# taz.de -- Technologieoffenheit der FDP: Warten auf unrealistische Lösungen | |
> In den Debatten über Heizung und E-Fuels blockiert die FDP. Ihr Argument: | |
> Technik und Markt würden das Problem lösen. Experten sehen das anders. | |
Bild: Vollgetankt und losgedüst: Feierabendverkehr am Stuttgarter Neckartor | |
BERLIN taz | Die Liberalen können noch überraschen. „Es gibt keine | |
blockierende FDP“, sagt der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion im | |
Bundestag, Lukas Köhler, wenn man ihn auf die Debatte in der Ampelkoalition | |
rund um Energie und [1][Klimaschutz] anspricht. | |
Die Liberalen sagen von sich, sie seien das Korrektiv für Marktwirtschaft | |
und Technologieoffenheit in der Regierung, „Blockieren hieße, dass wir ohne | |
Bedingungen sagen, es darf nichts kommen. Das machen wir nicht“, so Köhler. | |
„Nach dieser abwegigen Logik müsste man daher auch immer, wenn die Grünen | |
nicht zu hundert Prozent unsere Vorschläge teilen, sagen: Die Grünen | |
blockieren ein Gesetz.“ | |
Der allgemeine Eindruck ist derzeit ein anderer. Demnach sagen die | |
Liberalen zu den Plänen des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck zur | |
Energiewende konstant Njet, verzögern oder stellen unannehmbare | |
Forderungen. Habeck ist beim Thema Heizungsgesetz inzwischen so geladen, | |
dass er der FDP Wortbruch vorwirft. Was ist also dran an diesen | |
verschiedenen Sichtweisen? Hat die FDP gute fachliche Argumente, die Grünen | |
zu bremsen? | |
Es begann im Februar mit dem Streit über die E-Fuels: FDP-Verkehrsminister | |
Volker Wissing legte sein Veto gegen eine EU-Regelung ein, die die | |
Zulassung von Verbrennerautos nach 2035 untersagte. Parteifreund Köhler | |
steht zu dem dann [2][gefundenen Kompromiss]. Er sagt: „Wir widersprechen | |
der Prämisse, dass E-Fuels in der Zukunft global gesehen teuer und knapp | |
sein werden. Jeder Versuch, die Zukunft der Märkte vorherzusagen, ist in | |
der Vergangenheit gescheitert.“ | |
## Champagner der Energiewende | |
Im Prinzip, so Köhler, seien E-Fuels einfach herzustellen. Er kann sich | |
andererseits „nicht vorstellen“, wie die weltweit 1,3 Milliarden Autos | |
rechtzeitig für die Klimaziele des Pariser Abkommens von E-Autos ersetzt | |
werden. Auch weil unklar sei, wo der ganze grüne Strom dafür herkommen | |
soll. | |
Experten halten E-Fuels für den „Champagner der Energiewende“ – Köhler | |
sagt: „Absoluter Quatsch!“ Dagegen zeigen Kalkulationen von Agora | |
Verkehrswende, der Bundesregierung und der EU-Kommission, dass E-Fuels | |
bisher drei- bis fünfmal so teuer wie E-Mobilität sind und dass E-Autos | |
fünfmal so effizient die Energie einsetzen wie E-Fuels. | |
Gibt es sie, würden sie für die Industrie oder den Flugverkehr gebraucht, | |
wo es keine E-Alternativen gibt, das sagt auch offiziell das FDP-geführte | |
Forschungsministerium. Deshalb seien diese Treibstoffe knapp und teuer, | |
jedenfalls bis Grünstrom im Übermaß vorhanden ist. | |
## Wasserstoff nur die Ausnahme | |
Die FDP vertraut da auf den Markt: Der habe es auch geschafft, durch | |
explodierende Nachfrage die Preise durch „Skaleneffekte“ massiv zu senken �… | |
beim Solarstrom etwa sind deshalb weltweit in den letzten Jahren die | |
[3][Preise um 80 Prozent gesunken]. Aber selbst dann, so Wasserstoffexperte | |
Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, blieben die | |
Treibstoffe „auf absehbare Zeit knapp und vergleichsweise teuer. Eine Wette | |
