# taz.de -- Porträt des Regisseurs Simon Stone: Der Theaterstrauchdieb | |
> Simon Stone kommt erstmals zum Theatertreffen nach Berlin. Der dezidierte | |
> Kinonerd arbeitet mit einer hart geschnittenen Bildwelt. | |
Bild: Simon Stone, übersetzt Theaterstoffe für die Netflix-Generation | |
Befreiung oder Bankrotterklärung des Theaters? Am gerade mal 31-jährigen | |
Simon Stone scheiden sich die Geister. Für die einen ist der gerade an | |
europäischen Bühnen heiß gehandelte Australier der ersehnte Retter des | |
Schauspielertheaters. Für die anderen nur ein eitler Banause, ein ärgerlich | |
weit über Wert verkaufter Theaterstrauchdieb. Was die einen begeistert, | |
stößt den anderen übel auf: dass Stone sich nonchalant über die großen | |
Klassiker hermacht und sich dabei um Werktreue nicht viel schert. | |
Adaptionen kann man, was am Ende herauskommt, kaum noch nennen – oft bleibt | |
kein Wort vom Original übrig. „Überschreibung“ nennt Stone das. Ausgehend | |
von ein paar exzentrischen Verbindungen und Mehrdeutigkeiten, werden | |
Plotskelette entfleischt, bis nur ein paar Motive, Situationen und Figuren | |
übrig sind, mit denen dann ausdrücklich antiliterarisch herumgespielt wird. | |
Große Menschheitsfragen bricht Stone aufs Familiendilemma herunter, stülpt | |
die Stücke von hinten nach vorn, macht sich über ihre Konstruktion lustig, | |
erzählt sie mit schnoddriger Alltagssprache und Tragikomik neu. | |
## Der Titelheld verschwunden | |
Sehen konnte man das zuletzt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, wo | |
Stone von Ibsens dramatischem Gedicht „Peer Gynt“ nur eine Ruine übrig | |
lässt, in der der Mythos nur noch herumspukt. Der Titelheld taucht gar | |
nicht mehr auf, stattdessen macht Stone aus der Geschichte vom Traumtänzer, | |
der auf der Suche nach einem unverwechselbaren Ich-Kern die Welt erobert | |
und wieder verliert, ein assoziatives Spiel um drei namenlose, aus der | |
Rolle gefallene Frauen. Sie ringen inmitten hysterisch-hilfloser Männer, | |
die zu Witzfiguren verkommen, um ihr Recht auf einen eigenen | |
Peer-Gynt-Komplex: sie ringen darum, sich wie Männer selbst suchen und | |
dabei auch scheitern dürfen. | |
Aber daraus wird keine feministische Dekonstruktion, sondern eine rasante | |
Familienkomödie irgendwo zwischen Telenovela und David-Lynch-hafter | |
Traumerzählung, in der Stone sein Ensemble durch fast schon wie Filmsets | |
wirkende Bilder hetzt. Da wird aus der Begegnung mit der Trollfamilie ein | |
LSD-Trip mit einer gruseligen Armee von Clown-Zombies. Die | |
Nordafrika-Episode verwandelt sich in eine Szene in einer heruntergekommen | |
Expat-Bar, in der Raubgut aus der vom „Islamischen Staat“ geplünderten | |
Ruinenstadt Palmyra vertickt wird. | |
## 15 DVDs jede Woche | |
Man darf darin den von Stone selbst gesetzten gesellschaftskritischen | |
Anspruch vermissen, einen solch unbekümmerten Umgang mit dem Meisterwerk | |
für zu leichtfertig halten, für eine ärgerliche Verflachung. Aber wenn man | |
sich auf die schnoddrig-knallige Entführung des Ibsen-Stoffes einlässt, | |
dann erlebt man durchaus einen schlüssig erzählten und erfrischend | |
kurzweiligen Abend, der zwischen allerlei trivialer Komik den Tiefgang nie | |
ganz aus den Augen verliert. | |
Als Regisseur ist Stone Showmensch. Seine Antwort auf die Frage, wie man | |
die großen Stoffe noch überzeugend auf die Bühne bringt und damit Säle | |
füllt, ist pragmatisch und unzynisch: man verknüpft Avantgarde mit | |
Populismus, bastelt Übersetzungen für die Netflix-Generation. | |
Denn den Theaterraum denkt Stone als Kinonerd, der von Filmen, ihrer | |
