# taz.de -- Theater von Nora Abdel-Maksoud: Gegen die bürgerliche Apathie | |
> Sie hätte gerne den Joker gespielt: Wie die Schauspielerin Nora | |
> Abdel-Maksoud zur Inszenierung eigener Stücke kam. Ein Porträt. | |
Bild: Sie kam über das Schauspielen und die Liebe zum Film zum Schreiben eigen… | |
Es regnet, auf der Interview-Aufnahme hört man das konstante Prasseln der | |
Tropfen auf die Plastikplane des Bierzelts im Gorki-Theater in Berlin. 15 | |
Minuten zuvor stand Nora Abdel-Maksoud als Schauspielerin in ebendiesem | |
Haus noch auf der Bühne, spielte in „Verrücktes Blut“, einem Stück von | |
Gorki-Hausregisseur Nurkan Erpulat und Gorki-Kointendant Jens Hillje. Das | |
erzählt von einer Integrationsdebatte und davon, wie eine Lehrerin ihre | |
Schülerinnen und Schüler als Geiseln nimmt und sie, inspiriert durch | |
Schiller, dazu zwingt, auf der Schulbühne Theater zu spielen. | |
Text und Inszenierung sind bereits von 2010, wirken aber wie gemacht für | |
das heutige Erfolgsmodell des Gorki. Tatsächlich ist der Abend als | |
Koproduktion der Ruhrfestspiele und des kleinen Ballhaus Naunynstraße | |
gestartet. Man könnte also sagen: „Verrücktes Blut“ ist Teil der Keimzell… | |
aus der heraus Shermin Langhoff und Jens Hillje schließlich ihr Programm | |
für das Theater am Festungsgraben erdachten. | |
Auch für Nora Abdel-Maksoud, die anfangs ihr mangelndes Geschick in | |
Interview-Dingen betont, dann aber mit offenem Ausdruck klare, wache | |
Antworten gibt, fiel in der Kreuzberger Naunynstraße der Startschuss für | |
ihre Theaterkarriere. | |
## Revolutionäres Potenzial? | |
Heute ist Nora Abdel-Maksoud nicht mehr in erster Linie Schauspielerin, | |
sondern Regisseurin und Autorin – und gut beschäftigt. Ende des Monats ist | |
sie mit ihrer letzten Arbeit für die Gorki-Nachwuchsbühne Studio R, Titel: | |
„The Making-of“, zum Festival „Radikal jung“ am Volkstheater München | |
eingeladen. Das Festival gilt als wichtiger Gradmesser für junge | |
Regisseurinnen und Regisseure und Nora Abdel-Maksoud ist bereits zum | |
zweiten Mal dabei. 2014 war sie mit „Kings“ schon mal eingeladen, einem | |
Abend, mit dem sie die Selbstverwirklichungsboheme ihrer damaligen | |
Wahlheimat Berlin (geboren ist sie in München, wo sie momentan auch wieder | |
lebt) durch den Kakao zieht. | |
„Für mich handelt ‚Kings‘ vor allem von einer Frage, die ich mir damals | |
gestellt habe und die ich mir momentan wieder stelle: Wo ist das | |
revolutionäre Potenzial meiner Generation? Warum herrscht da diese | |
Apathie?“ | |
Die Kunstszene bot ihr hierfür zum einen aus persönlichen Gründen den | |
passenden Backdrop – in ihrem erweiterten Umfeld wollte damals gefühlt | |
jeder Zweite Künstler werden – und zum anderen, weil sie glaubt, dass das | |
Künstlerwerden fast schon zwangsläufig einen persönlichen Egoismus | |
erforderlich macht: „ ‚Wo geht denn unser Potenzial eigentlich hin?‘, habe | |
ich mich gefragt. Ich landete bei Selbstverwirklichungs- und | |
Selbstoptimierungsprozessen.“ | |
## Mit Künstlern reden | |
Auf die Frage, inwiefern sie trotz der Entscheidung für ein | |
selbstausbeuterisches Künstlerinnenleben gegen den modernen Arbeitsmarkt | |
agitiert, antwortet Nora Abdel-Maksoud: „Ich glaube, schon der Prozess der | |
Bewusstmachung dessen ist ein Schritt. Für ‚Kings‘ haben wir damals ein | |
Jahr lang recherchiert, und Schauspieler sind ja auch oft kluge und | |
denkende Menschen, mit denen man ein künstlerisches Gespräch führen kann. | |
Bringt man das dann auf die Bühne, zieht daraus im Idealfall ein Teil des | |
Publikums auch etwas für sich heraus, woraus dann ein gewisses Potenzial | |
entstehen kann.“ | |
Die Theaterarbeiten von Nora Abdel-Maksoud sind nicht im direkten Sinne | |
