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# taz.de -- Wasserstoff aus Chile: Schiefes Geschäft
> Deutschland will für die Energiewende grünen Wasserstoff aus dem
> windreichen Chile importieren. Das Land könnte dadurch eigene
> Umweltprobleme bekommen.
In der Heimat von Alejandro Núñez, der Insel Feuerland im chilenischen
Patagonien, weht ein eisiger Wind. Er hat die knorrigen Bäume der Insel
schräg zur Seite verbogen. Und er soll der deutschen Wirtschaft dabei
helfen, klimaneutral zu werden. Der 45-jährige Tierarzt Alejandro Núñez ist
stolz auf seine Heimat. „Ich wünsche mir, dass auch meine Kinder und Enkel
noch diese unberührte Natur bewundern können“, sagt er und blickt auf einen
See, die Laguna de los Cisnes. Núñez hat sich dafür eingesetzt, dass sie
zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Der südlichste Zipfel des amerikanischen Kontinents, nicht weit von der
Antarktis entfernt, wird auch „das Ende der Welt“ genannt. Gletscher und
Fjorde zeichnen die Landschaft, in der Königspinguine und Guanakos zu Hause
sind. Auch hier macht sich der Klimawandel bemerkbar. Die Temperaturen
steigen, es schneit und regnet weniger. Núñez hat die Organisation
Ciudadanos y Clima („Bürger und Klima“) gegründet, um gegen den Klimawand…
zu kämpfen. Er ist für eine Energiewende. Aber er macht sich Sorgen, dass
seine Heimat den Preis für die Energiewende des Globalen Nordens zahlen
muss. Obwohl dieser die Klimakrise überhaupt erst verursacht hat.
In der Región de Magallanes, die den chilenischen Teil der Insel Feuerland
umfasst – ein anderer Teil gehört zu Argentinien – soll bald grüner
Wasserstoff produziert und in die Welt exportiert werden. Tausende von
Windrädern, Industrieanlagen, neue Straßen und Häfen sollen in den nächsten
Jahren gebaut werden. Wasserstoff ist ein Gas; wenn er mit erneuerbaren
Energien hergestellt wird, spricht man von „grünem Wasserstoff“.
Da der Transport in Gasform teuer und die Wege zu den Importländern lang
sind, sollen zunächst Folgeprodukte wie Methanol, synthetische Kraftstoffe
und Ammoniak exportiert werden, für die es bereits Schiffe und Tanks gibt.
In der Nähe von Punta Arenas betreibt das kanadische Unternehmen Methanex
eine Methanolanlage und einen Hafen.
## Die Hoffnung der deutschen Energiewende
Grüner Wasserstoff soll eine wichtige Rolle in der deutschen Energiewende
spielen, weil er vielfältig einsetzbar ist: zum Beispiel als Ersatz von
fossilem Gas oder als synthetischer Kraftstoff in Industrie und Verkehr.
„Wenn wir nicht 5 oder 10 Prozent der Landesfläche mit Windkraftanlagen
vollstellen wollen – das halte ich für absurd – brauchen wir
Wasserstoffimporte“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im
Februar 2022.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, kündigte
[1][auf ihrer Südamerikareise im Juni] einen Fonds von 225 Millionen Euro
an, um Wasserstoffprojekte zu fördern. Bis 2030 will die Europäische Union
10 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff jährlich importieren. Mit Chile habe
sich die EU darauf geeinigt, „an einer strategischen Partnerschaft für
nachhaltige Rohstoffe“ zu arbeiten, sagte von der Leyen auf der
Pressekonferenz in Santiago.
Nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums müsste Deutschland etwa
70 Prozent seines Bedarfs an grünem Wasserstoff importieren. Der grüne
Wasserstoff könnte zum einen als Basis für die Herstellung von
synthetischen Kraftstoffen und Ammoniak eingesetzt werden, beispielsweise
in der Stahlherstellung und Chemieindustrie, heißt es in der Nationalen
Wasserstoffstrategie. Zum anderen könnte er als Energiespeicher dienen, er
lässt sich nämlich wieder in Strom zurückverwandeln.
Derzeit ist die Herstellung von grünem Wasserstoff teuer und
energieaufwändig. Deshalb fördert das Bundeswirtschaftsministerium
Pilotprojekte in möglichen Partnerländern, die aufzeigen sollen, „ob und
wie grüner Wasserstoff und dessen Folgeprodukte dort nachhaltig und
wettbewerbsfähig produziert und vermarktet werden können“, heißt es weiter
in der Nationalen Wasserstoffstrategie. Der internationale Handel mit
Wasserstoff sei „ein bedeutender industrie- und geopolitischer Faktor“.
