# taz.de -- Oskar-Roehler-Film "Lulu & Jimi": Schweinfurt, Texas | |
> Juchhu, Kontrollverlust. Nichts ist grell und grausig genug. Mit seinem | |
> Film "Lulu & Jimi" verneigt sich Oskar Roehler vor David Lynch. Heraus | |
> kommt ein einzigartiger Film. | |
Bild: Eine Zitatesammlung mit allem, was Spaß macht: Lulu & Jimi. | |
Pinkfarbene Buchstaben stehen auf schwarzem Grund und sagen: "Thank you | |
David L." Die Spur zu David Lynch ist gelegt, bevor der Vorspann endet. Die | |
folgenden 94 Minuten weichen selten von ihr ab. "Wild at Heart" hieß Lynchs | |
Tour de Force aus dem Jahr 1990 mit Laura Dern und Nicolas Cage in den | |
Hauptrollen. Die beiden spielten Lula und Sailor, ein Liebespaar auf der | |
Flucht, gejagt von Lulas Mutter und deren Schergen. Oskar Roehlers Hommage | |
"Lulu & Jimi" folgt einem ähnlichen Plot. Diesmal heißen die Liebenden Jimi | |
(Ray Fearon) und Lulu (Jennifer Decker), er ist ein schwarzer Schausteller | |
aus Amerika, sie eine 19 Jahre alte Schönheit aus der unterfränkischen | |
Provinz. Wie bei Lynch gibt es die eifersüchtige, hexenhafte Mutter (Katrin | |
Sass), und auch sie scheut keine Mittel, die Liebe ihrer Tochter zu Jimi zu | |
unterbinden. | |
Es ist das Jahr 1959, das Geburtsjahr Roehlers. Ernst, der ungeliebte | |
Verlobte Lulus, prophezeit ihr während einer nächtlichen Autofahrt: "Du | |
wirst die schönste Frau von Schweinfurt sein." Der junge Mann wirkt, als | |
hätte man ihn aus einem Unterhaltungsfilm der Wirtschaftswunderjahre in | |
"Lulu & Jimi" versetzt. Lulu wendet sich milde lächelnd von ihm ab, ihr | |
Blick schweift durch die Nacht, in der Ferne leuchten die Lichter des | |
Rummels. Wenn sie kurz zuvor in einem rot-schwarzen Dress, das eher | |
SM-Dessous als Kleid ist, vor Ernst tritt, schlägt der die Hacken zusammen. | |
Hitler liegt seit 14 Jahren unter der Erde, der Nationalsozialismus aber | |
steckt den Menschen in den Knochen. | |
Lulus und Jimis Antwort darauf ist einfach, sie heißt Rock n Roll. Die | |
Körper der beiden können alles, was Spaß macht, tanzen, vögeln, Autoscooter | |
fahren, zuhauen, wenn es nötig wird. Es sind geschmeidige, genießende, | |
entnazifizierte Körper. Wie biegsam und schön, das beweist Lulu bei einem | |
Turnwettbewerb. Dass sich Roehler die Choreografie und die Kameraführung | |
bis hin zu einzelnen Einstellungen aus einem Musikvideo von Spike Jonze | |
abgeschaut hat, muss nicht verwundern. Er bedient sich gerne bei anderen | |
Autoren und Filmemachern, und dies auch jenseits des bewussten Zitats. | |
Von den Befreiungsversprechen der späten Sechzigerjahre hält der Regisseur | |
wenig, das hat er spätestens mit der Verfilmung von Michel Houellebecqs | |
Roman "Elementarteilchen" klargestellt. Das heißt nicht, dass er in "Lulu & | |
Jimi" auf Befreiung und Aufbruch verzichten wollte, im Gegenteil; er | |
verlegt beides um ein knappes Jahrzehnt vor. Wozu die Mühen von 1968, wozu | |
der Dogmatismus, wozu die intellektuelle Anstrengung, wozu womens | |
liberation, wenn man das alles viel einfacher haben kann? Was Roehler bei | |
diesem Transfer antreibt - Naivität, neokonservatives Kalkül oder einfach | |
nur 68er-Überdruss -, ist schwer zu sagen. So viel aber steht fest: Im Film | |
führt die Verschiebung immer wieder zu verblüffenden Sequenzen wie der, in | |
der die beiden Liebenden einen Tanzabend in einer Provinz-Stadthalle | |