aufrührerisch, vielmehr ist ihr Schaffen geprägt von humorvoller | |
Selbstkritik, die sich eher nach innen als nach außen richtet. Ihr ist auch | |
klar, dass solch subversive Kunst nicht ausreichen wird, um unsere | |
Gesellschaft vor unendlichem Spaß und lähmender Sattheit zu retten: | |
„Natürlich gibt es hier und da Kräfte, die sich bewusst gegen den | |
Rechtsruck in unseren Gesellschaften stemmen und auch Orte wie das Gorki | |
zum Beispiel, die ein Grundrauschen schaffen und eine Gegenöffentlichkeit | |
bilden. Insgesamt habe ich aber immer noch das Gefühl, dass wir fast schon | |
apathisch in unserer Bürgerlichkeit verharren.“ | |
## Eigentlich will man lieber Batman spielen | |
Ein Problem, dass auch die Figuren von Nora Abdel-Maksouds aktuellem Stück | |
„The Making-of“ darstellen. Abdel-Maksoud, die ihre Stücke in der Regel in | |
Milieus ansiedelt, die ihr selbst nahe sind, hat hierfür an ein Filmset | |
gedacht, an dem eigentlich endlich mal ein deutscher Superhelden-Film | |
entstehen soll, was logischerweise grandios scheitert. Die Figuren | |
quatschen sich fest, diskutieren über Geschlechter-Klischees, | |
Rollenzuschreibungen, das Ehegattensplitting, die Gender Pay Gap und vieles | |
mehr, einzig das Handeln kommt zu kurz. | |
Die Figuren erkennen Schieflagen, sind aber auch hier letztlich zu sehr mit | |
sich selbst beschäftigt. Eigentlich will man ja immer noch lieber Batman | |
spielen als Revolution machen, und außerdem: Uns geht’s ja immer noch | |
besser als den meisten. | |
Nora Abdel-Maksoud hingegen wollte als Jugendliche zwar nicht den Batman | |
spielen, dafür aber den Joker, beziehungsweise Heath Ledger als Joker, bis | |
ihr bewusst wurde, dass es als Frau schwer werden würde, irgendwann mal | |
eine Rolle als manischer Superbösewicht in einer Comic-Verfilmung zu | |
ergattern. „Ich wollte früher immer Filmschauspielerin werden. Dann bin ich | |
nach Berlin gekommen, habe Schauspiel studiert, erste Jobs angenommen, | |
unter anderem auch am Ballhaus Naunynstraße, wo das Schreiben dann quasi an | |
mich herangetragen wurde.“ | |
## Diplomarbeit auf die Bühne bringen | |
Zuvor hatte Nora Abdel-Maksoud gar nicht geschrieben. Erst ihre | |
Diplomarbeit an der Schauspielschule brachte sie dazu: „Das Ballhaus | |
Naunynstraße bekam die in die Hände und wollte dann, dass ich daraus einen | |
Soloabend mache. Ich konnte mir nichts Langweiligeres vorstellen, als meine | |
Diplomarbeit auf die Bühne zu bringen, hab dann aber aus diesem Text heraus | |
mein erstes Stück ‚Hunting von Trier‘ entwickelt.“ | |
In den fünf Jahren nach dieser Inszenierung hat Nora Abdel-Maksoud eine | |
Arbeitspraxis entwickelt, die oft inspiriert ist von Filmen und mit | |
bissigem Humor, kräftiger Sprache und oft zündenden Pointen die | |
Gedankenwelt einer Autorin darlegt, die zwar auf der Suche nach Antworten | |
noch nicht im Ziel angekommen ist, aber für den Ausdruck dieser Suche | |
dennoch in der Regel einen grundsätzlich eher philanthropischen Weg wählt. | |
Nora Abdel-Maksoud glaubt zwar nicht an die großen Kollektivideen, aber an | |
die Kraft der gemeinsamen Verständigung im Theater. | |
An einer Stelle des Interviews bringt sie (ohne sich dabei komplett | |
behaglich zu fühlen) den Satz „Give me something to die for“ über die | |
Lippen. So weit ist es noch nicht, aber hoffentlich ja irgendwann, und | |
vielleicht ist es das auch, was ihr Theater am besten kann: die Möglichkeit | |
einer Veränderung am Leben zu halten, bis sie stark genug ist, um sich | |
endlich zu entfalten. | |
28 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Sascha Ehlert | |
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