Gefördert werden Projekte in Ländern wie Brasilien, Marokko, Ägypten oder
auch in Chile.
Das Land sei ein „Paradies für erneuerbare Energien“, sagt Reiner Schröer,
Leiter des Programms für Erneuerbare Energien der Deutschen Gesellschaft
für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in seinem Büro in einem gläsernen
Hochhaus in Santiago de Chile. Das liege zum einen an der „Verfügbarkeit
von Flächen“ und zum anderen am starken Wind in Patagonien und der hohen
Sonneneinstrahlung in der Atacama-Wüste.
Einer Analyse der GIZ und des chilenischen Energieministeriums zufolge habe
Chile das Potenzial, 70-mal so viel Strom aus erneuerbaren Quellen zu
erzeugen, wie es für den Eigenbedarf braucht. Das schmale Land in
Südamerika könnte demnach die Hälfte des Bedarfs an grünem Wasserstoff von
einem Industrieland wie Deutschland abdecken. Chile sei außerdem ein
„Experimentierfeld“, das deutschen Unternehmen erlaube, „Technologien zu
testen“, so Schröer.
Auch Chile hat eine Nationale Wasserstoffstrategie. Sie sieht vor, dass das
Land bis 2030 das wichtigste Produktions- und Exportland von grünem
Wasserstoff weltweit werden und diesen zum niedrigsten Preis von 1,50
US-Dollar pro Kilo Wasserstoff anbieten soll. Momentan liegt der Preis
zwischen 10 und 15 US-Dollar pro Kilo.
Ein Problem ist bisher noch der lange Transportweg. Einer Studie der GIZ
zufolge sind die Produktionskosten von grünem Wasserstoff in Chile aber so
niedrig, dass der Transport nur einen Bruchteil der Kosten ausmachen würde.
Aber die Schiffe, die den grünen Wasserstoff oder seine Folgeprodukte
transportieren sollen, werden derzeit noch mit Schweröl betankt. „Das ist
das größte Problem zurzeit, nachhaltige Lösungen für den Schiffstransport
zu finden“, sagt Schröer von der GIZ.
Die GIZ berät das chilenische Energieministerium im Auftrag des
Bundeswirtschaftsministeriums. Mehr als 60 Projekte für die Produktion von
grünem Wasserstoff sind in Chile geplant, die vor 2030 in Betrieb gehen
sollen.
## Ein Rettungsanker für deutsche Sportwagen
Zurück in Patagonien. Rund 30 Kilometer nördlich von Punta Arenas läuft
Rodrigo Delmastro über eine Baustelle. Ein eisiger Wind pfeift, Bagger
dröhnen und graben Erde aus. Das Zementfundament für das erste Windrad ist
bereits gegossen. Es ist die Baustelle eines der Pilotprojekte, die das
Bundeswirtschaftsministerium fördert. 8,23 Millionen Euro haben Siemens
Energy und Porsche für das Projekt Haru Oni erhalten. Es ist die weltweit
erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von E-Fuels. Beteiligt sind auch
der US-Ölkonzern ExxonMobil, der italienische Energieversorger Enel sowie
die chilenischen Unternehmen ENAP und Gasco.
Rodrigo Delmastro ist Geschäftsführer des chilenischen Unternehmens Highly
Innovative Fuels (HIF), Partner von Porsche und Siemens Energy und
verantwortlich für die Projektentwicklung. „In den nächsten zehn Jahren
wollen wir hier 14 Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre filtern“, sagt
er mit vor Stolz glänzenden Augen. Dafür soll das Verfahren „Direct Air
Capture“ angewandt werden – eine Technologie, die sich noch im
Entwicklungsstadium befindet. Das Ziel des Pilotprojektes sei es, „die
verschiedenen Technologien im Produktionsprozess zu integrieren und davon
zu lernen.“ Es sei „ein Experiment“.
Während der Pilotphase soll die Anlage 130.000 Liter E-Fuels pro Jahr
produzieren, bis 2026 dann bis zu 550 Millionen Liter im Jahr. Die E-Fuels
sollen im Motorsport und in Seriensportwagen eingesetzt werden. So will das
Unternehmen unter anderem den berühmten Rennwagen Porsche 911 und seinen
röhrenden Motorsound retten.
