| # taz.de -- Veränderungen durch die Pandemie: Was bleibt nach Corona? | |
| > Covid-19 hat unser Leben verändert. Ein Blick auf acht Bereiche, in denen | |
| > das Neue die Pandemie überdauern könnte. | |
| Bild: Neues Publikum: Dänische Studierende spielen im April 2021 Cello für K�… | |
| Corona tritt – zumindest in unseren Breiten – in eine neue Phase ein. Mehr | |
| und mehr Menschen werden geimpft, erste Versuche sind zu beobachten, das | |
| alte Leben aus der Zeit vor der Pandemie wieder zurückzugewinnen: Cafés | |
| öffnen ihre Terrassen, die Frage, was Geimpfte und Genesene künftig | |
| gegenüber Nichtgeimpften tun dürfen, ist konkret geworden. Zeit also, eine | |
| Bilanz zu ziehen: Wir arbeiten anders, wir gehen anders miteinander um, | |
| wir bewegen uns anders, wir erleben, wie sich Altgewohntes neu denken | |
| lässt. Was davon könnte bleiben? | |
| ## Die Wissenschaft | |
| Was wäre man ohne sie gewesen – ohne Christian Drosten, Viola Priesemann, | |
| Isabella Eckerle, Michael Meyer-Hermann und Karl Lau… aber nein, der ist ja | |
| Politiker. Es waren aber die Wissenschaftler:innen, die der Öffentlichkeit | |
| in der Pandemie geholfen haben zu verstehen, was gerade passiert. Die Rede | |
| und Antwort standen, erklärten, oft auch Konsequenzen benannten. Nie zuvor | |
| hat die Wissenschaft eine so zentrale Rolle für die Bevölkerung gespielt, | |
| ist die Bedeutung der Forschung so sichtbar geworden. Nicht selten ist nun | |
| zu hören, dass die Akzeptanz gegenüber der Wissenschaft an Corona genesen | |
| ist. | |
| Aber man darf sich nichts vormachen. Das Virus hat nicht nur geeint, es hat | |
| auch massive Verständigungsprobleme und falsche Rollenvorstellungen im | |
| Verhältnis Öffentlichkeit und Forschung offengelegt, an denen in Zukunft zu | |
| knabbern sein wird. Die Wissenschaft hat zu lange versäumt, ein halbwegs | |
| realistisches und selbstkritisches Bild von sich zu vermitteln und damit | |
| die Gesellschaft zu wappnen für das Labyrinth der pandemischen | |
| Erkenntnissuche. | |
| Das rächt sich jetzt. Vor allem zwei Dinge blieben von Teilen der | |
| Öffentlichkeit unverstanden. Da ist zuerst die Vorläufigkeit | |
| wissenschaftlicher Erkenntnisse, die oft zu Widersprüchen führt und | |
| keinesfalls dazu taugt, endgültige Schlüsse zu ziehen. Ein Beispiel ist die | |
| Debatte um Kinder als „Pandemietreiber“. Aus einem Wirrwar ungeprüfter, | |
| vorpublizierter Studien, Preprints genannt, pickten sich | |
| Schulöffnungsbefürworter:innen genauso Belege für ihre Position heraus wie | |
| die Gegner:innen von Schulöffnungen. | |
| Die Folge waren verhärtete Fronten, aber kein Erkenntnisgewinn. All jene | |
| offenen Fragen, die normalerweise im wissenschaftlichen Prozess diskutiert | |
| werden und damit eine Sortierfunktion im Wust der Studien ausüben, fielen | |
| in dieser öffentlich geführten Diskussion einfach weg. Kein Wunder, es | |
| fehlte ja jede Erfahrung mit solchen Vorläufigkeiten. | |
| Ein zweiter Umstand wiegt womöglich noch schwerer: der, dass | |
| Wissenschaftler:innen Menschen sind. Nicht jeder Mensch ist selbstlos | |
| und klug. Auch manch Professor:in ist eitel, obgleich mäßig kompetent – | |
| und drängt ins Fernsehen, wenn sich die Chance bietet. So entstehen | |
| Expert:innen, die keine sind, und die qua Titel dennoch in Position | |
| gebracht werden, wenn Forscher:innen mit Kenntnis und Erfahrung | |
| unangenehme Tatsachen aussprechen. So werden Expertenkriege stilisiert, die | |
