| # taz.de -- Neuer Film von Oskar Roehler: Verfilme deine Jugend | |
| > Oskar Roehlers autobiografisch inspiriertes Werk setzt der Westberliner | |
| > Punkszene ein Antidenkmal. Willkommen im Neurosengewebe Deutschlands! | |
| Bild: Punks in einer von Delirien und Stumpfsinn brodelnden Hölle. | |
| Seit Jürgen Teipels verdienstvollem Interviewband „Verschwende Deine | |
| Jugend“ (2001) herrscht ein bemerkenswertes Interesse am BRD-Punk der | |
| frühen 80er Jahre: Weitere Buchveröffentlichungen und deren Verfilmungen, | |
| Dokumentarfilme und Radiofeatures identifizierten die rund um den Ratinger | |
| Hof in Düsseldorf und rund um das Risiko in Westberlin gruppierten Szenen | |
| als Kreativhumus des heutigen Kulturbetriebs, als dessen Basisnetzwerk und | |
| als letzte anarchische Bohème. | |
| Danach, so die verbreitete Lesart, wurden studentisches Indie-Phlegma und | |
| der mit dem Berufsleben ohne Weiteres kompatible Wochenendhedonismus der | |
| 90er Ravekultur tonangebend. Wer damals im Risiko nicht wenigstens einmal | |
| bei Blixa Bargeld abgeblitzt ist, kann heute eigentlich nicht viel zu | |
| melden haben, so zumindest der sich aufdrängende Eindruck. Die einstige | |
| No-Future-Generation hält Rückschau auf ihre ruhmreiche Vergangenheit. | |
| Bevor gerade diese nüchtern-zynische, brachial konfrontative Szene vollends | |
| in der Verklärung verschwindet, brauchte es vielleicht wirklich einen | |
| Regieanarchisten wie den selbst im Westberlin der frühen 80er | |
| punksozialisierten Oskar Roehler, der sich zum Besseren wie zum | |
| Schlechteren nie groß um guten Geschmack oder fragwürdige | |
| Qualitätsvorstellungen scherte. Roehler ist imstande, dem | |
| ätzend-apokalyptischen Nihilismus insbesondere der Westberliner Szene eine | |
| Art filmisches Antidenkmal mit Spitzen ins Parodistische zu setzen. Also | |
| landet man in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ am Ende auch nicht im | |
| Kulturbetrieb, sondern, warum auch immer, irgendwo in der Wüste zwischen | |
| Scharia und Atommüll. | |
| Doch der Reihe nach. Die Hölle in den frühen 80ern, das ist für Roehler das | |
| lethargische Gemisch aus provinzieller Gymnasialtristesse, langen Haaren, | |
| Bhagwan-Sit-ins, linken Lehrern und opportunistisch parolenklopfenden | |
| Mitschülern. Außenseiter ist da, wer schnittig-schwarze Kleidung trägt wie | |
| Robert (Tom Schilling) oder in abgewetzten Klamotten verkniffene | |
| Kleinbürgerfaschismen pflegt wie Roberts schwuler Kumpel Gries (Frederick | |
| Lau). So weit, so Flucht nach Berlin: In der Mauerstadt wird Robert zum | |
| Punk mit literarischen Ambitionen, Elternkomplex, räudiger Bude und miesem | |
| Job als Spermawischer in einer Stripbar, Gries zur Ledertunte und zum | |
| Sänger einer scheußlichen Industrialband, wenn er nicht gerade für | |
| Fassbinder Koks besorgt. | |
| ## Er beißt, zerrt, schwitzt, übersteuert | |
| Von der beschaulich-drögen Märchenhaftigkeit, die das hiesige | |
| Filmförderkino auf Wanderschaft in die Geschichte gern mal im Gepäck hat, | |
| fehlt in „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk“ jede Spur. Auch Anflüge | |
| schunkeliger „Das gab’s nur einmal, das kommt nie wieder“-Nostalgie sucht | |
| man vergebens. Roehler beißt, zerrt, schwitzt, übersteuert von Anfang an – | |
| er suhlt sich in den Beklemmungen und Defiziten seiner Protagonisten | |
