leute wollen
ja immer Geheimtipps. Ich mag keine Geheimtipps, man sollte Orte besser
selbst erkunden. Ich bin da eher konservativ. Ich fahre meist an dieselben
Orte und in dieselben Hotels. Ich bin nicht mehr der große Abenteurer, so
mit Rucksack durch die Mongolei und in der Jurte schlafen.
Abenteuern auf der Bühne sind Sie aber nicht abgeneigt.
Ganz im Gegenteil. Ich will meinen Job gut machen. Da mag ich es einfach
nicht, wenn man unvorbereitet ist. Ich möchte nicht als der unvorbereitete
Depp von der Bühne gehen und die Leute sagen hinterher: „Oh Gott, war das
schlecht.“ Ich bin immer zufrieden mit dem, was ich mache, manchmal etwas
mehr, manchmal etwas weniger. Wenn man vorbereitet ist, kann man souverän
sein. Das Gleiche gilt für die Ehrlichkeit.
Sie sind in Hamburg vermutlich bekannter als Bürgermeister Tschentscher.
Passiert es Ihnen trotzdem noch, dass Sie auf der Straße wegen Ihrer
Herkunft angefeindet werden?
Nein, in Hamburg passiert mir das nicht. Leute, die mich einfach so auf der
Straße ansprechen, sagen oft etwas Positives. Die, die mich beleidigen
wollen, schreiben Briefe.
Und die Polizeikontrolle heute?
Das war eine ganz normale Personenkontrolle. Vielleicht sollte man nicht
immer annehmen, dass einem die Leute was Böses wollen. Ein bisschen Druck
rausnehmen. Das täte uns ganz gut. Das würde entspannen. Und Entspannung
brauchen wir in der aktuellen Situation alle.
22 Nov 2018
## AUTOREN
Juliane Preiß
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Poetry Slam
Schwerpunkt Iran
Vorurteile
Islam
Aufklärung
Kunst im öffentlichen Raum
Jamel
Populismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Demokratie-Kunstwerk beschädigt: Zerpflückte Freiheit
2016 war er Ziel eines Brandanschlags. Nun steht Michel Abdollahis
„Schwamm“ wieder in Hamburg – und wurde prompt Ziel von Vandalismus.
Aktivistin kandidiert in Neonazi-Dorf: Kampf ohne Ende
Birgit Lohmeyer kämpft in Jamel gegen Neonazis. Damit will sie für die SPD
im Gemeinderat weitermachen. Aber: Die Rechten treten auch an.
Kulturelle Strategien gegen Rechts: Der Eigensinn der Ästhetik
Kulturschaffende sollten in Zeiten des Populismus politisch handeln.
Diskussionen bringen mehr als trotzige Verweigerungsgesten.
Bühnenleser Michel Abdollahi: Das Kosmodrom von Eidelstedt
Michel Abdollahi ist ein Star der Hamburger Poetry-Slam-Szene. In Altona
moderiert er jeden Monat den "Kampf der Künste". Aufgewachsen ist er im
Vorort Eidelstedt, als Kind iranischer Einwanderer. Eine Begehung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.