| keine sind. | |
| Die wissenschaftlichen Organisationen werden sich nach der Pandemie nicht | |
| darauf ausruhen können, einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Virus | |
| geleistet zu haben. Selbst wenn Letzteres fraglos Tatsache ist. | |
| Kathrin Zinkant | |
| ## Das Miteinander | |
| Wenn es in Beziehungen Konflikte gibt, dann dreht es sich meist um Fragen | |
| der Macht oder um solche von Nähe und Distanz. Häufig sind zu viel Nähe | |
| und zu wenig Distanz das Problem. Und dieses Problem ist uns in der | |
| Coronazeit abhanden gekommen, so wir nicht „einem Haushalt“ entstammen und | |
| einander ständig auf der Pelle hocken: Anstatt einander die Hände zu | |
| reichen, touchieren wir uns mit harten Knochen. Den Knöcheln oder den | |
| Ellbogen. | |
| Distanzierter, steifer geht’s nicht, außer man ist Hamburger Pfeffersack | |
| oder ostfriesischer Leuchtturmwärter. Und das ist wirklich ein Drama, | |
| hatten wir uns doch hierzulande gerade erst erfolgreich mediterranisiert. | |
| Legendär die Usus gewordenen ellenlangen Begrüßungs- und vor allem die | |
| Abschiedsrituale in Freundes- und sogar Kolleg:innenkreisen. Ein einziges, | |
| endloses Gedrücke, sich in den Arm nehmen und sanft an der Schulter | |
| berühren in engen Hausfluren und auf den Bürgersteigen vor gastronomischen | |
| Einrichtungen, im Winter auch unter dem Heizpilz. | |
| Nun reicht es also nicht einmal mehr für einen | |
| ostdeutsch-protestantisch-proletarischen Händedruck. Ganz zu schweigen von | |
| Münchner Gesellschaftsküssen, die angesichts der auftretenden Aerosolwirbel | |
| fast schon als justiziabel gelten. | |
| Was kommt als Nächstes? Die Rückkehr zu militärischen Begrüßungsformen aus | |
| der Kaiserzeit? Salutieren? Sich an den Hut tippen? Den rechten Arm | |
| hochreißen? | |
| Als wir noch nicht von Öffnungsorgien träumten, hatten wir einfach welche. | |
| Schubberten aneinander bei überfüllten Konzerten, drängten uns durch Mengen | |
| feuchtwarmer Körper auf Tanzflächen und inhalierten fröhlich die Alkohol | |
| gesättigten Ausdünstungen der Nachbar-Nachtschwärmer:innen in schlecht | |
| gelüfteten Etablissements. Menschen, die wir gelegentlich und in | |
| gegenseitigem Einvernehmen auch drückten/knutschten/ableckten. | |
| Nach einem Jahr Social Distancing können wir uns über zu viel Nähe nicht | |
| mehr beklagen. Vielleicht haben wir gelernt, auch bei einem „harmlosen“ | |
| Schnupfen in Zukunft zu Hause zu bleiben, anstatt ins Büro zu rennen. Aber | |
| ansonsten: Ringelpiez mit Anfassen! Bitte möglichst bald. Und viel. | |
| Martin Reichert | |
| ## Die Arbeitswelt | |
| Die Coronakrise zeigt Millionen von Angestellten und vielen | |
| Arbeitgeber:innen: Arbeiten kann man auch zu Hause. Die Pandemie hat zu | |
| einer enormen Stärkung des Homeoffice geführt – und laut Studien steigen | |
| Arbeitszufriedenheit und Produktivität von Beschäftigten dort. Davon | |
| profitieren auch Unternehmen. „Beschäftigte schätzen die Selbstbestimmung | |
| als größten Vorteil“, sagt die Soziologin Ivonne Lott von der | |
| gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. | |
| Das gilt allerdings nur, wenn die Arbeit zu Hause freiwillig und nicht | |
| verordnet ist. Die größere Flexibilität ist ein wichtiger Punkt: Wer im | |
| Homeoffice ist, kann schnell reagieren, wenn das Kind krank von der Kita | |
| abgeholt werden muss und keine lange Anfahrt nötig ist. Frauen nutzen | |
