# taz.de -- Theaterleiter über sein Haus in Mariupol: „Mein Lebenswerk ist z… | |
> Ende März brannte das „Teatromanyia“ in Mariupol nieder. Theaterleiter | |
> Anton Telbizov erzählt, was damit verloren gegangen ist – und was bleibt. | |
Bild: „Jetzt stehe ich vor dem Nichts. Buchstäblich“: Anton Telbizov, Thea… | |
„Ich mag in Mariupol am liebsten die Pommes mit Käsesoße und das Café | |
direkt am Meer.“ Das ist eine lässige Liebeserklärung, die Anton Telbizov | |
letztes Jahr ausgesprochen hat im „Hotel Continental“, der Spielstätte des | |
Theaters „Teatromanyia“ in Mariupol, das er leitet. | |
Am 27. März, dem Welttheatertag, hörte man diese Worte auch in den | |
Kammerspielen des Deutschen Theaters – in einer Aufzeichnung. „Ukrainische | |
Stimmen für Mariupol“ nannte das Deutsche Theater den zweiten | |
Solidaritätsabend, den das Haus nach Kriegsbeginn kurzfristig organisiert | |
hatte. Am 16. April ist eine dritte Ausgabe geplant. | |
Letzten Sonntag waren Andrii Palatnji, der Leiter des Festivals Gogolfest | |
in Mariupol, und Natalia Vorozhbyt, die Autorin des Donbass-Stücks „Bad | |
Roads“ (das letzten Herbst zu Gast bei Radar Ost am DT war), zugeschaltet. | |
Im Mittelpunkt aber stand das Theater „Teatromanyia“, dessen Leiter Anton | |
Telbizov auf der Bühne in den Kammerspielen stand. | |
Und auch einige der KünsterInnen, mit denen er letztes Jahr als Regisseur | |
zusammengearbeitet hat: Josie Dale-Jones aus London, Evan Kosmidis aus | |
Athen und Christine Dissmann vom Ogalala-Theater in Berlin-Kreuzberg. | |
Die kurzen Videos, die insgesamt vier Projekte des „Teatromanyia“ | |
vorstellten, sind Zeugnisse einer Zeit, in der Mariupol schon vom Krieg | |
gezeichnet war, der seit der Annexion der Krim 2014 die Region Donezk | |
beherrscht. „Acht Jahre Stress, acht Jahre Angst“, so beschreibt Anton | |
Telbizov das Lebensgefühl der MariupolerInnen. | |
In einem Theaterprojekt, in dem es um die Aufarbeitung von Kriegstraumata | |
geht, sagt ein etwa fünfzehnjähriger Junge: „Im Grunde spüre ich, dass ich | |
auf einer tickenden Zeitbombe sitze. Aber Hauptsache, ich lebe.“ | |
Telbizov bleibt auf der Bühne die Stimme weg, als er vom 24. März erzählt, | |
dem Tag, an dem das [1][Theater bis auf die Grundmauern niederbrannte]. „Es | |
reicht für uns UkrainerInnen nicht aus, das Leben [nach dem Krieg] neu zu | |
beginnen, eigentlich müssten wir neu geboren werden“, ist sein Fazit. | |
Als der russisch-ukrainische Krieg ausbrach, war Anton Telbizov im Urlaub | |
in Ägypten. Inzwischen ist er in Deutschland und hat die Nachricht | |
erhalten, dass auch seine Wohnung nicht mehr existiert. Wir telefonieren | |
per Videoschalte. | |
taz: Herr Telbizov, wie geht es Ihnen? | |
Anton Telbizov: Mein Lebenswerk ist zerstört. Ich war bis vor einem Monat | |
der Leiter eines Theaters mit vierzig Schauspielenden. Das Theater | |
„Teatromanyia“ ist mein Lebenswerk. Ich war 25, als ich es vor gut zehn | |
Jahren gegründet habe: ein Laientheater, in dem die jüngsten | |
Theaterschaffenden Jugendliche und die ältesten Darstellenden etwas über | |
vierzig sind. Jeder ist willkommen und jeder soll sich bei uns unverfälscht | |
zeigen können. 250 junge Menschen sind in den letzten zehn Jahren durch | |
unsere „Theaterschule“ gegangen und viele studieren inzwischen an den | |
angesehensten Kunsthochschulen des Landes. 2016 wurden wir sogar mit der | |
Auszeichnung „Nationaltheater“ geehrt. Viele Fotos, viele Videoaufnahmen | |
von unseren Inszenierungen waren auf meinem Laptop. Den hatte ich im | |
Theater gelassen, als ich in den Urlaub nach Ägypten flog. Ich habe mich | |
sicher gefühlt in Mariupol. Jetzt stehe ich vor dem Nichts. Buchstäblich. | |
Aber niemand wird Ihnen Ihre Erfahrung, Ihr Können und Ihre Erinnerung an | |
viele wunderbare Momente im „Hotel Continental“ nehmen können! Ist Ihr | |
Theater ein Hotel? Präziser gefragt: Warum heißt das Theater „Hotel | |
Continental“? | |
Das Zentrum für zeitgenössische Kunst, das vor ein paar Jahren aus dem | |
städtischen Kulturhaus hervorging, hat sein Domizil seit einigen Jahren im | |
denkmalgeschützten ehemaligen Hotel Continental. „Teatromanyia“ ist ein | |
Akteur des Zentrums und bespielte in dem Gebäude alles, was möglich ist: | |
neben dem Saal sehr gern den Innenhof mit den Feuertreppen und mit Freude | |
auch das Dach. Übrigens: In dem Gebäude war eine super Akustik! Jetzt gibt | |
es das nicht mehr. | |
„Teatromanyia“ ist seit 2016 „Nationaltheater“, eine hohe Auszeichnung … | |
der Ukraine, besonders für ein so junges Theater. Was war der Grund für | |
diese Ehre? | |
Im Jahr 2016 kam eine spezielle Kommission ins „Hotel Continental“ und hat | |
sich unsere Produktionen angesehen. In dem Jahr zuvor hatten wir das Stück | |
„Weg mit den Waffen“ entwickelt, das sich mit der Geschichte der | |
kriegerischen Auseinandersetzungen vom Anfang der menschlichen Existenz bis | |
heute befasst – und die dazugehörigen Waffen ins Visier nimmt. Als | |
regieführender Theaterleiter geht es mir um ein Theater, das sich der | |
großen Fragen annimmt. „Teatromanyia“ hat in den letzten Jahren nicht | |
wenige Stückentwicklungen zu in Mariupol wichtigen Themen herausgebracht. | |
So gibt es etwa Inszenierungen über häusliche Gewalt, Umweltverschmutzung, | |
Vereinzelung durch Digitalisierung und Abtreibung. | |
Auf den Bildern und den Videos, die im Deutschen Theater gezeigt wurden, | |
sehe ich ein sinnliches, körperliches und auch poetisches Theater. Das | |
Stück „Weg mit den Waffen“ ist eine Gruppenchoreografie mit langen Stöcke… | |
Bei uns kommt immer zuerst der Inhalt und dann die Form. Darum haben wir | |
nicht den einen Regiestil. Wir entwickeln den Stil aus dem Inhalt heraus. | |
Unser Theater möchte aufklären. Wenn sich jemand unser Stück über Natur und | |
Mensch ansieht und danach die Zigarettenstummel nicht mehr auf den Boden | |
wirft, dann haben wir eines unserer Ziele erreicht. | |
Ihre Muttersprache ist russisch. In welcher Sprache finden die | |
Vorstellungen im Theater statt? | |
Auf Russisch und auf Ukrainisch. Ich spreche immer russisch, weil ich | |
Ukrainisch nicht fließend beherrsche. Ich war bis vor einem Monat als | |
Theaterleiter eine öffentliche Person in Mariupol und habe auch bei | |
öffentlichen Auftritten immer russisch gesprochen. Ich hatte nie Probleme. | |
Was bleibt? | |
Der Kontakt zu „meinen“ SchauspielerInnen über den Telegram-Kanal. Sie | |
schreiben mir, dass sie sich in den schlimmsten Momenten der Angst an unser | |
Theater erinnern. An die Momente der Verzauberung. An lustige Augenblicke. | |
Das helfe. Ich bin sehr froh, dass unser Theater, auch wenn es im Moment | |
äußerlich nicht mehr existiert, nichtsdestotrotz da ist und eine Stütze | |
sein kann. | |
4 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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