„Wir werden einen Kraftstoff produzieren, der in konventionellen Autos
verbraucht werden kann. So muss die Technik des Autos nicht zu einem
Elektroauto umgewandelt werden“, sagt Delmastro.
[2][In Deutschland setzt sich vor allem die FDP für den Einsatz von E-Fuels
in Verbrennungsmotoren ein.] Bundesfinanzminister Christian Lindner von der
FDP steht in engem Kontakt mit Porsche-Chef Oliver Blume. Das
Verbrenner-Aus in der EU wurde mit einer Ausnahme beschlossen – mit E-Fuels
betriebene Neuwagen mit Verbrennungsmotoren dürfen auch nach 2035
zugelassen werden. Und Lindner will für diese Fahrzeuge
Steuererleichterungen durchsetzen.
Porsche ist Mitglied der E-Fuel-Alliance, einem Industrieverband von 130
Automobil- und Mineralölunternehmen. Diese haben ein besonderes Interesse
an E-Fuels, weil sie den Verbrennungsmotor länger am Leben erhalten und
über das bestehende Tankstellennetz vertrieben werden können.
Die Anlage Haru Oni in Punta Arenas hat Lindner schon mehrfach als
Vorzeigeprojekt gelobt. Im Dezember 2022 nahm sie ihren Betrieb auf.
Angetrieben mit Windstrom spaltet ein sogenannter Elektrolyseur Wasser in
Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff wird in Verbindung mit aus der
Luft gefiltertem CO2 in Methanol und schließlich in E-Fuels verwandelt,
strombasierte Kraftstoffe. E-Fuels gelten als „klimaneutrale Kraftstoffe“,
weil beim Verbrennen genau so viel Kohlenstoffdioxid entsteht, wie vorher
bei der Herstellung aus der Atmosphäre gefiltert wurde. Was diese
Klimabilanz aber nicht berücksichtigt, sind die Emissionen, die der
Transport in Tankern verursacht, und die Umweltfolgen bei der Herstellung.
## Auswirkungen auf die Umwelt
Auch Alejandro Núñez hat vom Projekt Haru Oni gehört. In der Pilotphase
läuft die Anlage mit nur einem Windrad. Langfristig sollen aber große
Windparks mit bis zu 1.000 Windrädern entstehen, auch auf der Insel
Feuerland, wo Núñez lebt. Er macht sich unter anderem Sorgen um die Vögel,
die in den vielen Windrädern sterben könnten. „Ich bin für saubere Energie,
aber nicht, wenn dafür die Umwelt zerstört wird“, sagt er.
Außerdem sorgen ihn die Abfälle, die bei der Produktion der E-Fuels
entstehen könnten. Chile leidet unter einer schweren Dürre, auch in
Patagonien ist das Grundwasser knapp. Für die Elektrolyse wird aber Wasser
benötigt. Deshalb wollen die Unternehmen für das Projekt Haru Oni eine
Meerwasserentsalzungsanlage bauen. Doch die Anlage produziert nicht nur
Wasser, sondern auch ein Abfallprodukt: konzentrierte Salzlake.
In Chile gibt es bereits Meerwasserentsalzungsanlagen, vor allem für den
Bergbau im Norden des Landes. Sie leiten die Abfälle ins Meer zurück. Der
erhöhte Salzgehalt des Wassers könnte Auswirkungen auf das marine Ökosystem
haben, die noch nicht erforscht sind.
Das Meer ist die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung. Vor der Ankunft
der Kolonisatoren lebten in Patagonien die indigenen Völker der Tehuelche,
Selk'nam, Yaghan und Kawésqar. Viele von ihnen fielen dem Völkermord zum
Opfer. Einige überlebten. Eine ihrer Nachkommen ist Leticia Caro. Sie ist
Mitglied der Organisation „Gemeinden von Kawésqar zur Verteidigung des
Meeres“. Immer wieder kommt sie nach Punta Arenas, in die größte Stadt der
Región de Magallanes, um bei Protesten und öffentlichen Veranstaltungen für
die Rechte der indigenen Bevölkerung einzutreten. Das Meer hat für die
Kawésqar eine besondere, auch spirituelle Bedeutung. „Es ist das Herz
unserer Kultur“, sagt Caro in einem Park in Punta Arenas. Traditionell
fahren die Kawésqar mit dem Kanu durch die Fjorde, um zu fischen.