| Homeoffice anders als Männer, weiß die Soziologin. „Weil Frauen immer noch | |
| den Löwenanteil der Sorgearbeit tragen, ist ihr Arbeitsalltag | |
| zersplitterter“, berichtet sie. | |
| Doch die neue Arbeitswelt hat auch eine Kehrseite. „Fehlt die räumliche | |
| Trennung, schwappt die Arbeit schnell ins Privatleben“, sagt Lott. | |
| Beschäftigte können schlechter abschalten, der Kontakt zu den | |
| Kolleg:innen fehlt. | |
| Um das Positive nach der Pandemie zu erhalten, muss eine gute Mischung | |
| zwischen Präsenzarbeit und Homeoffice gefunden werden, sagt Lott. Sie | |
| plädiert dafür, das Recht auf Homeoffice zu verankern, damit die Arbeit von | |
| zu Hause aus als etwas Normales empfunden wird. Denn nur dann können | |
| Beschäftigte entspannt arbeiten und fühlen sich nicht unter | |
| Rechtfertigungsdruck. Betriebliche Regelungen sind erforderlich, etwa um | |
| eine gute Balance zwischen Privatleben und Arbeit zu gewährleisten. | |
| Besprechungen via Internet sind seit 20 Jahren möglich, haben aber erst | |
| jetzt weite Verbreitung gefunden. Nach Corona werden Videokonferenzen | |
| Geschäftsreisen ersetzen. Künftig wird in Deutschland im Vergleich zu 2019 | |
| ein Drittel aller Dienstreisen entfallen, erwarten | |
| Wissenschaftler:innen des Berliner Borderstep-Instituts für Innovation | |
| und Nachhaltigkeit. Sie haben im Auftrag des Verkehrsclubs Deutschland | |
| (VCD) Geschäftsleute befragt, wie oft sie bisher aus dienstlichen Gründen | |
| gereist sind und was sie für die Zukunft erwarten. Da die meisten | |
| Dienstreisen mit dem Auto oder dem Flugzeug erfolgen, würde bei einem | |
| Rückgang um ein Drittel ein CO2-Ausstoß von 3 Millionen Tonnen vermieden, | |
| sagen die Forscher:innen. | |
| Anja Krüger | |
| ## Die Live-Politik | |
| Wer früher Phoenix guckte, hatte auch ein Abo von c’t („Magazin für | |
| Computertechnik“), trug Bundfaltenhosen und sammelte Spielzeugpanzer. Alle | |
| anderen interessierten sich nicht für die Live-Übertragungen aus den | |
| Plenarsälen von Schwerin oder Berlin. Ich konnte stundenlang die russische | |
| Invasion in Grosny während des Ersten Tschetschenienkrieges in | |
| mitternächtlichen TV-Livestreams gucken. Aber ich entwickelte Antikörper | |
| und Abwehrsymptome, wenn ich Berufspolitiker:innen mit ihren | |
| rudernden Armen, kieksenden Stimmen und drohenden Zeigefingern sprechen | |
| hörte, die ihre Sätze immer mit einem donnernden „meine Damen und Herren“ | |
| beendeten. | |
| Heute aber bin ich polytoxikomaner PK-Junkie. Durch die unfreiwillige | |
| Teilnahme an drei Ausnahmezuständen (Brexit, Trump, Corona) sind Leute wie | |
| ich zu Bingewatchern von Plenardebatten, parlamentarischen Anhörungen und | |
| Ausschusssitzungen geworden. Die Livestreams des britischen Parlaments, des | |
| Weißen Hauses, des Bundestags, der Bundespressekonferenz oder die | |
| Pressekonferenzen der Ministerpräsidentenkonferenzen – ich sauge alles ein. | |
| Das pandemische Politik-Bingen bietet alles, was gute Politserien auch | |
| bieten: neben ambivalenten Charakteren (Armin, Markus, Manuela) brutale | |
| Machtkämpfe („Ich kann das“), tolle Cliffhänger (stundenlanges Starren auf | |
| ein leeres Podium, wo die Kanzlerin die neuen Maßnahmen bekannt geben | |
| soll), true crime (Maskenaffäre, Toilettenpapierhandel) und Kitsch | |
| („Tschüß. Mach’s gut und see you“). | |
| Allerdings hat das pandemische Politik-Bingen sehr viel mit der Faszination | |
