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# taz.de -- Theatertreffen 2016 in Berlin: Allheilmittel gegen die Trauer
> Das Schauspielhaus Hamburg schickt sein „Schiff der Träume“ nach Berlin.
> Trotz Widersprüchen ist es wieder ein Glanzlicht von Karin Beier.
Bild: Thema Flucht: Szene aus dem „Schiff der Träume“
Berlin taz | Das Schauspielhaus Hamburg gehört zu den Theatern, die das
Thema der Flüchtlinge auf ihre Agenda gesetzt haben. Nicht nur in den
Inszenierungen, sondern auch durch konkrete Hilfe, Angebot von
Notübernachtungen und Schutz von Flüchtlingsgruppen vor rechten
Demonstranten. Karin Beier, Intendantin und Regisseurin, weist dabei stets
darauf, dass dies das Engagement von Mitarbeitern sei, keine Aktion des
Theaters als Institution.
Als Regisseurin aber hat sie sich genau dies als Thema vorgenommen, in
ihrer Inszenierung „Schiff der Träume – ein europäisches Requiem nach
Federico Fellini“. Wie weit reicht unser Engagement für die Flüchtlinge,
was erwarten wir von ihnen, wenn wir von Diversität als Utopie reden? Und
was sagt das über uns aus? Diese Fragen wirft das Stück auf.
Schon letztes Jahr eröffnete das Theatertreffen mit einer großartigen
Abrechnung mit der europäischen Abschottung: vom Thalia-Theater Hamburg
kamen „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek und Nicolas Stemann,
gespielt von Schauspielern und Flüchtlingen. Karin Beiers „Schiff der
Träume“ erinnert manchmal daran, weil wieder zwei unterschiedliche
Darstellergruppen aufeinander treffen, Schauspieler aus dem Ensemble und
eine Gruppe nicht minder starke Performer aus Haiti, Ruanda, Burkino Faso
und der Elfenbeinküste.
Sie spielen die afrikanischen Flüchtlinge, die von einem Schiff, das
vollbesetzt mit exzentrischen Musikern ist, unterwegs zu einem Trauerritual
für ihren verstorbenen Dirigenten, aufgenommen werden. Weil die Rollennamen
der Schwarzen aber mit ihren Künstlernamen identisch sind, werden ihre
kurzen biografischen Fluchtgeschichten manchmal für bare Münze genommen.
Und weil sie in einem völlig anderen Rhythmus singen und tanzen, wird ihre
Energie als der Einbruch des wahren Lebens in die müde Kunst wahrgenommen.
Als ob sie pures Dasein wären und nicht inszeniert.
Aber genau das ist der Trick dieser Inszenierung: Sie lässt in den weißen
und schwarzen Schauspielern zwei Kunstmilieus aufeinanderprallen, die dann
als jeweils repräsentativ für Europa und Afrika, für die Konvention und das
Andere stehen. Das hat zwar großen Witz, ahmt aber genau die Zuschreibungen
nach, aus deren Korsett man ja eigentlich heraus will. Ein dann doch sehr
einfaches Schwarzweiß.
## Verklärend exotisiert und dämonisch-sexuell
Amüsieren kann man sich zunächst allerdings famos und vielleicht ist dieses
Lustvolle, Spielerische ja auch die Hauptsache. Wie in den ersten neunzig
Minuten über den Tod philosophiert wird und die Neue Musik als Blick in den
Abgrund vorgeführt wird, treibt einem schnell Tränen des Lachens in die
Augen. Wenn Josef Ostendorf indigniert das Spezialschlagzeug Schwimmflossen
anlegen muss, wenn Charly Hübner als Triangelspieler erst in Wut über die
Diktatur des toten Dirigenten ausbricht, ihn dann voll Reue beweint – dann
sieht man eine großartige Komödie über die Widersprüche und die Künstler.
Doch das alles wird als traurige Auswüchse des Individualismus, der
unweigerlich Schlaflosigkeit, Einsamkeit und Depression im Schlepptau hat,
markiert, wenn die Menschen aus Afrika in der Mitte des Stücks an Bord
kommen. Sie stellen sich vor als das Allheilmittel gegen die Trauer und die
Einsamkeit der westlichen Welt – der Deutschen insbesondere. Michael
Sengazi, ein junger Comedian aus Ruanda, hält einen schönen Vortrag über
die aussterbende Art der Deutschen. Gotta Depri packt in seine fiktive
Flüchtlingsbiografie alle Opferrollen, für die Europa sich schämen muss.
Und nennt sich dabei doch stets einen „lucky man“, weil er das alles
überlebt hat.
Aber dann rauscht in der Begegnung der beiden Gruppen doch sehr schnell ein
Ausprobieren von Annäherungen und Haltungen vorbei, von Ablehnung und
Furcht, von Aktivismus und Solidarität, von verklärender Exotisierung und
sexueller Dämonisierung, das vieles antippt und quick verrührt, aber wenig
weiterdenkt.
## Arschtritt für Astrid
Die wichtigste Rolle hat am Ende die stets unterschätzte Servicekraft
Astrid Klein, von Lina Beckmann stotternd und störrisch gespielt, wie
„Aarschtritt“ spricht sie ihren Namen aus. Je mehr sie sich müht, dem
Hochglanzversprechen des Kreuzfahrtschiffes zu entsprechen, desto gemeiner
wird sie von den Künstlern schikaniert und herumgejagt. Sie durchschaut sie
aber, parodiert sie und weigert sich im zweiten Teil, die Schiffbrüchigen
wieder ins Unterdeck zu vertreiben, wenn die weiße Gesellschaft von ersten
Annäherungen genug hat. Ihr Klassenbewusstsein sagt Astrid, dass hier viel
Stuss geredet wird und der Humanismus letztlich auf das Sonnendeck
beschränkt bleibt.
Lina Beckmann und Karin Beier haben dem Theatertreffen schon mehrfach
Glanzlichter aufgesetzt, voll des Spotts auch darüber, was die Kunst retten
und heilen soll, wo andere gesellschaftliche Kräfte versagen. Und sie
schaffen es wieder, allem zum Trotz, was an der Inszenierung auch
oberflächlich und widersprüchlich ist.
8 May 2016
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theatertreffen Berlin
Flucht
Karin Beier
Deutsches Schauspielhaus
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Hamburg
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Elfenbeinküste
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Elfriede Jelinek
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