darauf, dass es anders kommt, als die Wissenschaft berechnet, ist keine | |
robuste Strategie.“ | |
Ähnlich bei dem Streit fossile Heizungen im „Gebäudeenergie-Gesetz“. Für | |
Habecks Ministerium ist die Heizung auf Basis von grünem Strom über die | |
Wärmepumpe die Regel, nur in Ausnahmefällen sollen Holzpellets oder grüner | |
Wasserstoff zum Tragen kommen. | |
Die FDP aber sieht Wasserstoff nicht als knappes Gut, „bei der großen | |
Nachfrage in den Industrieländern und der Zahlungsbereitschaft wird das | |
Angebot in den nächsten Jahren massiv zunehmen“, ist sich Köhler sicher. | |
„Das ist kein Hexenwerk“, er setze darauf, dass klimaneutraler Wasserstoff | |
„sehr günstig werden wird“. Auch hier sieht allerdings das | |
Forschungsministerium „[4][bereits heute effizientere Alternativen]“ beim | |
Heizen als Wasserstoff. | |
## Emissionen verschieben | |
Beispiel Tempolimit: Die FDP glaubt nicht, dass sich durch langsameres | |
Fahren der Verkehr verringern oder verlagern würde. Eine Studie des | |
[5][Umweltbundesamts, die deutliche CO₂-Reduktion durch das Tempolimit] im | |
Straßenverkehr errechnete, konterte die FDP-Fraktion mit einer umstrittenen | |
„Kurzstudie“. Auch Köhler hält eine Reihe der Annahmen aus der Studie für | |
fragwürdig. Den Verdacht eines Gefälligkeitsgutachtens wies das Amt empört | |
zurück. | |
Streitpunkt Klimaschutzgesetz (KSG): Die FDP hat erreicht, dass darin die | |
scharfen Sektorziele aufgeweicht werden, nach denen die betroffenen | |
Ressorts wie Verkehr und Gebäude jährlich CO₂-Minderungen nachweisen | |
müssen. Weil das CO₂-Gesamtbudget aber sinkt, müssen andere Bereiche wie | |
Industrie oder Kraftwerke mehr einsparen, wenn etwa der Verkehr seine Ziele | |
nicht erreicht. | |
Wie soll das gehen? „Es gibt diese Flexibilitäten zwischen den Sektoren“, | |
ist sich Köhler sicher. „In den letzten beiden Jahren haben wir die | |
Klimaziele eingehalten, weil Industrie und Energie weniger emittiert haben | |
als geplant. Wir verschieben die Emissionen ja jetzt schon: Mehr | |
Elektroautos und mehr elektrische Wärmepumpen bewegen die Emissionen von | |
Verkehr und Gebäuden hin zu den Kraftwerken.“ Diese aber unterliegen dem | |
Emissionshandel – also müssten sie laut FDP wie geplant sinken. | |
Allerdings: Die Verschiebung der Emissionen durch E-Autos und Wärmepumpen | |
(und dadurch deutlich sinkende Emissionen bei Verkehr und Gebäuden) ist | |
derzeit in der Statistik noch kaum sichtbar. Auch hier geht die FDP eine | |
Wette darauf ein, dass die Situation in der Zukunft besser ist, als es sich | |
derzeit abzeichnet. | |
## Der Glaube an die Kernfusion | |
Am deutlichsten wird diese Begeisterung für die Technik wohl beim Beispiel | |
Kernfusion. Zum Erstaunen vieler Fachleute erklärte FDP-Bildungsministerin | |
Martina Stark-Watzinger Ende 2022, sie hoffe auf Strom aus der Kernfusion | |
in einem Zeitraum von „ich sag mal zehn Jahren, es kann auch etwas länger | |
dauern“. Das widerspricht selbst den optimistischsten Planungen der | |
Kernfusionsfans in der EU: Eine „kommerzielle Stromproduktion“, die zu den | |
Klimaschutzzielen beitragen könne, sei „erst nach 2050 denkbar“, [6][heißt | |
es von der EU]-Kommission, die das Projekt unterstützt. | |
Köhler verteidigt seine Parteifreundin Stark-Watzinger: „Als Liberale | |
blicken wir optimistisch auf den technologischen Fortschritt. Und als | |
liberale Forschungsministerin blickt sie daher genau mit diesem Optimismus | |