Würde die Sole aus den Entsalzungsanlagen in großen Mengen ins Meer
geleitet, könnte das den Salzgehalt des Wassers verändern und das Ökosystem
gefährden. „Algen zum Beispiel sind wichtige Luftfilter und tragen zur
CO2-Reduktion bei“, sagt Leticia Caro. „Wird grüner Wasserstoff wirklich
dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu reduzieren, oder wird er die Algen
zerstören, die die Luft filtern?“
Fragt man Rodrigo Delmastro, antwortet er, dass Unternehmen an technischen
Lösungen arbeiten, um die Sole zu verarbeiten und zum Beispiel Streusalz
für die kalten Wintermonate in der Region Magallanes herzustellen.
## Unmengen Salz
Laut einer Studie der United Nations University in Kanada produziert eine
Entsalzungsanlage im Schnitt eineinhalb Mal mehr Sole als entsalztes
Wasser. Für ein Kilogramm Wasserstoff werden durchschnittlich zehn
Kilogramm Wasser benötigt, für einen Liter synthetischen Kraftstoff 0,4
Kilogramm Wasserstoff. Um die geplanten 550 Millionen Liter E-Fuels
herzustellen, würden also rund 3,3 Millionen Tonnen Sole anfallen. Das wäre
eine ganze Menge Streusalz.
„Die Auswirkungen auf die Umwelt nehmen mit der Größe der Projekte zu“,
sagt Humberto Vidal, Direktor des Zentrums für Energiestudien an der
Universidad de Magallanes in seinem kleinen vollgerümpelten Büro in Punta
Arenas. Die Universität hat ein Abkommen mit dem Unternehmen HIF
vereinbart, um Spezialist:innen in grünem Wasserstoff auszubilden. Die
staatlichen Universitäten seien so unterfinanziert, dass er sich über jede
Unterstützung freue. Dennoch sei es für ihn als Wissenschaftler aus
ethischer Sicht wichtig, den Prozess kritisch zu beobachten, sagt er.
Vidal hofft, dass die Unternehmen nicht nur grünen Wasserstoff produzieren
und exportieren, sondern auch einen Beitrag zur lokalen Wirtschaft leisten.
Bisher ist das noch nicht gewährleistet. Eine Studie der Deutschen
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die das chilenische
Energieministerium berät, rechnet vor: Die Wasserstoffwirtschaft könnte in
Chile bis 2050 mindestens 94.000 Arbeitsplätze schaffen. Die meisten Jobs
werden aber wohl nur während der Bauphasen benötigt, denn der Betrieb der
Anlagen erfordert kaum Arbeitskräfte.
„Hier geht es natürlich um ein Geschäft. Die großen Konzerne wollen nicht
auf einmal den Planeten retten“, sagt Vidal.
Mehr als 13.000 Kilometer entfernt in Bayern sitzt Marcus Speith in seinem
Büro und wittert die Chance auf einen Milliardenmarkt. Er ist Projektleiter
für Haru Oni bei Siemens Energy. Das Unternehmen wolle „den Investoren und
der Politik signalisieren, dass diese Technologie funktioniert, um dann die
Produktion der Elektrolyseure hochfahren zu können“.
Der Energietechnikkonzern stellt Elektrolyseure her. Elektrolyseure werden
zur Herstellung von Wasserstoff benötigt, sie spalten Wasser mit Hilfe von
elektrischem Strom in einer sogenannten Elektrolyse in Wasserstoff und
Sauerstoff. Derzeit werden sie noch weitgehend in Handarbeit und nicht in
Massenproduktion hergestellt. „Wir wollen dahin kommen, dass wir
Gigafabriken haben, die Elektrolyseure im großen Stil herstellen“, sagt
Speith.
## Kritik aus Deutschland
Umweltverbände in Deutschland kritisieren den Einsatz von E-Fuels im
Straßenverkehr, weil sie teuer und energieintensiv in der Herstellung und
bei der Anwendung weniger effizient als Elektroantriebe sind. Sinnvoll sei
der Einsatz im Flugverkehr, in der Schifffahrt und in der Industrie, sagt
Oliver Powalla vom Bund für Umwelt und Naturschutz im Park am Gleisdreieck
in Berlin-Kreuzberg.
