Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „König Lear“ in Hamburg: Shakespeare schwächelt
> Das Schauspielhaus erstrahlt in neuem Glanz. „König Lear“, die
> Eröffnungsinszenierung von Intendantin Karin Beier, bleibt blass – bis
> kurz vorm Ende.
Bild: Nur Schatten ihrer selbst: Klar ist in Beiers „König Lear“ nur der S…
Hamburg taz | Ertüchtigend wurden Stahlträger eingezogen in die Ränge,
damit sie dem Zuschauerboom standhalten. Und 1.700 Quadratmeter prächtiger,
roter Flauschiteppich ausgelegt, Stuckateure renovierten den Zierrat,
Metalloberflächen wurden neu auf alt poliert, Marmor und Mosaike gewienert,
Maler weißten den Dreck der Jahrzehnte und ließen Stützpfeiler wieder
gülden glänzen. All die puddeligen Leuchter und Treppenstufenilluminationen
verrichten endlich mal einhellig ihren funzeligen Job. Und in den Nischen
der neobarocken Architekturshow sind die total abgerockten
Toiletteninstallationen komplett neu inszeniert.
Jetzt ist das denkmalgeschützte Deutsche Schauspielhaus wieder das größte
Schmuckkästchen Hamburgs und die Verantwortlichen jubeln über die perfekte
Dramaturgie: Sowohl die angesetzte Umbauzeit von fünfeinhalb Monaten als
auch der Kostenplan von 4,7 Millionen Euro seien minutiös eingehalten
worden. Und das mitten in Hamburg, nur zwei Kilometer entfernt von der
Elbphilharmonie.
Aber natürlich gehört es zum [1][Stil der Intendanz Karin Beiers], den
Begeisterungstaumel nicht mit einer einfach nur schmucken
Wiedereröffnungspremiere zu krönen. Mit ihrem herausfordernd politischen
Kunstverständnis erzählt sie vom Zerbrechen der Welt. Alle Werte des
sozialen Miteinanders, der humanisierende Glaube an eine höhere Instanz
oder wenigstens an Familie oder Liebe haben sich als nicht lebensfähig
erwiesen in der Saisoneröffnungsproduktion. Gewalt regiert und die Hybris
der nach Macht strebenden Menschen hat sie dem Untergang geweiht.
Diese von Shakespeare im „König Lear“ deprimierend schön ausformulierte
Zukunftsvision nimmt Beier als menetekelnden Blick auf unsere Welt. Nicht
als Tragödie malt sie die Rutschpartie in den Abgrund aus, sondern verzerrt
den epischen Fünfakter in einer offenen Spielanordnung mit Mitteln der
Groteske, also das Grauen mit Komik. So wird für die berühmte Gewitterszene
nicht die Illusionsmaschine angeworfen, sondern per Handtuch die Luft in
Wallungen versetzt und der nackte Protagonist mit einem Gartenschlauch
nassgespritzt.
## Geistig verwuschelt
Derart radikalisiert Beier die lässig komische, pointiert aktualisierte
Übersetzung des Bremers Rainer Iwersen. Wehrt sich also gegen die
Düsternis. So bleibt ihr auch die Chance, auf das apokalyptische
Stückfinale mit einer Wiederauferstehung antworten zu können.
Erst mal sieht aber alles aussichtslos aus. Mit tattriger Gestik und
schlurfendem Gang schreitet der alte Patriarch Lear (Edgar Selge) noch mal
sein Reich ab: ein schmuddelweiß dem Parkett entgegengekippter Kubus, der
tür- also ausweglos ist. Lieblingstochter Cordelia versucht die
verwuschelten Resthaare des auch geistig verwuschelten Königs in Form zu
bürsten.
Der Krauskopf aber lässt sich nicht beirren, seine Vernunft ruhen zu
lassen. Hüpft plötzlich wie um 30 Jahre verjüngt los und verfällt einer
besonders schweren Form von Eitelkeit. Das Reich will er in drei gleichen
Teilen seinem Töchtertrio vermachen, aber nicht einfach so. Für die
Erbschaft sollen demütige Liebesbeweise dargebracht werden. Lear hockt da
nun wie ein DSDS-Juror, während ihn Goneril und Regan mit höchst verlogenen
Beteuerungen und kindlich koketten Gesangsdarbietungen zu entzücken
versuchen. Die wahrlich vaterliebende Cordelia verweigert das buhlerische
Ritual – und wird verjagt. Der Anfang vom Ende.
## Arsch der Menschheit
Lear will sein Rentnerdasein abwechselnd bei Goneril und Regan verbringen,
die Geld- und Machthyänen aber haben keine Lust mehr, ihren Teil des
Generationenvertrages einzuhalten. Nehmen dem Vater das Gefolge, die Würde,
zwängen ihn in einen Rollstuhl und schieben ihn obdachlos ab in eine
unwirtliche Landschaft – heute wäre es ein schäbiges Seniorenheim.
