# taz.de -- Kleist am Schauspiel Frankfurt/Main: Die Widerwärtigkeit der Wört… | |
> Oft waren die Inszenierungen von Michael Thalheimer in Frankfurt am Main | |
> großartig. Allein ein Drama von Kleist gerät doch etwas manieriert. | |
Bild: Da baumelt der Prinz in der Luft | |
Mit diesem Prinzen stimmt was nicht: Im weißen Nachthemd und mit grauen | |
Socken an den Füßen tänzelt er merkwürdig herum, streckt mal das eine, mal | |
das andere Bein ausdrucksstark zur Seite, bevor er kleine rumpelstilzhafte | |
Hüpfer wagt. | |
Felix Rech, der an gleicher Stelle neben Constanze Becker in Michael | |
Thalheimers famoser „Penthesilea“ klein beigeben musste, spielt den Prinzen | |
von Homburg in Kleists gleichnamigen Drama als uncharismatischen Träumer im | |
Schlafgewand im Schauspiel Frankfurt. Dieser Prinz ist so derart nicht bei | |
der Sache, dass es einen nicht wundern kann, dass er in der bevorstehenden | |
Schlacht den Befehl seines Kurfürsten, unbedingt auf seine Order zu warten, | |
gar nicht recht mitbekommt. | |
So führt der Prinz seine Mannen eigenverantwortlich in die siegreiche | |
Schlacht und dünkt sich hernach als Held, während er in Wahrheit vorm | |
Kriegsgericht landet. Das Leben als Albtraum. | |
Michael Thalheimer, der zum Ende der Spielzeit mit Oliver Reese ans | |
Berliner Ensemble wechseln wird, inszeniert das in gebotener und | |
erwartbarer Dunkelheit. Den Text hat er dabei in bewährter Manier | |
verknappt, verschlankt, vernüchtert. Akklamationen sind gekürzt, Auftritte | |
gestrichen. Nicht einmal eine Stunde und 45 Minuten braucht er diesmal, um | |
alles zu sagen. | |
## Sind alle nur Gespenster? | |
Dabei bewegt er seine Schauspieler vornehmlich im Halbdunkeln. Olaf Altmann | |
hat die Drehbühne, die mal das Schlachtfeld, mal den Kerker Homburgs | |
beherbergt, mit einem eisernen Vorhang umrundet. Die erste und die letzte | |
Szene des Stücks, die dem Traum entspringen, unterlegt Bert Wrede mit | |
höllisch himmlisch sirrenden Klängen. Nicht nur der Prinz scheint darin wie | |
nicht von dieser Welt, sondern auch der Kurfürst, seine Familie und die | |
Streitkräfte führen sich auf wie Gespenstergestalten. | |
Wolfgang Michael schiebt sich als zerlatschter Kurfürst von Brandenburg | |
über die Bühne wie ein gestriger Ganovenkönig. Dabei bellt er maulfaul | |
Sätze ins Publikum und verhökert ihre Vokale zu Tiefstpreisen. Seine Gattin | |
(Corinna Kirchhoff) verrenkt sich indes nach Art einer besonders steifen | |
Puppe, streckt dazu ihren Oberkörper wie ein Opfer in den Raum und | |
artikuliert Wörter wie Widerwärtigkeiten. | |
Das alles kommt so manieriert und outriert daher, dass es nicht selten | |
unfreiwillig ironisch tönt. Ganz anders Yohanna Schwertfeger als Prinzessin | |
Natalie von Oranien, deren brüchige Stimme die Kleist-Sätze schwer, schön | |
und scharf darbietet. Doch zuvor bricht erst einmal nervtötend brachialer | |
Theaterdonner herein, es rumst und blitzt: Wir befinden uns im Krieg. Das | |
Schlachtfeld ist klar markiert und den Schauspielern bleibt gar nichts | |
anderes übrig, als ihren Text niederzubrüllen, wollen sie hier noch Gehör | |
finden. | |
## Eine Marionette des Kurfürsten | |
In der Mitte der Bühne hängt eine unheilvolle Wolke aus Trockennebel, durch | |
den die Akteure sich nach vorn kämpfen, wie durch einen Traum. An der Rampe | |
angekommen, schlagen sie ihren Text ab. Das Todesurteil gegen den | |
ungehorsamen Prinzen vollstreckt Thalheimer dann, indem er ihn an zwei | |
Seilen hängend in die Luft befördert. Dort oben kämpft er gegen die eigenen | |
Dämonen. Eine Marionette des Kurfürsten, und ein durch stille Ätherräume | |
schwingender Geist, wie es bei Kleist heißt. Sein weißes Kleid ist da | |
längst blutgetränkt, wie auch die anderen Akteure deutlich blutige Spuren | |
der Verwüstung tragen. | |
In Gestalt und Gestus kommt die Inszenierung zwar Thalheimer-standesgemäß | |
daher, erringt aber nicht die Größe seiner großen Frankfurter | |
Inszenierungen: „Antigone“, „Medea“, „Penthesilea“. Diesmal wirkt v… | |
plump. Gleichviel. Zum Ende der Spielzeit wird Thalheimer noch „König | |
Ödipus“ inszenieren; open air nach Sophokles. Wir werden sehen. | |
8 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Shirin Sojitrawalla | |
## TAGS | |
Theater | |
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Oskar Roehler | |
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