| von Verkehrsunfällen zu tun. Nicht, weil die Berufspolitiker:innen | |
| so tolle Sachen sagten, machten und um Entschuldigung und Nachsicht baten, | |
| wurde man zum schwerstabhängigen PK-Konsumenten. Es war viel eher das | |
| fassungslose Entsetzen darüber, dass nicht nur Wissenschaftler:innen | |
| weniger wissen, als man so dachte, sondern dass | |
| Berufspolitiker:innen noch viel weniger wissen, als man so dachte. | |
| Dass Politiker:innen trotz jahrelanger Beteuerungen, für eine Pandemie | |
| gerüstet zu sein, nicht wussten, was zu tun ist, ist aber nur ein Unfall | |
| mit leichten Verletzungen. Der folgenreichere Crash liegt in der | |
| Erkenntnis, dass Politiker:innen nicht wissen, wie sie diese | |
| Unsicherheit so kommunizieren, dass sich der Respekt selbst der | |
| wohlwollendsten ihrer Verfolger nicht in Spott, Verachtung und Bekämpfung | |
| verwandelt. Das Ergebnis ist, dass ein fränkischer Hallodri es geschafft | |
| hat, eine Umfragemehrheit davon zu überzeugen, dass er der Einzige ist, der | |
| von Anfang an wusste, wie man den Laden zusammenhält. | |
| Während ich dieses Textchen schreibe, habe ich einen Livestream | |
| angeschaltet, der die PK der CSU-Fraktionsklausur überträgt. Ich hoffe, | |
| dass ich diese Sucht auch wieder abschalten kann. Denn vielleicht ist der | |
| fränkische Hallodri nur deswegen so erfolgreich, weil Leute wie ich ihn im | |
| Livestream verfolgen. Vielleicht werden Leute wie er erst wieder an | |
| Umfragewerten einbüßen, wenn Leute wie ich wieder weniger Pressekonferenzen | |
| und Ausschusssitzungen bingen. | |
| Doris Akrap | |
| ## Der Straßenverkehr | |
| Das Wesen der Pop-up-Bikelane ist es, dass sie plötzlich auftauchte, wie | |
| über Nacht, und wahrscheinlich kam sie wirklich über Nacht, denn | |
| Straßenarbeiten werden ja für gewöhnlich nachts erledigt, um den | |
| Autoverkehr nicht zu behindern. Hier war es nur so, dass nach dieser Nacht, | |
| in der die Pop-up-Bikelane kam, der Autoverkehr sich dauerhaft würde | |
| einschränken müssen. | |
| So schnell kamen diese Lanes, dass die Zeit sogar zu knapp war, einen | |
| passenden deutschsprachigen Namen zu finden, deshalb benutzen nun alle den | |
| englischen Begriff. Aufgeploppte Fahrradspur würde passen, aber dafür ist | |
| es jetzt zu spät, zumal diese Straßenräume, die mittels gelber Linien oder | |
| rot-weiß gestreifter Baken dem Autoverkehr abgeknapst wurden, zumindest in | |
| Berlin verstetigt werden. Die bleiben, und damit ist klar, dass die | |
| Mobilität mittels Fahrrad eindeutig gewonnen hat durch die Coronapandemie. | |
| Wobei natürlich auch der Autoverkehr gewonnen hat, so muss man es sehen. | |
| Der hat zwar nun weniger Platz, aber die Räume sind klarer verteilt, Räder | |
| und Autos kommen sich nicht mehr so leicht ins Gehege, das schafft weniger | |
| Streit, weniger Stress, weniger brenzlige Situationen – mehr Sicherheit für | |
| alle. | |
| Es war Felix Weisbrich, der inzwischen weltberühmte Leiter des Straßen- und | |
| Grünflächenamtes im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, der die | |
| Idee hatte, angesichts der coronabedingt geltenden Abstandsregeln den Raum | |
| für die steigende Anzahl von Radfahrern zu vergrößern. Ein Verwaltungsmann | |
| also, der aufgrund tiefer Kenntnis diverser Gesetzestexte einen schließlich | |
| auch gerichtsfesten Weg fand, das zu tun, wofür „die Politik“ in | |
| langwierigen Prozessen unendlich viel mehr Zeit benötigt hätte. | |