auf die Schaffenskraft von Menschen und Unternehmen.“ Für ihn sind die | |
Milliardensummen, die aus der Privatwirtschaft in den letzten Jahren in | |
Start-ups zur Fusionstechnik fließen, ein Hinweis darauf, dass an der | |
Kernfusion etwas dran ist. Als seien nicht schon früher Milliardensummen | |
von Wagniskapital für technologische Blütenträume verbrannt worden. | |
Auch beim deutschen Emissionshandel für Öl und Gas im Verkehr und in | |
Gebäuden, der die privaten Haushalte betrifft, will die FDP schneller und | |
härter vorangehen: Die Preise (derzeit 30 Euro pro Tonne CO₂, ansteigend | |
bis 2027, dann Freigabe der Preise) sollten sich deutlich früher als | |
bislang geplant am Markt bilden – was auch Klima-Ökonomen wie Ottmar | |
Edenhofer oder Veronika Grimm fordern. | |
Eine Preisexplosion könne durch eine kluge Ausgestaltung des Systems | |
verhindert werden, hofft die FDP. Aber natürlich würden die Preise | |
perspektivisch immer weiter steigen. Die Einnahmen müssten nach dieser | |
Vorstellung durch Rückverteilung an die Menschen zurückgegeben werden (das | |
sogenannte Klimageld). Dessen Grundlagen sollen aber laut Finanzminister | |
Christian Lindner frühestens 2024 vorliegen. Und die Koalitionspartner | |
wären schon froh, wenn es zum Ende der Legislatur 2025 käme. | |
## Hohe Heizkosten | |
Die FDP kümmerte das auf ihrem Parteitag im April nicht: Sie stimmte dafür, | |
den CO₂-Preis für Heizen und Benzin schon ab 2024 über den Emissionshandel | |
zu regeln – was politisch kaum machbar ist. Für Köhler allerdings – von d… | |
diese Idee stammt – bedeutet das nicht, im Gegenzug alle anderen | |
klimapolitischen Maßnahmen abzuschaffen: „Der CO₂-Preis würde vielleicht | |
durch die Decke gehen, wenn wir alle anderen Regelungen wie | |
Flottengrenzwerte, Gebäude-Energiegesetze oder staatliche Förderungen | |
radikal abschaffen. Aber das will ja keiner“, sagt er. | |
Doch Experten warnen: Ohne staatliche Regulierung würden viele | |
Hauseigentümer an ihrer Gasheizung festhalten und in einigen Jahren sehr | |
hohe Heizkosten haben. Das könne der Staat dann nicht mehr ausgleichen – | |
und müsse die Klimaziele senken, weil es sonst zu teuer werde. „Um die | |
Wirkung der Regulierung zu ersetzen, müsste der Preis für die Tonne CO₂ | |
nicht bei jetzt 30, sondern bei etwa 500 Euro liegen“, heißt es. | |
Insgesamt zeigt sich: Die FDP setzt – im Widerspruch zu den meisten der | |
zuständigen Behörden, Thinktanks und Experten – darauf, dass große | |
Nachfrage und Milliardeninvestitionen weltweit den grünen Wasserstoff sehr | |
schnell ausreichend verfügbar machen. | |
Während die Planer etwa in Habecks Ministerium mit dem „Spatzen in der | |
Hand“ planen und damit kämpfen, genug erneuerbare Kraftwerke zu bauen, neue | |
Leitungen zu legen und die Wasserstoffindustrie hochzuziehen, schauen die | |
Liberalen nach der „Taube auf dem Dach“: Sie stellen sich eine Welt vor, in | |
der günstiger und grüner Wasserstoff im Überfluss vorhanden ist und alle | |
Energie- und Klimaprobleme löst. Eine Welt, in der laut dem Willen von | |
Christian Lindner „CO₂ ein knappes und handelbares Gut wird“, das man etwa | |
zur Herstellung von E-Fuels braucht. | |
Kohlendioxid (CO₂) ein knappes Gut? Derzeit stößt die Welt knapp 37 | |
Milliarden Tonnen des fossilen Klimagases aus, und Deutschland beteiligt | |
sich mit etwa 750 Millionen Tonnen daran. Knapp sind nicht die Moleküle, | |