Damit nun kein Zuschauer auf die Idee kommt, es sei geschlechtsspezifisch,
wenn zwei Frauen ihren Egoismus niederträchtig ausleben, sind die beiden
Rollen mit Männern besetzt. Carlo Ljubek und Samuel Weiss stöckeln tuntig
herum und machen bösen Spaß als Drag-Queen-Komödianten. Damit zudem niemand
auf die Idee kommt, dass Eddie Motherfucker I. sich in der Parallelhandlung
nur deswegen als rücksichtsloser Ur-Bösewicht „wider die Pest der
Konventionen“ selbst ermächtigt, weil er ein Mann ist, ist diese Rolle mit
Sandra Gerling besetzt.
Das Motto der dreiköpfigen missratenen Brut: Der Aufstieg der Jungen
beginnt mit dem Sturz der Alten. Es lebe der Hass, ein ewig junges Gefühl.
Umgang mit dem Alter, Geschlechterkampf, die Gender-Debatte werden also
angerissen und weitere aktuelle Probleme addiert zum unglaublichen Reichtum
an Themen, die Shakespeare bereits in die Handlung gewoben hat. Aber alles
bleibt Staffage.
Eine Livemusikerin schlägt derweil den Takt der Todesuhr und rhythmisch den
Klavierdeckel zu – als würden Bomben explodieren. Lina Beckmann versucht
als rührend besorgter, verzweifelt scherzender Narr den Verstand Lears zu
reanimieren und ihn als Cordelia noch mal frisierend zu bändigen. Aber der
König rettet sich vor der verrückten Welt komplett in die eigene
Verrücktheit. Diener Kent und Edgar spielen ihm diese vor, dessen
geblendeter Vater irrt dem Selbstmord entgegen. Nacktes Wahnsinnsgewusel.
## Schleppend von Einfall zu Einfall
Beier will einen Furor erzeugen und auf Archaisches hinaus, kommt aber nie
in den Flow innerer Schlüssigkeit, sondern schleppt sich von Katastrophe zu
Katastrophe, von Regieeinfall zu Regieeinfall. Die Aufführung zerfällt,
obwohl das Top-Ensemble beständig wirbelt, um alles zusammenzuhalten. Klar
ist nur der Scherenschnittfilm des Geschehens, der durch geschicktes
Lichtdesign an den Bühnenwänden zu verfolgen ist. Schließlich sind die
Protagonisten nur Schatten ihrer selbst.
Am Ende aber nicht einmal mehr das, sondern nur noch Objekte einer
Leichenlandschaft. Lediglich Edgar frohlockt und haut eine
Generalabrechnung mit der Welt kreuzfidel ins Publikum. „Das Bewusstsein
von Leere, Ohnmacht, Sinnlosigkeit, Chaos bedeutet für ihn nicht, dieselben
anzuerkennen“, erklärt Dramaturg Christian Tschirner, „das große Nothing
bildet für ihn lediglich die Folie, auf der und gegen die sich menschliches
Dasein fortan behaupten muss.“
Der letzte Mensch, der durch die Hölle ging, ist der erste, der wieder ins
Paradies aufbrechen will. „Her mit dem nackten Arsch der Menschheit“, sagt
Edgar, deutet Flucht um in einen positiven Daseinszustand, will grenzenlos,
vogelfrei unterwegs sein. Und tanzen. Also tanzt er. Tanzt. Und tanzt.
Toll. Nur stehen jetzt fünf auf- und endlich anregende Schlussminuten drei
nur aufgeregten, grell leerlaufenden Aufführungsstunden gegenüber. Die
Regie will viel – aber das viel zu spät.
26 Oct 2018
## LINKS
[1] /!5480393/
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Deutsches Schauspielhaus
Hamburg
Karin Beier
William Shakespeare
Theater
Deutsches Schauspielhaus
Die Couchreporter
Theatertreffen Berlin
Deutsches Schauspielhaus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tschechow am Hamburger Schauspielhaus: Gesellschaft der Gelangweilten
Wenn die Schwermut sich kraftlos auf die anderen überträgt: Karin Beier
inszeniert „Ivanov“ als Zusammenkunft verlorener Gestalten.
Kolumne Couchreporter: Die Briten und ihre Obsession
Filmadaptionen von Shakespeares Klassiker „König Lear“ gibt's viele. Die
BBC und Amazon haben nun noch eine gemacht – in einer totalitären
(Parallel-)Welt .
Theatertreffen 2016 in Berlin: Allheilmittel gegen die Trauer
Das Schauspielhaus Hamburg schickt sein „Schiff der Träume“ nach Berlin.
Trotz Widersprüchen ist es wieder ein Glanzlicht von Karin Beier.
Monstrositätenschau der Eitelkeiten
Auf dem Sonnendeck sind alle Humanisten: Karin Beier bringt die
Fellini-Adaption „Schiff der Träume“ im Hamburger Schauspielhaus auf die
Bühne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.