| Selten hat jemand aus einer Krisensituation heraus so klug und der Zukunft | |
| zugewandt gehandelt wie Weisbrich. Vielleicht ist so etwas beispielgebend | |
| auch für andere Amtsleute. | |
| Felix Zimmermann | |
| ## Die Maske | |
| Wer den kulturellen Chauvinismus der westlichen Welt verstehen will, soll | |
| sich den Eiertanz ums Maskentragen anschauen. Da waren sich noch im | |
| Frühjahr 2020 Leute [1][wie Michael Ryan], der Nothilfedirektor der | |
| Weltgesundheitsbehörde WHO, [2][aber auch Lothar Wieler], Präsident des | |
| [3][Robert-Koch-Institut]s, und der Gesundheitsminister [4][Jens Spahn] | |
| sicher, dass es nichts bringt, in einer Pandemie Mund und Nase zu bedecken. | |
| Was sie damit zum Ausdruck brachten: Länder wie China, Japan, Korea, wo es | |
| selbstverständlich ist, Mund und Nase zu bedenken, wenn man erkältet | |
| unterwegs ist, zählen nicht. Wie man so etwas nennt? Kulturelle Arroganz | |
| wohl. | |
| Das wirklich Gute: Millionen Frauen weltweit haben sich dennoch hingesetzt | |
| und Mund-Nasen-Bedeckungen genäht, trotz solch unbewiesener Behauptungen | |
| bezüglich deren Nutzlosigkeit. Die Frauen haben es getan, weil sie etwas | |
| tun wollten, um ihre Familien zu schützen, weil sie gesehen haben, wie sehr | |
| die Krankenschwestern in den Hospitälern unter dem Maskenmangel litten. | |
| Erst als die ersten Studien nachgewiesen hatten, dass Masken schützen, | |
| änderte sich die Rhetorik von Politiker:innen, dem RKI, der WHO. Und was | |
| kriegten die Studien raus? Mund-Nasen-Bedeckungen schützen erheblich. Sie | |
| schützen nicht nur die anderen, sondern auch die Leute, die sie tragen. Die | |
| Selbstgenähten der Frauen [5][schnitten dabei so gut ab] wie medizinische | |
| Masken, wenn sie aus Baumwolle oder Seide und mehrlagig waren. | |
| Das wiederum hat die Politiker hierzulande nicht davon abgehalten, im Laufe | |
| der Pandemie anzuordnen, dass nur noch industriell gefertigte OP-Masken, | |
| die den selbstgenähten in der Wirkung bestenfalls gleich sind, oder | |
| FFP2-Masken getragen werden dürfen. | |
| Der Vorteil für einige Politiker der CDU dabei: Sie konnten mit diesen | |
| Masken dank Provisionen viel Geld verdienen. Im Umkehrschluss haben sie | |
| damit die Leistungen der nähenden Frauen klein gemacht. Aber das gehört zum | |
| westlichen Kulturchauvinismus dazu, dass Leistungen von Frauen weniger | |
| zählen. | |
| Wie wirksam das Maskentragen und die Hygienemaßnahmen sind, zeigt sich nun | |
| zudem daran, dass die normale Influenza dieses Jahr so gut wie ausgeblieben | |
| ist. Laut RKI gab es in der laufenden Grippesaison 2020/2021 bis Ende April | |
| [6][541 Influenza-Fälle]. Vor einem Jahr waren es über 185.000. | |
| Daraus könnte abgeleitet werden: Wer in Zukunft eine Erkältung oder Grippe | |
| hat, soll, so er oder sie unterwegs ist, Nase und Mund bedecken. Gut | |
| möglich, dass es in den westlichen Ländern jedoch nicht so weit kommt. Weil | |
| das erneut einen Kniefall vor der Kultur Asiens bedeutete. Es sei denn, | |
| dass auch dieses Mal die Frauen ihre selbstgenähten Masken hervorholen und | |
| sich und andere damit schützen. Unter dem Hashtag | |
| #FrauenhörennichtaufMänner sollte das die Runde machen. | |
| Waltraud Schwab | |
| ## Die kulturelle Teilhabe | |
| Kunstwerke haben auch im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit | |
| eine Rest-Aura. Das jedenfalls bewirkten etwa 100 Jahre nach dem | |
| Benjamin’schen Diktum über den Aura-Verlust der Kunst die pandemiebedingten | |