Ästhetik und ihrer Art, zu erzählen, ganz besessen ist. Sein Vater starb, | |
als er zwölf Jahre alt war und grade erst von Europa nach Australien | |
gezogen war. Nach diesem tragischen Verlust flüchtet sich Stone in Kunst- | |
und Traumwelten. Mit 15 fasst er den Entschluss, Schauspieler zu werden. | |
Statt Eskapaden gibt es Tee, statt Gesprächen über die traurige Jugend Tony | |
Kushners „Engel in Amerika“, Shakespeare chronologisch und jede Woche bis | |
zu 15 Filme auf DVD. | |
## Alles bleibt ein Work-in-progress | |
Vielleicht ist Stone deshalb so ein leidenschaftlicher Vertreter eines | |
Ensembletheaters, in dem Autor und Text nicht wichtiger sind als | |
Bühnenbild, Maske und Beleuchtung. Und der Regisseur nur einer, der | |
verantwortlich ist, dass alle ihr Bestes geben. Vor allem die Schauspieler, | |
die Stones größter Quell für Inspiration sind. Seine Charaktere entwickelt | |
er in Auseinandersetzung mit ihren Spiel, schreibt ihnen nachts seine Texte | |
auf den Leib, über die am nächsten Tag wieder improvisiert wird. | |
Für Stone ist das Theater eben ein Raum zum Experimentieren, ein | |
Spielplatz, auf dem man das „komplizierte Fleisch des Lebens“ erkundet, ein | |
Kinderland voller Ideen und unentdeckter Welten, in dem alles möglich ist. | |
Theaterpuristen wird schnell schwindlig, wie leichtfertig Klassiker da über | |
den Haufen geworfen werden. Das tut Stone übrigens nicht immer: Seine | |
Basler „Engel in Amerika“-Inszenierung lässt den Text fast vollkommen | |
intakt. | |
In Australien hat Stone jedenfalls eine Blitzkarriere hingelegt. 2007 | |
gründete er mit Theaterschulkollegen in Melbourne die freie Gruppe Hayloft | |
Project, für die er unter anderem Wedekinds „Frühlings Erwachen“ und | |
Tschechows „Drei Schwestern“ adaptierte. Mit einer durch den Fleischwolf | |
gedrehten Fassung von Senecas „Thyestes“ sorgte die Truppe beim Melbourner | |
Fringe Festival für Furore. 2011 wurde Stone Hausregisseur am Belvoir St. | |
Theatre in Sydney und feierte mit Ibsens „Die Wildente“ einen | |
durchschlagenden Erfolg an der Theaterkasse und bei Kritikern. 2013 zeigte | |
er seine „Wildente“ bei den Wiener Festwochen und beim Holland Festival, wo | |
auch die europäische Szene auf ihn aufmerksam wurde. | |
## Preise in Europa | |
Seit zwei Jahren lebt und arbeitet Stone nun in Europa. Als | |
Deutschland-Debüt gab es 2014 am Theater Oberhausen eine Überschreibung von | |
Aischlyos’ „Orestie“, die mit dem Ensemblepreis des NRW Theatertreffens | |
ausgezeichnet wurde. Für das Akademietheater der Wiener Burg hat Stone 2015 | |
Ibsens „John Gabriel Borkman“ ins Internetzeitalter entführt und lässt | |
lauter im Gestern stecken gebliebene Gespenster in einer surrealen | |
Schneelandschaft herumschreien. Drei Nestroypreise, einen für Stones Regie, | |
hat die Inszenierung gewonnen. Nun ist sie zum Berliner Theatertreffen | |
eingeladen. | |
Im Herbst ist er an seinen Geburtsort zurückgekehrt, als Hausregisseur am | |
Theater Basel unter dem neuen Intendanten Andreas Beck. Vergangenes Jahr | |
ist Stone auch noch zum Filmemacher geworden und für seinen ersten | |
abendfüllenden Film „The Daughter“ zur „Wildente“ zurückgekehrt. Ganz… | |
Remmidemmi: gelungen ist ihm ein atmosphärisch beeindruckend dichter Film | |
und ein subtiles Charakter-Drama. | |
Und dieses Jahr kann Stone seiner Leidenschaft für performative Künste auch | |
zum ersten Mal in der Oper freien Lauf lassen. Im August inszeniert er in | |
Basel Korngolds „Die tote Stadt“. So schnell wird man den australischen | |
Überschreiber wohl nicht mehr los. | |
5 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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