besuchen. Ein junger Mann fordert Lulu auf, Lulu gibt ihm einen Korb, der | |
Kerl sagt: "Verdammte Niggerbraut, früher hätte man dir die Haare | |
abrasiert." Jimi kontert: "Du plädierst also für eine Rückkehr in die | |
Barbarei?" - "Häh?" macht der Kerl. Eloquent fährt Jimi mit der verbalen | |
Reeducation fort. Dann haut er zu. | |
Indem er eine Liebesbeziehung zwischen einem Schwarzen und einer Weißen | |
inszeniert, gibt Roehler seinem Film einen weiteren Bezugspunkt. Das | |
US-Melodram der 50er-Jahre und dessen Fortschreibungen arbeiteten sich am | |
selben Sujet ab, besonders Douglas Sirks "Imitation of Life" (1959) | |
handelte vom schwierigen, von Schuld und Verbot beladenen Verhältnis von | |
Schwarz und Weiß. Rainer Werner Fassbinder hat das Sujet in seinen Arbeiten | |
aufgegriffen, etwa in "Angst essen Seele auf" (1973). Und Todd Haynes hat | |
es in "Far from Heaven" (2002) so inszeniert, dass die Wünsche und | |
Begehren, die in den Filmen der 50er-Jahre nur indirekt verhandelt wurden, | |
eine sichtbare Gestalt bekamen. Roehler hat in seinem bisherigen Werk immer | |
wieder deutlich gemacht, wie sehr ihn das Kino der unterdrückten Gefühle | |
interessiert. Von den Vorbildern unterscheidet ihn dabei Wesentliches. | |
Während Sirk, Fassbinder oder Haynes auf Verfeinerung setzen, haut er auf | |
die Pauke. Nichts kann ihm grell und grausig genug sein. Darin trifft er | |
sich mit David Lynch. | |
Noch etwas hebt ihn von den Vorgängern ab: Die waren an Frauenfiguren auch | |
jenseits süßer 19-Jährigkeit interessiert, während Roehlers Kino, mit | |
Ausnahme vielleicht von "Die Unberührbare", sich vor erwachsenen Frauen | |
eher fürchtet. Lulus garstige Mutter belegt dies; Katrin Sass spielt sie | |
halb als Atombusen-bewehrten, grotesk überschminkten Panzer, halb als | |
alkoholisiertes Wrack, ohne jede Scheu vor dem Hässlichen und Miesen, das | |
diese Figur auszeichnet. Was Roehler mit ihr macht, liegt weit jenseits | |
dessen, was sich als Denunziation der Figur bezeichnen ließe. | |
Der Pudel von Lulus Mutter ist rosa von der Schnauze bis zum Schwanz; die | |
Anzüge der Männer mustern sich in farbintensiven Herr-von-Eden-Karos, oder | |
sie streifen sich, im Fall von Lolas Vater, wie der Anzug eines | |
KZ-Häftlings. Ein Gartenzwerg ragt bildfüllend in den Himmel. Ein mad | |
scientist, auch er ein Abgesandter des 50er-Jahre-Kinos, steht Lulus Mutter | |
zur Seite; er versteht sich auf Fernhypnose, Abtreibungen, Sedierungen | |
aller Art und hat außerdem eine Kastration zu verantworten. Roehler malt | |
die Oberflächen der Wohlanständigkeit und des geordneten Lebens sehr bunt | |
an und lässt sie dann wie aus dem Nichts in düstere Bedrohung kippen. | |
Das ist ein kruder Mix und ein ziemlich einzigartiges Ding in der | |
gegenwärtigen deutschen Kinolandschaft. "Lulu & Jimi" hat etwas Maßloses; | |
der Film verliert die Kontrolle mit Freude. In einer Szene gibt ein Trupp | |
von Weltkriegsveteranen Schauerstorys zum Besten: "Ich hatte eine Freundin | |
in Stalingrad", erzählt eine Figur namens Harry Hass. "Und weißt du, was | |
ich mit ihr gemacht habe? Ich habe sie erschossen und aufgegessen." "Lulu & | |
Jimi" hat keine Scheu, nach außen zu kehren, was anderswo unter dem Teppich | |
bleibt. | |
"Lulu & Jimi". Regie: Oskar Roehler. Mit Katrin Sass, Jennifer Decker, Ray | |
Fearon, Deutschland 2008, 94 Min. | |
21 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |