# taz.de -- Terroranschlag auf den Breitscheidplatz: Der Staatssekretär war´s | |
> Wieso versickerten Infos zum Fall Amri im Verfassungsschutz von | |
> Mecklenburg-Vorpommern? Im Bundestag musste sich jetzt Ex-Minister | |
> Caffier erklären. | |
Bild: Lorenz Caffier sitzt als Zeuge im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum A… | |
BERLIN taz | Lorenz Caffier stellt sich vor dem | |
Bundestagsuntersuchungsausschuss so vor, als hätte er keine herausragende | |
Rolle: 66 Jahre alt, verheiratet, vier Kinder, Abgeordneter des Landtages | |
Mecklenburg-Vorpommern, keine Kenntnis zu den Vorgängen in seinem Haus, dem | |
Landesinnenministerium also, das er 14 Jahre lang und bis vor wenigen | |
Wochen geleitet hatte. | |
Dabei geht es am Donnerstagabend im Bundestag darum, ob die Vorgänge in | |
Lorenz Caffiers Ministerium zuletzt so außer Kontrolle geraten sind, dass | |
fundamentale Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden konnten – die | |
Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beispielsweise. | |
Lorenz Caffier hat weniger für Pathos übrig und sagt vor dem Ausschuss in | |
nüchternen Worten: Er könne die Vorgänge „nicht abschließend juristisch | |
bewerten“, halte sie aber für einen „klaren Fehler“. | |
[1][Der Untersuchungsausschuss im Bundestag klärt die Vorgänge] rund um das | |
terroristische Attentat auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. | |
Damals fuhr der Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen LKW in einen | |
Weihnachtsmarkt und tötete elf Menschen, dutzende wurden schwer verletzt. | |
Später stellte sich heraus, dass der Attentäter Nachrichtendiensten und | |
Polizeibehörden bereits bekannt gewesen war. | |
Der Ausschuss im Bundestag arbeitet die Vorgänge auf, zeichnet | |
Behördenversagen nach. Und fand so auch heraus, dass relevante | |
Informationen über Anis Amri, die den Ermittlungsbehörden nach dem Attentat | |
hätten helfen können, im Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern | |
liegen blieben. | |
## Infos über Unterstützernetzwerk | |
In Kürze lässt sich der Skandal in etwa so darstellen: Eine Quelle hatte | |
Wochen nach dem Attentat, im Februar 2017, seinem V-Mann-Führer vom | |
Landesamt für Verfassungsschutz in Schwerin erzählt, eine Familie aus | |
Neukölln habe Anis Amri unterstützt, mit Geld und einem Fluchtwagen. Damals | |
sind das wichtige Hinweise, die Aufschluss über ein Unterstützernetzwerk | |
geben könnten und sogar über das Motiv des Attentäters. Träfen sie zu, | |
hätten sie den damaligen Kenntnisstand verändert, nachdem Anis Amri als | |
islamistisch motivierter Einzeltäter galt. Darauf hatten sich | |
Sicherheitsbehörden schnell festgelegt. | |
Doch es dauert, bis sie in Schwerin entscheiden, die neuen Informationen | |
schriftlich festzuhalten und im Verfassungsschutzverbund zu teilen. | |
Zwei Jahre später wendet sich einer der damaligen Quellen-Führer an den | |
Staatssekretär des Innenministeriums, Thomas Lenz, und erzählt ihm von den | |
Informationen zu Anis Amri. Er sagt ihm auch, dass ihm untersagt worden | |
sei, andere Behörden davon in Kenntnis zu setzen. | |
Und er erzählt von einem weiteren Skandal: Im Landesamt für | |
Verfassungsschutz lagern illegale Waffen, die der | |
Verfassungsschutzmitarbeiter auf dem Schwarzmarkt gekauft hat. Angeblich, | |
um einen Waffenhändlerring für Islamisten aufzudecken, doch selbst mit | |
dieser Begründung ist es juristisch heikel, wenn eine Behörde Kriegswaffen | |
illegal besorgt. Davon setzt der Verfassungsschutzmitarbeiter nicht nur | |
Staatssekretär Lenz in Kenntnis, sondern verschickt kurz darauf auch Briefe | |
an die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Verfassungsschutz. | |
## Kronzeuge im Ausschuss | |
So kommt es, dass er Kronzeuge vor dem Untersuchungsausschuss wird, wo er | |
vor einigen Wochen aussagte. Auch ein Referatsleiter, der | |
Verfassungsschutzchef und der Staatssekretär Thomas Lenz werden geladen und | |
lassen einen irritierten Ausschuss zurück, in dem man inzwischen über eine | |
„vordemokratischen Haltung“ des Innenministeriums in Mecklenburg-Vorpommern | |
spricht. | |
Die Abgeordneten wollen deshalb von Caffier wissen, was er tat, als er im | |
Herbst 2019 von den Vorgängen erfuhr. Er sagt: „Ich habe es nicht für | |
möglich gehalten.“ Und: Er sei „verärgert“ gewesen. Er habe seinen | |
Staatssekretär angewiesen, die Informationen unverzüglich weiter zu leiten | |
und die internen Vorgänge aufzuklären. | |
Ob das dann geschieht, kann Caffier nicht so recht erklären. Ein Gespräch | |
mit dem Verfassungsschutzchef sucht er erst Wochen später, mit dem | |
V-Mann-Führer spricht er nie selbst. Bis heute hat er sich mit den | |
illegalen Waffen nie genauer beschäftigt. Caffier antwortet dem Ausschuss | |
in kurzen Sätzen, erklärt wenig. Nur eines hören die Abgeordneten immer | |
wieder: Der Verfassungsschutzchef hat einen Fehler gemacht. Verantwortlich | |
für die Aufarbeitung sei aber nicht er, der Innenminister gewesen, sondern | |
sein Staatssekretär Lenz. | |
Den Abgeordneten im Bundestag fällt auf, dass ausgerechnet ein | |
CDU-Innenminister, der für das Politikfeld „Sicherheit“ brennt, behauptet, | |
wenig über die konkrete Arbeit seiner Behörden im Kampf gegen Islamismus zu | |
wissen. | |
## Späte Konsequenzen | |
Als Lorenz Caffier im Herbst 2019 von den Skandalen in seinem Ministerium | |
erfährt, beschließt er, keine personellen Konsequenzen zu ziehen. Sein | |
Verfassungsschutzchef bleibt im Amt. Inzwischen ist Caffier selbst von | |
seinem Amt zurückgetreten, Anlass war ein anderer Extremismus-Skandal in | |
seinem Land. Er hatte eine Waffe von einem Händler und Schießtrainer | |
gekauft, der Mitglied bei der rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz | |
gewesen war. Sein Ministerium war seit drei Jahren vor allem dadurch | |
aufgefallen, wenig zur Aufklärung mutmaßlicher rechtsterroristischer | |
Bestrebungen der Gruppe beigetragen zu haben. Caffier erklärte schließlich, | |
er habe keine Informationen über den Waffenhändler gehabt. | |
Sein Nachfolger Torsten Renz [2][hat den Verfassungsschutzchef vor zwei | |
Wochen in den Ruhestand versetzt] und eine externe | |
Verfassungsschutzkommission eingesetzt, die aufklären soll. An | |
Staatssekretär Lenz hält auch er fest. Die Linken-Abgeordnete Martina | |
Renner fragt Caffier im Bundestag: Man höre ja über Herrn Lenz, dass ihm | |
egal sei, wer unter ihm Innenminister ist. „Ist Ihnen das auch | |
untergekommen?“ Caffier antwortet, Lenz genieße hohe Anerkennung bei ihm. | |
Am Ende der Sitzung wünscht er allen eine gute Arbeitswoche und geht. | |
29 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
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