Das Projekt in Chile findet er „am Anfang und am Ende problematisch“, denn
es handele sich bei den E-Fuels um ein ineffizientes Produkt und eine
Fortbewegungsart, die auch nicht nachhaltig sei. „Wir brauchen in der
Berliner Innenstadt sicher keine SUVs mit E-Fuels. Das wäre das
Schreckensszenario“, sagt er.
Bei den Partnerländern für Wasserstoffimporte müsse darauf geachtet werden,
dass zuerst die Stromversorgung vor Ort erneuerbar gestaltet werde, bevor
man über Exporte rede. Es gebe aber eine „Selbstbedienungsmentalität der
deutschen Industrie“, die sich an Flächen im Ausland bediene, die dort auch
für die regenerative Stromerzeugung sinnvoll genutzt werden könnten. „Was
vor Ort wirklich passiert, ist für die Industrie zweitrangig, sie will
Wasserstoff zu einem guten Preis“, sagt Powalla.
## Private Interessen stehen im Weg
Maria Luisa Ojeda forscht am Zentrum für Energiestudien der Universidad de
Magallanes und beschäftigt sich mit den Umweltauswirkungen, die die
Wasserstoffwirtschaft in der Region haben könnte, etwa dem Vogelsterben
durch Windkraftanlagen und dem Verlust der Artenvielfalt in den Ozeanen.
Bislang gibt es keine unabhängigen Untersuchungen, sondern nur
Umweltstudien, die von den Unternehmen selbst in Auftrag gegeben werden.
Das Land, das die Firmen für die Windparks und
Wasserstoffproduktionsanlagen pachten, gehört Schafzüchtern, wie fast alles
Land in der Magallanes-Region, die von Großgrundbesitz geprägt ist. Sie
sind es auch, die über die Verpachtung Geld einnehmen und letztlich
profitieren.
Aufgrund der chilenischen Gesetzgebung sei es extrem schwierig, eine
regionale Planung für die Wasserstoffwirtschaft durchzuführen und dabei
ökologische und soziale Kriterien zu berücksichtigen, sagt Ojeda. Die
Auswahl der Flächen und die Projektentwicklung liegen bisher ausschließlich
in der Verantwortung privater Unternehmen.
„Es gibt immer noch ländliche Regionen, die nicht rund um die Uhr mit Strom
versorgt werden. Von der Energie, die hier produziert wird, sollen auch die
lokalen Gemeinden in der Umgebung der Projekte profitieren“, sagt die
Wissenschaftlerin.
Der Ausbau erneuerbarer Energien hat in Chile in den vergangenen Jahren
zwar rasant zugenommen. Doch der Großteil des erneuerbaren Stroms wird von
den Bergbaukonzernen genutzt. Sie sind es auch, die langfristig ihre
Lastwagen mit „grünem“ Wasserstoff betanken wollen, um zum Beispiel
„klimaneutrales“ Kupfer zu exportieren.
## Den Fortschritt für alle gestalten
Die breite Bevölkerung hat dagegen kaum Zugang zu erneuerbaren Energien.
Fast ein Drittel der Haushalte heizt und kocht mit Holz, wie aus einem
Bericht des Netzwerks gegen Energiearmut hervorgeht. Die Región de
Magallanes wird trotz ihres enormen Windpotenzials fast ausschließlich mit
fossilem Gas versorgt.
Leticia Caro glaubt nicht, dass die Wasserstoffwirtschaft in Chile wirklich
allen zugute kommt. „Sie versprechen uns immer Arbeit und Entwicklung, aber
am Ende ist es keine Arbeit für die breite Masse, sondern für Spezialisten,
die eine bestimmte akademische Ausbildung haben müssen“, sagt sie. „Ich
glaube, wir müssen uns fragen, welche Art von Entwicklung wir für unsere
Region und für unser Land wollen.“
Alejandro Núñez wünscht sich, dass die Menschen in seiner Heimat den
Windstrom und den grünen Wasserstoff nutzen können. „Wenn dann noch etwas
übrig bleibt, könnten wir vielleicht in Nachbarländer wie Argentinien
exportieren und erst dann in Länder wie Deutschland“, sagt er. Er hofft,
dass die Wasserstoffwirtschaft auch für die Menschen vor Ort einen
positiven Beitrag leistet. „Ich möchte nicht, dass wir wieder nur den
Rohstoff exportieren“, sagt er.
Doch genau das wird wohl passieren.
Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und
der Olin Stiftung.
23 Jun 2023
## LINKS
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[2] /Technologieoffenheit-der-FDP/!5936043
## AUTOREN
Sophia Boddenberg
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