# taz.de -- Debatte über Heizungsgesetz: Not in my Heizungskeller! | |
> Für eine gelingende Klimapolitik ist die Akzeptanz der Bevölkerung | |
> entscheidend. Die Verhaltensforschung liefert hier wertvolle Hinweise. | |
Bild: Was bringt es schon, wenn die anderen ohnehin nicht mitziehen | |
Die „Brechstange“ dient Teilen der Regierung und Opposition derzeit als | |
Metapher, um eine neue Polarität in der Klimadebatte zu konstruieren: | |
„Klimaschutz über die Köpfe der Menschen hinweg“ (also Grüne mit der | |
Brechstange) gegen einen „Klimaschutz, der die Menschen mitnimmt“. Nachdem | |
vom Heizungsgesetz die Belastung als monströs, die Entlastung aber nur | |
nebulös rüberkam, bekundete die öffentliche Meinung: Klimaschutz ja, aber | |
nicht in meinem Heizungskeller. | |
Vorweg: Niemand aus dem selbsternannten „Klimaschutz, der die Menschen | |
mitnimmt“-Lager gibt darauf belastbare Antworten. O-Ton Volker Wissing: | |
„Die CO2-Emissionen müssen runter, auch im Verkehrsbereich. Das schaffen | |
wir aber nicht mit Verboten, Einschränkungen oder höheren Preisen.“ Okay, | |
aber wie schaffen wir es denn, Herr Minister? Die Umkehrung des | |
Unerwünschten ist noch kein wirksamer Klimaschutz. Und Polemik gegen Grüne | |
keine eigene Programmatik. | |
Auch durch die Konstruktion von fehllaufenden Dualismen droht der | |
Klimadiskurs aus der Spur zu fallen: marktwirtschaftlicher gegen angeblich | |
planwirtschaftlichen Klimaschutz, individuelle gegen systemische Ebene, | |
Anreize gegen Verbote und so weiter. Jede Lösung, ob vom Markt oder Staat | |
getrieben, muss am Ende angenommen und umgesetzt werden. Egal, wie man die | |
Dekarbonisierung von Gebäuden angeht, am Ende muss der Einzelne die | |
Heizungsmonteure selbst in den Keller lassen. Es geht also um die Akzeptanz | |
von Umbaumaßnahmen für Klimaneutralität. | |
In der Klimapolitik ist es zielführend, sich vor dem Entwurf von Gesetzen | |
mit den Parametern auseinanderzusetzen, an denen sich die [1][öffentliche | |
Akzeptanz von Maßnahmen] entscheidet. Mit diesen Faktoren beschäftigt sich | |
die Bundesregierung offensichtlich noch zu wenig. Deutlich weiter ist man | |
in diesem Bereich in Großbritannien: Bereits 2008 schuf die Regierung von | |
Gordon Brown ein unabhängiges „Climate Change Committee“. Dessen | |
Expert:innen untersuchen seitdem immer wieder die Bereitschaft der | |
Bevölkerung zu konkretem Klimaschutz. | |
## Debatte war zu lange von Unwissen geprägt | |
Den jüngsten Bericht zum Thema steuerte ein weiteres Gremium bei: der | |
Klima- und Umweltausschuss des britischen Oberhauses, der dazu Stimmen aus | |
der Verhaltensforschung konsultierte. Der Bericht nennt sechs Faktoren, die | |
für die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen maßgeblich sind: Wissen, Werte, | |
soziale Normen, Preis, Machbarkeit, Effektivität. An diesen sechs Faktoren | |
entscheide sich, ob eine Klimaschutzmaßnahme mit allgemeiner Akzeptanz | |
rechnen könne oder in den Graben zwischen theoretischer | |
Klimaschutz-Befürwortung und tatsächlichem Klimaschutz-Verhalten falle. | |
Auch an der Universität Erfurt wird zu diesen Fragen geforscht. Das | |
Forschungsprojekt Planetary Health Action Survey kommt auf ähnliche | |
Bestimmungsgrößen. Legt man die Kriterien aus Westminster und Erfurt wie | |