sondern die Lizenzen, um die Atmosphäre zu verschmutzen. Und knapp wäre CO₂ | |
etwa für E-Fuels, das keinen fossilen Ursprung hätte. Aber bis dahin ist es | |
ein sehr weiter Weg, sagen Klimaökonomen, CO₂ ist für sie deshalb kein | |
„Gut“, sondern ein „Schlecht“. | |
6 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/e-fuels-verbrenner-einigung-eu-wissi… | |
[3] https://www.irena.org/-/media/Files/IRENA/Agency/Publication/2017/Nov/%20IR… | |
[4] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/wissenswertes-zu-gruen… | |
[5] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/klimaschutz-umweltbundesam… | |
[6] https://table.media/europe/analyse/kernfusionsreaktor-iter-klimafinanzierun… | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
FDP | |
Wasserstoff | |
Energiewende | |
Heizung | |
Energiekrise | |
GNS | |
Verkehrswende | |
Klimaneutralität | |
FDP | |
Ampel-Koalition | |
Volker Wissing | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Podcast „Bundestalk“ | |
Klimaneutralität | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
CO2-Grenzwerte für Lastwagen: Ampel streitet über Lkw-Emissionen | |
Am Freitag sollte die EU über schärfere CO2-Werte für Busse und Lastwagen | |
entscheiden. Weil die FDP blockiert, steht die Abstimmung auf dem Spiel. | |
Wasserstoff aus Chile: Schiefes Geschäft | |
Deutschland will für die Energiewende grünen Wasserstoff aus dem | |
windreichen Chile importieren. Das Land könnte dadurch eigene | |
Umweltprobleme bekommen. | |
FDP-Bürgermeister für Tempolimit: Voll am Limit | |
In Niedersachsen kämpft ein FDP-Bürgermeister für Tempo 30. Kann er | |
seinen Parteikollegen, Verkehrsminister Volker Wissing, überzeugen? | |
Konflikte um die Energiewende: Die grüne Grenze | |
Die Debatte über das Heizungsgesetz war nur der Anfang. Klar ist: | |
Deutschland wird seine Klimaziele nur erreichen, wenn sich die SPD neu | |
erfindet. | |
Bahnreform durch Ampelkoalition: Wissing will bessere Schienen | |
Der Bundesverkehrsminister will rascher in die Infrastruktur für den | |
Zugverkehr investieren. Damit bereitet er auch die Bahnreform vor. | |
Klimaschutz in der Industrie: Nicht nur finanzielle Gründe | |
Wirtschaftsminister Robert Habeck will den klimafreundlichen Umbau der | |
Industrie unterstützen - gut so. Sogar die Rezepte der FDP dürften helfen - | |
an einigen Stellen. | |
Ranking von CO2-Emittenten in Deutschland: Deutschlands dreckigste Fabriken | |
Die 30 klimaschädlichsten Industrieanlagen sind alleine für 8 Prozent der | |
deutschen CO2-Emissionen verantwortlich. Ganz vorne mit dabei: Thyssenkrupp | |
aus Duisburg. | |
Förderung klimafreundlicher Industrie: Ökologischer Umbau mit wenig Risiko | |
Wirtschaftsminister Habeck startet eine weitere Subvention | |
energieintensiver Industrien. Die Hilfen fangen Kosten für mehr | |
Klimafreundlichkeit auf. | |
Podcast „Bundestalk“: Kulturkampf um die Wärmepumpe | |
Die FDP schießt gegen das Heizungsgesetz, die Grünen sind entsetzt. Wie | |
geht es jetzt weiter mit der Klimapolitik der Ampel? | |
Plan für kommunale Wärmeplanung: Bedenken beim Datenschutz | |
Das Bauministerium bereitet ein Gesetz zur Wärmeplanung vor: Die Länder | |
sollen Pläne zur Wärmewende liefern. Die FDP bemängelt „Datensammelwut“. | |
Klimaproteste von Fridays for Future: Fridays gegen FDP | |
FDP und SPD blockieren im Koalitionsausschuss eine klimafreundliche | |
Politik. Die Bewegung geht auf die Straße. Sie ist wütend, aber auch | |
ratlos. |