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# taz.de -- Theatertreffen Berlin: Plötzlich steht alles in Frage
> Die Relevanz des Theaters stand in der letzten Saison besonders auf dem
> Prüfstand. Davon erzählt ein Juror des Theatertreffens.
Bild: Die Jury des Theatertreffens 2016: v.l. Peter Laudenbach, Barbara Burckha…
The same procedure as every year? Nein! Jede Jury, die auf diese Frage laut
„nein“ sagen kann, weil sie nicht bei den üblichen Verdächtigen stehen
geblieben ist, kann eigentlich stolz auf sich sein. So geht es dem
Theatertreffen 2016: Denn mehr als die Hälfte der zehn „bemerkswerten
Inszenierungen“, die diesmal nach Berlin eingeladen sind, zum
Theatertreffen ab dem 6. Mai, stammt von RegisseurInnen, die zum ersten Mal
dabei sind.
Dazu gehören Ersan Mondtag (28 Jahre alt), mit einer beinahe wortlosen,
gruseligen Performance, „Tyrannis“ (Staatstheater Kassel), Daniela Löffner
mit einem leicht und anekdotisch erzählten Roman von Turgenjew, „Väter und
Söhne“ (Deutsches Theater Berlin) und Anna-Sophie Mahler, eine sehr genau
mit musikalischen Strukturen arbeitende Regisseurin, die „Mittelreich“ nach
einem Roman von Josef Bierbichler inszeniert hat (Kammerspiele München).
Auch Simon Stone („John Gabriel Borkman“) und Clemens Sienknecht („Effi
Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“), die beide
sehr frei mit ihren Vorlagen umgehen, werden dazu gezählt.
## Einbruch der Realität
Das ist schon mal ein vielversprechender Ansatz. Trotzdem hat Bernd Noack,
einer der sieben Kritiker aus der Jury, die sich 394 Inszenierungen in
Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschaut hat, für die Zeitschrift
Theater heute einen bemerkenswerten Text über den „schwierigen Weg der Jury
zur Auswahl für das Theatertreffen“ geschrieben. Der beginnt mit einer
fiktiven Pressemitteilung: Dass die Jury diesmal eigentlich keine Stücke
aussuchen konnte, weil sie in allen Städten, an vielen Bahnhöfen – Juroren
reisen mit dem Zug – und in vielen Theatern über die Not der Flüchtlinge
stolperte. Und das war keine Fiktion.
Und nicht nur dort drängte sich die Realität in ihre Jury-Reisen, sondern
auch in den Hotelzimmern. Als sie, jeder in einer anderen Stadt, nach einem
Theaterabend den Fernseher einschalteten und von den Terror-Anschlägen in
Paris erfuhren. Oder wenn vor dem Theater die AfD demonstrierte. Dann, so
erzählt Bernd Noack, hatten sie oft mit dem Zweifel an der Relevanz ihres
Tuns, der Auswahl von 10 Kunstprodukten, zu kämpfen.
## Fiktion eines anderen Auftrags
Und er spinnt in der fiktiven Pressemitteilung weiter, dass sie deshalb 10
Theater in Bochum, Dresden, Hamburg, München (und weiteren Städten) für
ihre Arbeit mit Flüchtlingen und die Positionierung gegen rassistische
Tendenzen auszeichnen wollten.
Sie haben das nicht getan, sie sind bei ihrem Auftrag geblieben. Doch es
ist einem Juror hoch anzurechnen, diesen Zweifel in das eigene Tun, und
damit auch in die Institution Theatertreffen, so offengelegt zu haben.
Letztendlich sind nur zwei Inszenierungen in ihrer Auswahl, die mit dem
Thema Flucht und Migration umgehen: Von Karin Baier, die mit „Schiff der
Träume“ (Deutsches Schauspielhaus Hamburg) das Festival eröffnet, und von
Yael Ronen, die in „This Situation“ vom Deutsch-Unterricht in Berlin
Neukölln erzählt und in einem komischen Polit-Kabarett viele Projektionen,
Unterstellungen und Missverständnisse aufblitzen lässt.
Theater wird so gern als Reflexion hochgehalten und als Teil der
Selbstverständigung einer Gesellschaft über ihre Befindlichkeiten und
Konflikte gerechtfertigt. Aber es ist auch immer mehr als das, in der
Vielfalt der Stoffe, Genres und Stimmen, und zugleich weniger. Denn dieser
Anspruch ist sehr theoretisch gedacht und nicht aus dem Leib und Leben der
Spielenden heraus. Man wird noch sehen, was das in diesem Jahr an Eigensinn
mit sich bringt.
6 May 2016
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theatertreffen Berlin
Simon Stone
Ersan Mondtag
Deutsches Theater
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