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# taz.de -- Porträt Ersan Mondtag: „Wir sind ja noch jung“
> Da freut sich einer über Buhs und Bravos – der junge Regisseur Ersan
> Mondtag gehört zu den Entdeckungen des Theatertreffens in Berlin.
Bild: Schauspielerfiguren stehen wie Puppen in einer Wohnstube. Man beachte das…
„Wenn ich in zehn, fünfzehn Jahren mal Intendant bin.“ Bei einem
Podiumsgespräch an den Berliner Festspielen übte sich Ersan Mondtag
kürzlich im schelmischen Stänkern. Thomas Ostermeier werde er beerben,
deutete er smart lächelnd an.
Auch wegen seines selbstgewissen Auftretens ist der 28-Jährige auf dem
Berliner Theatertreffen dieser Tage ein heißes Thema. Am Sonntag, als sein
Stück „Tyrannis“, das er am Theater Kassel herausgebracht hatte, dort
aufgeführt wurde, saßen gleich zwei Berliner Intendanten drinnen: Claus
Peymann schlurfte kurz vor Aufführungsbeginn in den Saal, Shermin Langhoff
lief dem jungen Regisseur nach der Aufführung „Ersan“ rufend und Bussis
verteilend in die Arme. Wenn es in der Theaterwelt einen gibt, dem gerade
so etwas wie ein Hype widerfährt, dann ist das Ersan Mondtag.
Beim Spaziergang durch die Hasenheide lässt Ersan sich nichts anmerken. Ein
wenig fahrig wirkt er zwar, aber das sei vor allem akutem Schlafmangel
geschuldet. Im Plauderton berichtet er von einem Fotoshooting für den
Spiegel und einem Dreh mit dem Team von ZDF Aspekte, das ihn gestern hier
um die Ecke in einer Geisterbahn auf dem Maienfest gefilmt hatte. „Dieser
Rummel war einer der wichtigsten Orte meiner Kindheit“, erzählt der
gebürtige Kreuzberger.
## Gefeiert werden
Gestern sei er beim Theatertreffen zum ersten Mal ausgebuht worden, erzählt
er: „Das war ganz witzig: Erst haben ein paar Leute gebuht, dann andere
‚Bravo‘ gerufen und dann haben die sich gegenseitig immer weiter
hochgesteigert.“ Ersan lächelt. Die Missgunst des Betriebsdünkels ist ihm
nicht ganz unangenehm.
Von der feinen Gesellschaft lässt man sich natürlich gerne ausbuhen, wenn
die anderen einen dafür als aufregenden Regisseur feiern. Als den, der
unter den Jungen der sei, der es am besten verstehe, mal große Fragen
subtil im im erzählerischen Gewand zu verhandeln – zum Beispiel in seiner
eigentümlich langsamen Inszenierung des Orhan Pamuk-Romans „Schnee“ am
Hamburger Thalia Theater – dann aber wiederum mit einem formalistischen
Experiment wie „Tyrannis“ verwundert.
Kurz nach der ersten Aufführung beim Theatertreffen folgten die ersten
Verrisse. So muss das sein, wenn da ein Neuer um die Ecke kommt. Die
Kritiker monierten entweder ein „sinnfreies Spiel mit einer simplen
moralischen Pointe“ (Gunnar Decker im Neuen Deutschland) oder rieben sich
milde an Mondtags „Bedien dich, mach was draus“-Herangehensweise (Rüdiger
Schaper für den Tagesspiegel).
## Gruseliges Kammerspiel
Natürlich bestätigen auch diese Stimmen am Ende des Tages die große
Qualität von „Tyrannis“: Wer möchte, der kann das Stück als moralische
Vorführung der Angst des Menschen vor dem Fremden interpretieren. Oder aber
er liest das streng in vier Wänden eines Einfamilienhaushalts verhaftete
Stück als gruseliges Kammerspiel über die Enge der westeuropäischen
Kleinfamilie.
Man könnte aber genauso sagen: Oh, wie schön, ein Abend als Ode an
familiäre Rituale. All diese Schlüsse macht Ersan Mondtag einem leicht.
Doch keine Version löst die vielen Rätsel des Stücks. Warum beispielsweise
stehen in jedem Zimmer des Hauses Kameras, nur im Keller, in den der Vater
nachts verschwindet, nicht? Warum sind die Figuren blind? Warum stehen sie
nach jedem Sterben wieder auf? Eine endgültige Antwort auf die Frage „Was
will das Stück, was will Ersan Mondtag?“ fällt zum Glück doch schwer.
## Ferngesteuerte Sims
„‚Tyrannis‘ ist ein besonderer Fall in meinem bisherigen Schaffen. Die
Älteren zerbrechen sich darüber den Kopf, sie können das nicht so recht
fassen. Aber die Fragen, die sich ihnen stellen, stellen sich jüngeren
Menschen so gar nicht, weil sie mit bestimmen ästhetischen Entscheidungen
einfach viel zu vertraut sind. Zum Beispiel der Tatsache, dass sich die
Figuren wie fremdgesteuerte Sims bewegen.“ Neben dem Generationen-
prägenden Computerspiel „Die Sims“ zitiert Ersan Mondtag in „Tyrannis“
auch: David Lynchs „Twin Peaks“, die Zombie-Serie „The Walking Dead“ und
mutmaßlich noch einiges mehr.
Ersan Mondtag ist ein versierter Spieler mit Einflüssen von Antike bis
Popkultur, kein Freund eindeutiger Antworten oder soralinsaurer
Politik-Pamphlete. Bereits jetzt ist er bis Ende 2020 als Regisseur
komplett ausgebucht – unter anderem an zwei Berliner Häusern, aber auch an
beispielsweise den Münchner Kammerspielen. Gerade beschäftigt er sich für
unterschiedliche Stückentwicklungen mit dem NSU und Terrorismus. Die
Kritiker werden Ersan Mondtag so schnell nicht entkommen.
## Funkeln in seinen Augen
Angesprochen auf den eingangs erwähnten Herzer durch Shermin Langhoff
berichtet er: „Shermin kenne ich schon sehr lange, seit über zehn Jahren.“
Er lernte zunächst bei Thomas Langhoff am Deutschen Theater, später dann
bei Castorf, Peymann und Vegard Vinge. Er ist zielstrebig, das merkt man
ihm auch nach einer schlaflosen Nacht an. Das Funkeln in Ersans Augen
signalisiert: das wird noch ein Großer.
„Ich verstehe gar nicht, warum die Deutschen so darauf bedacht sind, sich
immer so klein darzustellen“, sagt er, zahlt seine Pizza und ruft sich ein
Taxi Richtung Berliner Festspiele herbei. Seine letzten Worte: „Wir sind ja
noch jung, man sieht sich!“
13 May 2016
## AUTOREN
Sascha Ehlert
## TAGS
Theatertreffen Berlin
Ersan Mondtag
Shermin Langhoff
Oper
Thalia-Theater
Theatertreffen Berlin
Oskar Roehler
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