# taz.de -- Jelinek-Aufführung „Wut“: Schenkelklopfende Dschihadistinnen | |
> Es darf gelacht werden: Jelineks Stück „Wut“ karikiert religiöse | |
> Radikalisierung und Polizeigewalt fast ohne moralisierenden Zeigefinger. | |
Bild: Bombenstimmung auf der Bühne: Elfriede Jelineks Stück „Wut“ spielt … | |
Der Regisseur greift ein. Nicolas Stemann stellt klar, dass da gerade nicht | |
Elfriede Jelinek gesprochen hat, sondern eine Schauspielerin, die Elfriede | |
Jelinek gespielt habe. Dieselbe Schauspielerin habe auch den Regisseur | |
gespielt und sei nicht der Regisseur gewesen, der sei ja er selber. Und wie | |
er, der Regisseur des Abends, da so auf der Bühne steht, mag sich mancher | |
fragen, ob er in dem Moment, in dem er zum Publikum spricht, nicht doch | |
auch selbst wieder nur ein Schauspieler ist, der einen Regisseur spielt, | |
der Nicolas Stemann heißt. Und wie er sich und das Publikum so fragt, ob er | |
wohl gut getroffen worden sei, da wird er in seiner Eitelkeit zur | |
Karikatur, womit wir schon beim Thema wären. | |
Jelinek hat sich nach den mörderischen Anschlägen vom 7. Januar 2015 auf | |
das Satiremagazin Charlie Hebdound einen koscheren Supermarkt in Paris | |
darangemacht, die Wut zu verstehen, die die Attentäter angetrieben haben | |
mag. Herausgekommen ist ein Text, der am Samstag in den Münchner | |
Kammerspielen zur Uraufführung gekommen ist. „Wut“ heißt der Text, den | |
Stemann in einer wilden Revue auf die Bühne gebracht hat. | |
Da geht es um die Wut der betrogenen Partnerin, die folgenlos bleibt, weil | |
sie in ihrer Aufgeregtheit erst einmal aufs Klo geht. Es geht um die Wut im | |
Netz, wo mit Schaum vorm Mund in die Tastatur gehauen wird. Kleiner | |
Shitstorm gefällig? Schon scheißen die Schauspieler durch megasaubere | |
Reinraumanzüge auf die Bühne und werfen mit der Scheiße auf die Bilder | |
derer, die ihnen nicht passen. Schwäbische Wutbürger, Volk in Pegida-Wut | |
und die wahre Wut auf die verlogene Presse fehlen auch nicht. Die Wut all | |
derer, die „wir!“ schreien, wenn sie eigentlich „ich“ sagen müssten. | |
Es hätte ein schrecklicher Zeigefingerabend werden können, eine gruselige | |
Schlimm-schlimm-Revue. Und Jelineks ratloser Text, in dem sie auch keine | |
Antwort darauf findet, wo all die Wut nun herkommt, hätte zur | |
Nachdenkvorlage werden können für einen intellektuell gehaltvollen Abend in | |
einer Schwabinger Altbauwohnung bei teurem Rotwein. Stattdessen wird | |
herzhaft gelacht über die Karikaturen, die auf der Bühne herumlaufen. Wie | |
ein Mädchen sich in den bewaffneten Kampf hineinfantasiert, wird nicht in | |
sozialpädagogischem Verständnisduktus vorgetragen, sondern im Kreischton | |
kichernder Teenies in viel zu kurzen Röcken und viel zu hohen Schuhen. | |
Schenkelklopferdschihadistinnen statt Problemkinder. | |
## Viel Spaß beim Nachdenken | |
Und wenn Jesus, der nie ohne sein Kreuz aus dem Haus geht, seine | |
Götterkumpels Buddha, Ganesha oder Zeus zur Party einlädt, dann darf auch | |
Mo nicht fehlen. Die Götter fragen sich, wo er bleibt und können es kaum | |
fassen, als ein Mann im Minirock, Netzstrumpfhosen und hochhackigen Schuhen | |
den Raum betritt. „Ich habt doch nicht geglaubt, dass ich …“, sagt der. | |
Nein, geht ja gar nicht. Es gibt ja kein Bild von Mohammed. Den Karikaturen | |
der Götter auf der Bühne bleibt doch nur die Charlie-Hebdo-Karikatur von | |
Mohammed als Bild des Propheten. Schauspieler stellen Karikaturen von | |
Göttern dar, die über eine Karikatur eines Religionsstifters sprechen, von | |
der viele behaupten, dass eine solche nicht erlaubt ist. | |
Bitte sehr, liebes Publikum, viel Spaß beim Nachdenken darüber, was uns der | |
Regisseur hat sagen wollen. Geht es um das Bilderverbot im Islam oder | |
allgemein um Religion unter spezieller Berücksichtigung des radikalen | |
Islam? Ist das kalkulierte Verletzung religiöser Gefühle oder eine Satire | |
über Menschen, die sich Gedanken über religiöse Gefühle machen? Stemann | |
gibt dem Publikum freie Hand. Witzelt da einer nur oder ist es ihm ernst? | |
Man weiß es nie an diesem beinahe vier Stunden langen Abend. Und genau das | |
macht ihn zur großen Kunst. | |
Und wenn am Ende vorgeführt wird, dass der Wut kein Zweifel innewohnt, dass | |
es keinen Sinn hat zu argumentieren, wenn einer sagt: „Wir töten euch, weil | |
ihr die seid, die bestimmen, was überall auf der Welt geschieht!“, dann | |
wird es still im Publikum. Noch ein paar kritische Anmerkungen zur Rolle | |
des Kapitalismus bei der Mörderwerdung junger Männer, ein Verweis auf das | |
Massaker französischer Polizeieinheiten gegen friedlich demonstrierende | |
Algerier im Jahr 1961, und plötzlich ist da dieser intellektuelle Klartext, | |
der den Abend beinahe noch kaputt gemacht hätte. Wir haben doch so schön | |
gelacht über all die Karikaturen, die dieses großartige Ensemble da auf die | |
Bühne gestellt hat. | |
19 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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