| # taz.de -- Ersan Mondtag am Schauspiel Frankfurt: Zehn Intendanten riefen an | |
| > Im Grenzbereich zwischen Theater und bildender Kunst: Der junge Regisseur | |
| > Ersan Mondtag inszeniert in Frankfurt „Der alte Affe Angst“. | |
| Bild: Marie (Linda Pöppel), Robert (Max Mayer) und die Zumutung des Lebens in … | |
| Dieser Abend beginnt mit dem Finale. Der Schriftzug „The End“ wiederholt | |
| sich endlos auf einem Vorhang, gemeint ist sowohl das Filmende wie auch das | |
| Lebensende. Oskar Roehlers Film „Der alte Affe Angst“ (2003) ist eine | |
| wuchtige Leinwand-Liebesgeschichte, die Pathos braucht und Kitsch nicht | |
| scheut. Der 28-jährige Regisseur Ersan Mondtag hat den Film im Schauspiel | |
| Frankfurt fürs Theater adaptiert und irgendwie auch nicht. | |
| Während Roehler der überirdischen Liebe zwischen der Kinderärztin Marie und | |
| dem Regisseur Robert manisch nachsteigt und dabei genauso viel über die | |
| Zumutungen Liebe wie über die Zumutung Leben erzählt, interessiert sich | |
| Mondtag mehr für Roberts vom Prostatakrebs zerfressenden Vater, das | |
| Verhältnis zwischen beiden und zwischen den Generationen. | |
| Mondtag verquickt den Filmstoff mit Euripides Tragödie „Alkestis“ und läs… | |
| einen betagten Chor auftreten. Dessen Mitglieder, am Rollator, im Rollstuhl | |
| oder auf wackeligen Beinen, stecken in hautengen Anzügen, später mit | |
| aufgemalten Adern- und Venengeflecht, und tragen Mireille-Mathieu-Frisuren. | |
| Roberts Vater sieht auch so aus, sagt aber als Vater nichts, das übernimmt | |
| die waghalsig wunderbare Schauspielerin Kate Strong, die zum Kraftzentrum | |
| der Inszenierung wird. So legt sie eine hinreißend versponnene | |
| Improvisation hin, in der sie abwechselnd das Leben, die Bühne sowie das | |
| Stück verflucht und verherrlicht, Faxen macht und sich dem Augenblick | |
| hingibt. | |
| ## Betörende Vieldeutigkeit | |
| Zunächst sitzt sie wie eine Statue zwischen Marie (Linda Pöppel) und Robert | |
| (Max Mayer). Alle tragen weiße Klamotten und wirken, als befänden sie sich | |
| im Jenseits oder auf einer Insel in der Zukunft. Kate Strong trägt einen | |
| stattlichen Klumpen rohen Fleisches im Schoß und wirkt dabei wie eine Pietà | |
| aus dem Totenreich. Der Fleischklumpen ist Krebsgeschwür und Babyleiche, | |
| Sinnbild für den Tod und das Kreatürliche, die Wunden und das Leben. | |
| Auf dem weißen Kleid seiner Trägerin hinterlässt er einen unschönen | |
| Abdruck, der an die Operation des Vaters, inkontinente Greise oder das | |
| Grabtuch Jesu Christi gemahnt. Darüber hinaus ist er einfach Ausdruck eines | |
| schwer fassbaren psychischen Zustands, wie Mondtag überhaupt der Erzählung | |
| des Films immer wieder Bilder und Atmosphären entgegensetzt, die auf ganz | |
| unterschiedlichen Ebenen gelesen werden können. | |
| Seine Arbeiten kundschaften die Grenzbereiche zwischen Theater und | |
| bildender Kunst aus. Das geht diesmal auch mit Penetranz einher, | |
| hinterlässt aber immer betörende Vieldeutigkeiten. Unausgegoren scheint der | |
| Abend trotzdem, manch starker Einfall verliert zudem in der Wiederholung an | |
| Gewicht. | |
| Nach Hospitanzen bei Frank Castorf und Claus Peymann assistierte der | |
| gebürtige Berliner Mondtag auch bei Vegard Vinge. Sein Studium an der | |
| Otto-Falckenberg-Schule in München beendete er bereits nach eineinhalb | |
| Jahren und wurde kurz darauf Mitglied im Regiestudio des Schauspiels | |
| Frankfurt, wo er mit eigenwilligen Arbeiten auf sich aufmerksam machte. | |
| Seitdem inszeniert er hier wie dort, ist gern gesehener Gast beim Münchner | |
| Festival „Radikal jung“ und obendrein mit seiner komplett wortlosen | |
| Inszenierung „Tyrannis“ am Staatstheater Kassel zum diesjährigen | |
| Theatertreffen eingeladen. Seitdem das bekannt wurde, hätten allein zehn | |
| neue Intendanten bei ihm angerufen, erzählt er. | |
| ## Im Zukunftsraum | |
| In Frankfurt wird er auch in der nächsten Spielzeit Regie führen, ebenso am | |
| Hamburger Thalia Theater, wo er kürzlich Orhan Pamuks Roman „Schnee“ auf | |
| die Bühne brachte. Shootingstar nennt sich das wohl. Man gönnt Ersan | |
| Mondtag seinen Erfolg, auch weil er so eine nervöse Energie abgibt und frei | |
| von der Leber weg spricht. | |
| Seine Eltern stammen aus der Türkei, sein richtiger Nachname lautet Aygün, | |
| woraus sich übersetzt für ihn der schöne Künstlername Mondtag ergeben hat. | |
| In „Der alte Affe Angst“ lässt er das Heute, das Gestern und das Übermorg… | |
| aufeinanderknallen. Stefan Britze hat ihm dafür einen tempelartigen | |
| Zukunftsraum auf die Drehbühne gestellt, und Diana Syrse Musik komponiert, | |
| die mal wie von vorgestern, mal wie von einem anderen Stern tönt. | |
| Ein starker Formwillen zeichnet Mondtags Arbeiten aus, und so tat Oskar | |
| Roehler gut daran, ihm einen Freifahrtschein für die Adaption seines Films | |
| auszustellen. An reproduzierten Kunstwerken ist Mondtag nämlich nicht | |
| interessiert, lieber interpretiert er völlig neu. Roehlers Film hat er so | |
| frech fortgeschrieben. | |
| 26 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Shirin Sojitrawalla | |
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