# taz.de -- Trampen in Griechenland: Ein bisschen Nestwärme für alle | |
> Unsere Autorin hat zwei Jahre im Lkw gelebt. Alle vier Wochen schreibt | |
> sie über Gehen, Bleiben und Reisebegegnungen. Dieses Mal aus der Provinz | |
> Epirus. | |
Bild: Die Provinz Epirus in Griechenland | |
Der Albaner ist der Einzige, der anhält. Das überrascht ihn nicht, sagt er | |
uns, die Griechen nähmen nämlich keine Anhalter mit. [1][Wir] sind zu Fuß | |
unterwegs durch den oft noch wilden Nordwesten Griechenlands. Mit dem | |
Rucksack geht es an Landstraßen entlang und durch schroffe | |
Berglandschaften; es sind improvisierte Wanderungen, einen ausgewiesenen | |
Wanderweg gibt es nicht. Niemand läuft hier zu Fuß, außer Hirt:innen mit | |
Ziegen. | |
Der Albaner nimmt uns mit zur nächsten Stadt. Er ist nach dem Zusammenbruch | |
der Diktatur Enver Hoxhas nach Griechenland gekommen – für ein freies | |
Leben, wie so viele. Er bereut es nicht, obwohl es in Albanien mit jedem | |
Jahr aufwärts ginge, findet er. Aber seine Kinder und Enkel leben hier, und | |
heute fühle er sich als Grieche. Außer wohl beim Autostopp. | |
Die Provinz Epirus, das Armenhaus Griechenlands, ist ein Ort des Kommens | |
und Gehens. Albaner:innen kamen, Griech:innen gingen. Vor allem nach | |
Deutschland. Wir hören so viel Deutsch, dass es fast einen unangenehmen | |
Beigeschmack bekommt: Epirus war ein günstiges Arbeitsreservoir, von dem | |
man in Deutschland nichts weiß. | |
Da ist der Rentner, der lange in Hannover lebte. Mittlerweile ist er zurück | |
im heimischen Dorf. Er zeigt uns seine alte Schule, erzählt von | |
NS-Verbrechen in Epirus und schimpft über den jungen achtlosen | |
Bürgermeister im Dorf, der Umweltzerstörung toleriert, und die | |
italienischen Jäger, die die örtliche Vogelpopulation vernichten. Ganz | |
zugehörig fühle er sich hier nicht mehr. Und doch zieht es ihn zurück in | |
die Heimat. Aber Hannover sei die schönste Stadt Deutschlands, da | |
verhandelt er nicht. | |
Überall treffen wir Zurückgekehrte. Und hören von ihren Kindern, die in | |
[2][Deutschland] blieben. Wie das Ehepaar in Glyki, einem kleinen Nest an | |
einem wunderschön klaren Gebirgsfluss. Der Sohn arbeitet bei einem großen | |
deutschen Konzern, die Tochter arbeitete gerade beim Oktoberfest, und | |
beides scheint ihnen gleich viel Stolz wert, der Konzern und das | |
Oktoberfest. | |
Zugleich gibt es die jung Gekommenen. Keine Zurückgekehrten, denn sie | |
wuchsen ja nie hier auf. Eine Wirtin ist in Deutschland groß geworden, aber | |
sie nennt es: „Ich habe dort gewohnt.“ Sie lebt jetzt mit eigenem | |
[3][Restaurant in Griechenland], im Heimatdorf ihres Vaters, eine | |
umgekehrte Erfolgsbiografie. Und zuletzt gibt es die, die keine Wahl | |
hatten. Der Vermieter einer Ferienwohnung erzählt, er musste als Teenager | |
gegen seinen Willen zurückkehren und wurde doch heimisch. Er nimmt uns im | |
Auto mit. Da haben wir längst gelernt, dass auch Griech:innen Anhalter | |
mitnehmen. Der Albaner, also der Grieche, hatte Unrecht. | |
12 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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