| Einschränkungen. Allein die Erinnerung an Ausstellungen, Theaterstücke oder | |
| Konzerte trieb Tränen der Rührung in die Augenwinkel – ein indirekter | |
| Aura-Beweis. | |
| Kunstbegegnungen, wie wir sie kannten, fanden weitgehend nicht statt. Den | |
| Ausstellungshäusern traute die kulturferne Politik nicht zu, die auch in | |
| Normalzeiten oft überschaubaren Publika in meist mit sehr viel Luft | |
| gefüllten Sälen unter Wahrung aller Abstandsregeln zu empfangen. | |
| Theater und Konzertveranstalter waren noch stärker erschüttert. Denn ihre | |
| Kunstformen setzen meist auf Versammlungen von eher vielen Menschen | |
| Schulter an Schulter, Mund an Nacken. Diese Not führte zur Entwicklung | |
| diverser digitaler Bühnen: Livekommunikation mithilfe von | |
| Messengerdiensten und Videokonferenzen, Aufführungen in virtueller und | |
| erweiterter Realität. Geteilte Zeit statt gemeinsam besuchter Ort war hier | |
| oft das Motto. In Hybridmodellen, mit Handy oder Laptop zu Hause, unterwegs | |
| oder in einem Theaterbau wären solche Praktiken auch über die Pandemie | |
| hinaus reizvoll. | |
| Das größte Potenzial verspricht für das Theater die erweiterte Realität. | |
| Bühnen- oder Stadträume können digital überschrieben werden. Das klassische | |
| Format des Audiowalks erfährt so seine dreidimensionale Erweiterung. | |
| Abzusehen ist, dass die alte Bühnen- und Konzertrealität mit ihrem | |
| ausdifferenzierten System an geförderten Institutionen, | |
| privatwirtschaftlich agierenden Unternehmer*innen und frei | |
| flottierenden Künstler*innen nach der ultimativen Öffnung so nicht | |
| wiederkehrt. Zwei Unsicherheitsfaktoren belasten die Branche: Wie viele | |
| Leute trauen sich überhaupt wieder in geschlossene Räume mit vielen | |
| anderen? Und als wie wichtig wird nach dem postpandemischen Kassensturz | |
| Kulturförderung eingeschätzt? Angesichts des marginalen Stellenwerts von | |
| Kultur schon während der Pandemie droht eine neue Kahlschlagswelle. Und der | |
| Mensch selbst läuft Gefahr, als Kulturwesen zu verkümmern. | |
| Tom Mustroph | |
| ## Die Arznei-Entwicklung | |
| Als der Krebsforscher und Biontech-Gründer Uğur Şahin Ende August 2020 nach | |
| der Zukunft der Arzneimittelentwicklung gefragt wurde, war das neue | |
| Coronavirus gerade mal acht Monate bekannt – und das Covid-Vakzin des | |
| Mainzer Unternehmens schon fast auf dem Weg zur Zulassung. | |
| Impfstoffe sind eine, wenn nicht die Erfolgsgeschichte der Pandemie. Corona | |
| hat die Translation von Forschung in die Klinik, die sonst bis zu 15 Jahre | |
| Zeit erfordert, auf die Dauer von einem Jahr zusammenschnurren lassen. Ein | |
| Exempel, geboren natürlich aus der Not. | |
| Dennoch ist klar, dass dieses Beispiel für die Pharmaindustrie Folgen haben | |
| wird. Zumindest steht nicht nur für Şahin fest, dass die Entwicklung von | |
| Arzneimitteln schneller werden muss. Kontrolle ja, natürlich. Aber weniger | |
| bürokratische Hürden, mehr Ressourcen, weniger Wartezeiten im | |
| Zulassungsverfahren – damit könnte es in Zukunft schneller gehen, und das | |
| nicht nur bei der Entwicklung von Impfstoffen. | |
| Für hochentwickelte Industriestaaten mag diese Perspektive so | |
| funktionieren, zumal neue Technologien hier schon existieren und auch | |
| umgesetzt werden können. Dennoch zeigt die Krise aktuell sehr deutlich, | |
| woran es mangelt und weiter mangeln wird, wenn allein der | |