eine Checkliste neben die Debatte über das Gebäudeenergiegesetz, zeigt | |
sich: Die Debatte war viel zu lange von Unwissen geprägt. Zentrale Aspekte | |
blieben wochenlang unklar (Kosten, Ausnahmen, Übergangsfristen) oder sind | |
es noch heute (soziale Abfederung). Das Ergebnis: Preis und Umsetzbarkeit | |
der [2][„Wärmewende“] erschienen vielen Menschen unmöglich. Als soziale | |
Norm bildete sich eher „Hau den Habeck“ als „Heize klimaneutral“ heraus. | |
Die Einstellung von Menschen zu einer Klimamaßnahme formt sich aus dem | |
Zusammenspiel der genannten Faktoren. Besonders relevant ist dabei der | |
Zusammenhang von Kosten und wahrgenommener Effektivität der Maßnahme. Dazu | |
erfährt man in der Erfurter Studie, dass immer mehr Deutsche angeben, dass | |
sich durch den Klimaschutz ihre persönliche finanzielle Lage verschlechtert | |
habe. | |
## Schlechtes Zeichen für Akzeptanz von Klimaschutz | |
Im Mai 2022 waren es noch 25, im Januar 2023 36 Prozent. Für die Akzeptanz | |
von Klimaschutz ist das ein schlechtes Zeichen. Zumal diejenigen, die den | |
Klimaschutz im Portemonnaie spüren, die dazugehörigen Maßnahmen für | |
unwirksam halten. Andersrum halten Menschen, deren Finanzen unverändert | |
oder besser durch Klimaschutz geworden sind, die Maßnahmen für wirksamer. | |
Die Bewertung der Wirksamkeit von Klimapolitik hängt also weniger vom | |
tatsächlichen Nutzen ab als vom eigenen Geldbeutel. | |
Für die Akzeptanz spielt außerdem eine Rolle, wie Menschen über die | |
Unterstützung der Maßnahme durch ihre Mitmenschen denken. Sowohl das | |
Kopernikus-Projekt als auch die Erfurter Studie kommt zu dem Schluss, dass | |
die Deutschen die Befürwortung von Klimamaßnahmen durch ihre Mitmenschen | |
systematisch unterschätzen. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die | |
individuelle Bereitschaft zum Klimaschutz aus: Was bringt es schon, wenn | |
die anderen ohnehin nicht mitziehen. | |
In der Heizungsdebatte braute sich aus [3][Faktenmangel], | |
Überforderungsgefühl und schlechtem Regierungshandwerk der perfekte Sturm | |
gegen die Klimamodernisierung zusammen. Noch ist das Gesetz nicht in | |
trockenen Tüchern, die Umsetzung steht erst 2024 an. Ob sich die Deutschen | |
bis dahin noch für die Wärmewende erwärmen lassen? | |
## Politische Mitsprache von Bürger:innen | |
Zieht man nochmals die Checkliste aus der Verhaltensforschung zu Rate, gibt | |
es für die Regierung womöglich eine letzte Chance: Wenn das soziale | |
Förderprogramm sitzt, Handwerker und Geräte verfügbar sind, kann bei den | |
Menschen das Gefühl von Machbarkeit entstehen. | |
Lernen ließe sich vom lokalen Ausbau von Wind- und Sonnenkraft, der eine | |
Erfolgsgeschichte ist: Früher hieß es mit Blick auf diese Anlagen oft „Not | |
in my backyard“ – nicht in meinem Hinterhof. Mit finanzieller Beteiligung | |
der Kommunen und politischer Mitsprache der Bürger:innen hat die | |
Zustimmung vielerorts deutlich zugenommen. Ein gutes Beispiel, um der „Not | |
in my Heizungskeller“-Stimmung entgegenzuwirken. | |
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von „Der Hauptstadtbrief“. | |
www.derhauptstadtbrief.de | |
5 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Hillje | |
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