| # taz.de -- Film „Quellen des Lebens“: Roehlers fesselnde Peinlichkeiten | |
| > Oskar Roehlers Film „Quellen des Lebens“ ist ein wilder Ritt durch seine | |
| > Familiengeschichte. Er fordert kein Mitleid und hat keine Nachsicht mit | |
| > seinen Figuren. | |
| Bild: Will ausbrechen: Moritz Bleibtreu als Roehlers fiktiver Vater Klaus Freyt… | |
| Man darf sich vom ins Tiefe und Philosophische deuten wollenden Titel nicht | |
| täuschen lassen. In „Quellen des Lebens“ geht es nicht ums Allgemeine, | |
| sondern ums Spezielle. Das Spezielle stellt Oskar Roehler dar, und das in | |
| mehr als einer Hinsicht: „Quellen des Lebens“ handelt von Roehlers | |
| Lebensgeschichte. Es ist die Filmversion seines autobiografischen Romans | |
| „Herkunft“ und beschreibt jede Menge betroffen machendes Unglück: das | |
| seiner Eltern und das seiner Großeltern, seine eigenen | |
| Kindheitsverletzungen, die verlorene Jugendliebe. | |
| Bei so viel persönlicher Betroffenheit bleiben Peinlichkeiten nicht aus, | |
| aber auch das ist gewissermaßen typisch Roehler. Wobei „peinlich“ nicht | |
| meint, dass etwas sehr Privates an die Öffentlichkeit dringt, wie etwa der | |
| Verdacht, der eigene Vater sei vielleicht nicht der biologische Vater. | |
| Nein, die Rede ist von Peinlichkeiten wie der, die eigenen Eltern beim Sex | |
| in der Küche zu entdecken und dann vom Vater aufgefordert zu werden, doch | |
| genauer hinzugucken. | |
| Wie in dieser Anekdote angedeutet, ist „Quellen des Lebens“ ein wilder Ritt | |
| durch die Roehler’sche Familiengeschichte seit dem Ende des Zweiten | |
| Weltkriegs, allerdings weniger im faktisch-autobiografischen Sinn als im | |
| gefühlten. Jürgen Vogel verkörpert den Großvater Erich Freytag, der Ende | |
| der vierziger Jahre verlaust und zahnlos in die fränkische Heimat | |
| zurückkehrt. Er ist dort so unwillkommen, dass er sich den Platz im Ehebett | |
| an der Seite seiner Elisabeth (Meret Becker) durch männliche Machtworte | |
| erst erzwingen muss. Wenig später beglückt er das | |
| Wirtschaftswunderdeutschland mit Gartenzwergen aus eigener Produktion. | |
| Sein Sohn Klaus (Moritz Bleibtreu), eben noch dankbares Kind, das sich über | |
| die Rückkehr des Vaters freut, träumt als junger Mann der späten fünfziger | |
| Jahre davon, rauszukommen aus der Provinz und Schriftsteller zu werden. Da | |
| passt es gut, dass er der jungen Frau Gisela (Lavinia Wilson) begegnet, die | |
| von Ähnlichem träumt, obwohl sie aus besseren Verhältnissen kommt. Gisela | |
| ist eine jener Frauen, die auf Männer befreiend wirken, weil sie so | |
| neurotisch sind. | |
| ## Ein großer Bogen geschlagen | |
| Es gehört zu den Stärken dieses Films, dass er zeigt, wie sehr es extremes | |
| Verhalten brauchte – sei es auch das einer Manisch-Depressiven –, um sich | |
| aus den Fesseln der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft mit all ihrer | |
| Scham und ihren Verschwiegenheitspflichten zu befreien. | |
| Sehenswert ist dabei besonders, dass Roehler augenblicklich auch die | |
| negativen Seiten dieses Ausbruchs zeigt, der in der Geschichtsschreibung | |
| der BRD sonst nur als Befreiung gefeiert wird. Denn er selbst ist das Kind | |
| eines solchen „ausgebrochenen“ Paares, und sein Alter Ego auf der Leinwand | |
| hat unter der chaotischen Ehe von Klaus und Gisela (bezeichnenderweise hat | |
| Roehler ihnen die Vornamen seiner Eltern gegeben) Heftiges zu erleiden: | |
| angefangen von sträflicher Vernachlässigung über die, bereits erwähnte, | |
| peinliche Sexualerziehung bis hin zum Abgeschobenwerden zu Großeltern und | |
| in Internate. | |
| Irritierend wirkt – und auch das gehört zu den Vorzügen dieses Films –, | |
| dass Roehler bei all dem kein Mitleid für sich einfordert, er aber auch | |
| keine Nachsicht mit seinen Figuren hat. Es ist ein großer Bogen, den | |
| Roehler schlagen will, von den späten Vierzigern bis in die Achtziger, und | |
| vieles daran wirkt rau und ungelenk, zu kurz gegriffen und oberflächlich. | |
| Doch letztlich haben all die Peinlichkeiten einen merkwürdig fesselnden | |
| Effekt, es ist wie bei echter Intimität mit einem Freund: Je länger man | |
| zuguckt, desto schwerer fällt es, zu urteilen oder gar abzulehnen. | |
| 13 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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