| genauso wie in der sedierenden Schafsköpfigkeit von deren Gegenspielern. | |
| Auch erscheint die Flucht nach Westberlin hier nicht als romantische Reise | |
| Richtung Aufbruch und Freiheit, sondern vielmehr als willentlich in Kauf | |
| genommener Aufschlag in einer vor Delirien und Stumpfsinn wahrhaftig | |
| brodelnden Hölle, an deren Dämpfe sich Roehler und sein Film mit allerdings | |
| größter Wonne laben. Dass der Filmemacher in dieser Ästhetik des | |
| Zivilisationsverfalls und der moralischen Verwahrlosung neben viel zum | |
| Schreien komischem Irrwitz dennoch eine ganz eigene, höchst vitale Poesie | |
| der Lebensvergeudung birgt, spricht für diesen herzhaft bösen Film. Wie | |
| brav und bieder wirkt dagegen doch die Neue-Deutsche-Welle-Komödie | |
| „Verschwende deine Jugend“ (2003), in der ebenfalls Tom Schilling die | |
| Hauptrolle spielte. | |
| Spätestens Roberts Mutter (Hannelore Hoger), eindeutig Roehlers Mutter, der | |
| Schriftstellerin Gisela Elsner, nachempfunden, weist den jungen Punk als | |
| Alter Ego des Regisseurs aus. Auch der schwule Nazifreund trat bereits in | |
| Roehlers vorangegangenem Film „Quellen des Lebens“ (2013) auf, einer auch | |
| schon sonderbar ins Kraut geschossenen, stark autobiografisch eingefärbten | |
| Familiensaga. | |
| ## Rache für eine verkorkste Kindheit | |
| Erklärte Roehler seine Mutter im Schwarz-Weiß-Klassiker „Die Unberührbare�… | |
| (2000) noch zu einer zerbrechlich-sensiblen, wenn auch problematischen | |
| Diva, die als überzeugte DDR-Kommunistin an der Wiedervereinigung bitter | |
| zugrunde geht, betreibt er im neuen Film, wie zuvor bereits in den „Quellen | |
| des Lebens“, einen Familienexorzismus, eine späte Rache für eine verkorkste | |
| Kindheit in einer dysfunktionalen Familie. | |
| Ohnehin dringt Roehler auch hier wieder tief ins Neurosengewebe der | |
| deutschen Gesellschaft vor. Seit 2009 dreht er im Grunde genommen nur noch | |
| Historien- und Kostümfilme zur deutschen Mentalitätsgeschichte: Nach der | |
| Nazizeit im waghalsigen „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, der unmittelbar… | |
| Nachkriegszeit im Fassbinder-meets-Lynch-Popmärchen „Lulu & Jimi“ und den | |
| 60er und 70er Jahren in „Quellen des Lebens“ ist er nun in den frühen 80ern | |
| angelangt, wo der über alle Filme und Dekaden mitgeschleppte | |
| Ideologieschutt in den Ruinen Westberlins endgültig zerbröselt. Von der | |
| todessehnsüchtigen Untergangsfantasie, die unter „Jud Süß – Film ohne | |
| Gewissen“ schwelt, bis zu den No-Future-Punks führt vielleicht tatsächlich | |
| eine Linie. | |
| Gut, dass Roehler sich an keiner Stelle dem verlogenen Qualitätsfilm | |
| andient. Alle seine Geschichtsfilme – auch dieser – haben etwas karnevalesk | |
| Verkleidetes und damit sehr Schrilles, Künstliches an sich. Der | |
| antinostalgische Effekt ist enorm: Geschichte ist bei Roehler kein für | |
| Retrosehnsüchte aufbereitetes, am schönen Schein orientiertes | |
| Genussgesamtpaket, sondern bleibt stets als etwas Gemachtes mit Brüchen | |
| kenntlich. Gerade diese Brüche, die durch die nostalgische Oberfläche des | |
| Pastiche hindurchzielen, gestatten in den besten Momenten einen kurzen | |
| Blick auf den eigentlichen Kern einer Epoche. Oskar Roehlers | |
| Antibehaglichkeitsfilme sind für das hiesige Kino ein großer Gewinn. | |
| 25 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Groh | |
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