| Translations-Turbo eingelegt wird. | |
| Indien etwa befindet sich seit März im pandemischen Ausnahmezustand mit | |
| offiziell Hunderttausenden Neuinfektionen täglich, Dunkelziffer unbekannt. | |
| Befördert wird die zweite Welle nicht zuletzt dadurch, dass das Land mit | |
| der weltweit viertgrößten Produktion von Covid-Impfstoffen fast keine | |
| Coronavakzine für seine Bevölkerung hat. | |
| Nicht einmal zehn Prozent der Inder:innen sind einfach geimpft, mehr als | |
| neunzig Prozent der knapp 1,4 Milliarden Menschen dort sind dem Virus | |
| schutzlos ausgeliefert. Zu allem Überfluss verbreitet sich in Indien eine | |
| mutmaßlich sehr ansteckende Variante von Sars-CoV-2 besonders rasant. | |
| Viele andere Entwicklungs- und Schwellenländer erleben ähnliche | |
| Gemengelagen aus starker Virusverbreitung, Mutantenbildung und zugleich | |
| sehr niedriger Impfquote. | |
| Für Gerechtigkeit, was den Zugang zu Arzneien angeht, nicht nur während | |
| einer Pandemie, sind deshalb auch politische und wirtschaftliche | |
| Veränderungen nötig, die sich auch nicht in der zeitweisen Aufhebung des | |
| Patentschutzes erschöpfen können. | |
| Denn was soll ein Staat wie Indien mit einem Kochrezept für einen modernen, | |
| aber empfindlichen Impfstoff wie jenem von Biontech – wenn weder die | |
| nötigen Rohstoffe, noch Speziallabors noch Kühlketten für Herstellung und | |
| Transport im Land selbst verfügbar sind? | |
| Kathrin Zinkant | |
| 15 May 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.allgaeuer-zeitung.de/leben/rki-nur-541-influenza-f%C3%A4lle-sei… | |
| [2] https://www.facebook.com/watch/?v=728814587525394 | |
| [3] https://www.nzz.ch/international/hat-das-rki-im-kampf-gegen-corona-versagt-… | |
| [4] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/03/31/spahn-und… | |
| [5] https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/coronavirus/studie-zu-mund… | |
| [6] https://www.allgaeuer-zeitung.de/leben/rki-nur-541-influenza-f%C3%A4lle-sei… | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
| Waltraud Schwab | |
| Felix Zimmermann | |
| Doris Akrap | |
| Kathrin Zinkant | |
| Anja Krüger | |
| Tom Mustroph | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Pop-up-Bikelane | |
| Social Distancing | |
| Arbeit | |
| GNS | |
| Feminismus | |
| Kolumne Immer bereit | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Geschlechterfragen während Corona: Kein Zurück | |
| Frauen und Männer sind durch die Pandemie nicht in alte Rollen | |
| zurückgefallen. Sie müssen aber mehr verhandeln, wer welche Aufgaben | |
| übernimmt. | |
| Kolumne Immer bereit: Jammern ist ein Privileg | |
| Mütterhass ist die konsensfähigste Form der Frauenverachtung. | |
| taz-Kolumnistin Lea Streisand rät Müttern gerade deshalb zum öffentlichen | |
| Jammern. | |
| Sozialarbeiter zu Corona und Armut: „Es ist einfach schrecklich“ | |
| Weite Teile Offenbachs sind soziale Brennpunkte und deshalb vom Coronavirus | |
| besonders betroffen. Ein Gespräch mit dem Migrationsberater Ali Karakale. | |
| Abgeordneter über EU-Impfstrategie: „Wir müssen jetzt offensiv sein“ | |
| Die Impfung werde Corona schnell den Schrecken nehmen, meint der | |
| konservative Parlamentarier Peter Liese. Die EU sei mit ihrer Strategie | |
| weit vorn. | |
| Versäumnisse in der Coronaforschung: Es fehlen die Daten | |
| Über ein Jahr schon versetzt uns Covid-19 in den Ausnahmezustand. Viele | |
| Fragen hätte die Wissenschaft schon längst beantworten können. |