# taz.de -- Konflikte um die Energiewende: Die grüne Grenze | |
> Die Debatte über das Heizungsgesetz war nur der Anfang. Klar ist: | |
> Deutschland wird seine Klimaziele nur erreichen, wenn sich die SPD neu | |
> erfindet. | |
Bild: Flohmärkte sind nachhaltig, volkswirtschaftlich spielen sie aber kaum ei… | |
Derzeit laden Kitas, Kirchengemeinden, Nachbarschaften wieder zum Handel | |
mit gebrauchter Kleidung oder Spielzeug. Die Sommerflohmärkte zeigen, was | |
in Sachen Nachhaltigkeit hierzulande möglich ist. Gebrauchte Dinge sind | |
nachhaltig, Rohstoffe und in die Produktion geflossene Energie werden | |
effizient eingesetzt. Außerdem sind die Märkte soziale Orte jenseits des | |
Massenkonsums. Doch ersetzen können sie diesen nicht, volkswirtschaftlich | |
spielen Flohmärkte nur eine sehr kleine Rolle. | |
Man stelle sich nun einen deutschen Wirtschaftsminister vor, der etwa | |
vorschlüge, jeder erhalte nur ein bestimmtes Kontingent an Neuwaren; oder | |
es werde eine Ressourcensteuer auf Primärrohstoffe wie Baumwolle oder Rohöl | |
eingeführt, die sehr viele neue Dinge ins Luxussegment verschöbe. | |
Ein solcher Wirtschaftsminister ist unvorstellbar. Er wäre für eine | |
Regierung, für eine Partei mit ernsthaftem Gestaltungsanspruch nicht | |
tragbar: ein Ideologe und Dogmatiker. Der Vorwurf würde lauten: | |
Quartalsmäßig shoppen bleibt künftig der Zahnärztin vorbehalten, die | |
Sprechstundenhilfe muss in Gebrauchtem rumlaufen! | |
So tief in die Privatangelegenheiten der Bevölkerung eingreifen kann sich | |
niemand erlauben, da kann die globale Baumwollindustrie die Anbaugebiete | |
noch so sehr verseuchen oder Kinder und Frauen zu Hungerlöhnen | |
beschäftigen. Ein bisschen an den Missständen zu schrauben ist okay, | |
Lieferkettengesetz, Öko-Label einführen, solche Dinge. In | |
Konsumgewohnheiten eingreifen ist nicht okay. | |
## Wir werden den Wohlstand nicht halten können | |
Wer Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz ernst meint, müsste aber | |
genau das tun. Wer glaubt, es sei mit „[1][besserer Kommunikation]“ und | |
„mehr sozialer Flankierung“ getan, hat die Aufgabe nicht verstanden. Wenn | |
wir in den Grenzen wirtschaften wollen, die der Planet uns setzt, ohne | |
Rückgriff auf fossile Ressourcen und ohne Ausbeutung anderer Weltregionen – | |
dann werden wir den Wohlstand, wie wir ihn kennen, nicht halten können. | |
Massenkonsum für fast jeden und jede wird nicht mehr möglich sein. Zwar ist | |
inzwischen jeder, der seine Sinne beieinander hat, für Klimaschutz. Aber | |
das ist eine Floskel, wie „für den Weltfrieden“ oder „gegen den Hunger�… | |
sein. Dahinter stehen weder politische Konzepte noch konkrete Maßnahmen. | |
Doch nur sie bieten Lösungen, und nur entlang ihrer entzünden sich | |
Konflikte. | |
Das zeigt die maßlose Debatte um das Gebäudeenergiegesetz. Ihre Lehre: | |
Solange Robert Habeck freundlich über die sozial-ökologische Transformation | |
philosophiert, ist der Grüne beliebtester Politiker des Landes. Sobald er | |
Ernst macht und den Leuten an den Keller geht, ist Ende Gelände. Kein | |
Wunder: Über die Kernklientel der Grünen hinaus (und häufig selbst in | |
dieser) ist Klima- und Naturschutz Floskelware. | |
## Union und FDP scheitern aus | |
Schutz des Klimas ja, aber nur, wenn die Mehrheit weiter jährlich nach | |
