# taz.de -- Theater aus der Ukraine: Vor aller Augen verbrennen | |
> Eine „Romeo und Julia“-Variation aus der Ukraine erzählt auf dem Radikal | |
> jung“-Festival in München von einer verlorenen Generation. | |
Bild: Mehr Konzert als Theater: „R.+J.“ von Sashko Brama. | |
Wenn draußen die Welt brennt, geht manches umstandsloser vonstatten. Das | |
Sterben sowieso, manchmal auch das Verlieben. | |
So gibt es zwischen Roman und Julia in „R + J“, einem Gastspiel aus der | |
Ukraine im Volkstheater München, keine Balkonszene und keine Fragen nach | |
Nachtigallen oder Lerchen. Denn was bei Shakespeare die verfeindeten | |
Familien der Capulets und Montagues waren und bei der „West Side Story“ die | |
rivalisierenden Jugendbanden New Yorks, sind hier die beiden Seiten des | |
aktuellen Krieges in der Ukraine. | |
Julia ist aus Donezk im Donbass, und weil es Geld gibt für alle, die auf | |
dem Maidan den Noch-Präsidenten Janukowitsch unterstützen, geht sie nach | |
Kiew, wohin sich auch Roman mit seinen Kumpels aus dem westukrainischen | |
Lemberg auf den Weg macht. Eigentlich um pro Europa zu demonstrieren, aber | |
ein bisschen auch, weil er jung ist und mit der Gefahr kokettiert. | |
## Wütende Nu-Metal-Songs | |
Dort, auf dem Euro-Maidan, fliegt vielleicht, zwischen Schlagstöcken, | |
Kugeln, hasserfüllten und aufmunternden Worten, auch ein Lächeln über den | |
Platz. In einer kurzen Filmszene sieht man die Frau, die auf der kleinen | |
Bühne im Foyer des Münchner Volkstheaters wütende Nu-Metal-Songs singt, | |
einmal kurz lachen. Doch Sashko Bramas zum Festival „Radikal jung“ | |
eingeladene Inszenierung hält sich nicht lange mit Entwicklungen auf. Sie | |
zeigt – in einer fiebrigen Collage von meist mehreren übereinander | |
liegenden Videobildern – Ergebnisse und Fakten – oder das, was die | |
Konfliktparteien dafür ausgeben. | |
Eine klar umreißbare Handlung und Spielszenen hat der laute, intensive und | |
manchmal verzweifelt brutale Abend nicht, der mehr Konzert ist als Theater. | |
Weshalb seine Einladung zu einem Regiefestival auf den ersten Blick | |
verwundert. Und doch ist das einzige ausländische Gastspiel des | |
diesjährigen „Radikal jung“-Festivals keine dieser | |
Feigenblatt-Entscheidungen, mit denen der Veranstalter nur demonstrieren | |
will, wie nah er am Nerv der Zeit ist. | |
Festivalleiter Kilian Engels interessierte an dieser Inszenierung natürlich | |
der aktuelle politische Konflikt, aber auch der „virtuose“ Umgang mit | |
Momenten der Fiktion und der Dokumentation und die offene Konzertform. Und | |
ja, Brama, Jahrgang 1988, hat ein konzises Bild gefunden für eine | |
Generation, die, wie er selbst sagt, „wie kopflose Rockmusiker vor unseren | |
Augen verbrennt“. | |
## Überhitzte Atmosphäre | |
Auf der Bühne ist es eng. Außer der Sängerin und Schauspielerin | |
Galina-Mariya Pavlyk und dem Schauspieler und Gitarristen Nazar Pavlyk | |
ackern dort noch ein zweiter Gitarrist und ein Bassist. Man spürt die | |
überhitzte Atmosphäre. Auch das Schichten der Videobilder ist mehr als ein | |
ästhetischer Effekt. | |
Denn Brama zeigt nicht nur die Lichter, Toten und brennenden Zelte der | |
Maidan-Revolution 2014 und darüber die Bilder seiner Liebenden, sondern | |
auch dokumentarisches Material von weiter zurückliegenden politischen | |
Tumulten in der Ukraine: Von den Massakern des sowjetischen Geheimdiensts | |
NKWD und vom nationalen Widerstandskampf um die Figur von Stepan Bandera, | |
der im Westen des Landes noch immer als Nationalheld verehrt und im Osten | |
als Nazi-Kollaborateur gehasst wird. | |
Die O-Töne von greisen Zeitzeugen wirken wie ein in der Zeit verirrter | |
Widerhall der Hassenden von heute. Lagenweise weltanschaulicher Ballast, | |
überschrieben von den manipulativen Medienbildern von heute: Hier hat das | |
Jungsein es schwer, sich zu behaupten. Weshalb die Filmcollage auch mit | |
einem Baby im Mutterleib beginnt, das nicht geboren werden will – und die | |
Sängerin singt, ja aufschreit: „Wir sind Kinder der verlorenen Epoche / | |
ohne Ziele und ohne Glauben.“ | |
Einiges an diesem Abend kommt einem kitschig vor. Allein die Vorstellung, | |
dieser Gemengelage eine Art von Glück abtrotzen zu wollen, erscheint | |
heroisch. Der Gedanke, dass die Liebe diese ewige Spirale des Hasses und | |
der Gewalt durchbrechen könnte, wirkt aber wiederum fast natürlich. Unnötig | |
zu sagen, dass es nicht gelingt. | |
## Keine Versöhnung | |
Julia schluckt Tabletten, weil ihr Vater droht, sie eigenhändig zu töten, | |
wenn sie nicht „vor den Faschisten“ nach Russland flieht. Und Roman stirbt | |
auf der Straße. Selbst die Versöhnung der Eltern über den Leichen der | |
Kinder enthält Brama seinem Publikum vor, denn: „Ich weiß nicht, wie diese | |
Geschichte endet!“ | |
Dieser junge, ernste Mann, der sich selbst als unpolitisch bezeichnet, hat | |
vielfach das Gespräch gesucht. Und zwar zu Mördern wie Opfern, | |
„Revolutionären“ und „Terroristen“ aller Lager. Und wenn diese informi… | |
Form des Unpolitischseins bedeutet, sich auf keine Seite zu schlagen – und | |
danach sieht es aus –, dann wünscht man sich mehr Menschen von seiner | |
Sorte. Auch und gerade, weil das Bedürfnis nach Eindeutigkeit (und | |
Verurteilung) groß ist. | |
So mokiert sich ein in München lebender Ukrainer bei der | |
Publikumsdiskussion über den „prorussischen“ Touch des Abends. Und auch | |
hier schaffte es der freundliche Regisseur noch einmal, Position zu | |
beziehen, ohne Partei zu ergreifen. Eine hohe, seltene Kunst. | |
21 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
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