Griechenland fliegen kann. Schutz der Biodiversität ja, aber nur mit | |
Schnitzel. Dabei sticht der Vorwurf nicht, die reiche grüne Wählerschaft | |
sei von Konsumeinschränkungen nicht betroffen. Gerade sie – die | |
Mittelschicht – wird verzichten müssen. Wenn wir es ernst meinen mit dem | |
Klima- und Naturschutz, stehen wir wirklich vor einer Zeitenwende. | |
Zwar mag die Kompetenz für einen grünen Umbau der Wirtschaft bei den Grünen | |
liegen. Aber sie waren und sind eine Milieupartei, tief verankert im | |
akademischen und urbanen Teil der Bevölkerung. Darüber hinaus strahlen sie | |
kaum aus. (Als taz-Redakteurin kennt man diese Grenze recht genau.) Die | |
Frage ist, wer eine Erzählung von einem guten Leben ohne Massenkonsum über | |
das „Ökomilieu“ hinaus entwerfen kann. | |
Union und FDP scheiden aus. Seit Jahren frühstücken sie den Ruf nach einer | |
öko-sozialen Transformation mit Kampfbegriffen ab. Einst war es die | |
„Brückentechnologie“, die den Erhalt der Atom- und Kohlekraft | |
rechtfertigte, bis irgendwann durch Zauberhand erneuerbare Energien durch | |
alte Leitungen flössen. Der neue Kampfbegriff heißt | |
„[2][Technologieoffenheit]“. | |
## Konflikt um Wärmewende ist nur Vorgeschmack | |
Verbrennungsmotoren, Gasheizungen – alle werden ihren Beitrag zum | |
Klimaschutz leisten. Das Konzept lautet: Vielleicht erfindet jemand was, | |
was sie klimaneutral macht! Wenn nicht, dann sind 4 Grad mehr halt | |
Schicksal, dann erfinden wir eben was dafür. Union und FDP ziehen, was | |
Ideen für die Gestaltung der Zukunft angeht, derzeit blank. Da ist nichts. | |
Das ist bei der SPD anders. Es liegt im Gründungsmythos dieser Partei, die | |
Zukunft für die jetzt Lebenden und die Kommenden zu verbessern. Auch eine | |
globale Perspektive ist ihr nicht fremd. Nur war ihr Denken stets mit der | |
Nutzung fossiler Energien verknüpft (pardon, Hermann Scheer). Ihr ging es | |
darum, die Gewinne der Industrie gerechter zu verteilen. Eine postfossile | |
SPD müsste sich also neu erfinden. Sie fängt dabei nicht bei null an. | |
Arbeitsminister Hubertus Heil zum Beispiel lässt sein Haus seit Jahren zum | |
Thema „Plattformökonomie“ arbeiten. | |
In einer klimaneutralen, digitalisierten Kreislaufwirtschaft werden | |
Tausende von gut bezahlten, gewerkschaftlich organisierten | |
Industriearbeitsplätzen in den Dienstleistungssektor abwandern. Jetzt schon | |
die dortigen Arbeitsbedingungen im Blick zu haben, ist klug und wichtig, | |
denn der Gedanke ist nicht absurd, dass künftig eine relevante Zahl von | |
Menschen auch hierzulande ihr Geld mit der Herstellung und Reparatur von | |
Konsumgütern verdienen werden, weniger mit dem Bau von Autos für den | |
Weltmarkt. Das wird schmerzhaft. | |
Insofern ist der [3][Streit um die Wärmewende] nur ein Vorgeschmack der | |
Konflikte, die uns bevorstehen, wenn wir in den nächsten 20 Jahren | |
klimaneutral leben wollen. Dass wir das wirklich tun werden, ist keineswegs | |
ausgemacht. Es wird auch mit Ölheizungen weitergehen, mit Benzinern und | |
Billigfliegern, nur wird es unsere Nachkommen teuer zu stehen kommen. Aber | |
das ist dann nicht mehr unser Flohmarkt. | |
8 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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