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# taz.de -- Börne-Preis für Robert Habeck: Der Staatsmann
> Mit einer Art Deutschland-Rede in der Frankfurter Paulskirche erklärt
> Vizekanzler Robert Habeck den heftigen gesellschaftlichen Streit dieser
> Tage.
Bild: Der Redner: Robert Habeck beim Kirchentag
Man kann gar nicht so viel kotzen, wie man müsste, im Angesicht der
rechtslinken Reaktionäre, die sich an diesem Sonntag vor der Frankfurter
Paulskirche versammelten, um den bundesdeutschen Vizekanzler Robert Habeck
der Ökodiktatur, des Kriegstreibens, der sozialen Verelendung und was sonst
noch alles zu bezichtigen. So scharf könnte Ludwig Börne geurteilt haben,
in dessen Namen dem [1][Wirtschafts- und Klimaminister] drinnen in der
Paulskirche ein Preis für herausragendes Sprechen und Schreiben überreicht
wurde. Habeck selbst würde so niemals reden, aber darauf kommen wir noch.
Auch die zum Zwecke der Herabwürdigung Habecks gern benutzte Etikettierung
als „Kinderbuchautor“ und „der Philosoph“ kann man sich künftig sparen.
Ersteres ist von einer unverständlichen Respektlosigkeit gegen kompetente
und gesellschaftsrelevante Kinderbuchautoren, zweiteres verkennt –
absichtlich oder tatsächlich selbst ahnungslos – die Lage, in der wir, die
deutsche und die globale Gesellschaft, sind.
Angesichts der vielen Eskalationsmöglichkeiten braucht es ja gerade
Philosophie, es braucht jetzt großes und freies Denken, das die
Normalitätsvorstellungen und auch die sich selbst genügende linksliberale
Werte-Rhetorik erschüttert und damit neue diskursive und im Anschluss daran
politische Wege öffnet, jenseits der populistischen Sackgasse, auf die wir
zusteuern.
Einen Punkt haben die Kritiker allerdings, wenn auch in ihrer Verkennung
der Entwicklung des gelernten Exekutivpolitikers Habeck, der ja viele Jahre
ein Ministerium leitete und in Gummistiefeln mit Bauern und Fischern
herumstritt, bevor er nach Berlin ging. Der Punkt ist, dass Politiker keine
Philosophen sein dürfen. Sie dürfen eben nicht ganz oben und allein auf
weiter Flur denken, sie müssen nicht am Großen herumdenken, sondern am
Ganzen.
## Habeck und seine „Deutschland-Rede“
Es war klar, dass Robert Habeck bei der Entgegennahme des Börne-Preises in
der – of all places! – Frankfurter Paulskirche eine besondere Rede halten
wollen würde. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie er verschiedene
Entwürfe ausprobierte, verwarf und sich schließlich für die Rede entschied,
die er dann am Sonntag hielt. Nennen wir sie die „Deutschland-Rede“.
Habeck ist [2][der erste Spitzenpolitiker in Verantwortung], der den Preis
der Ludwig Börne-Stiftung bekommt; Joachim Gauck bekam ihn, aber vor seiner
Zeit als Bundespräsident. Insofern hat FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube, der
als One-Man-Jury den Preisträger auswählte, großes Gespür für das bewiesen,
was Joschka Fischer „Zeitenbruch“ nennt. Habecks Leistung, sagte Kaube,
bestehe darin, in seinen Essays und Büchern „die veränderte Zeit in die
reflektierte Erfahrung des Politikers“ hineinzubekommen.
Habeck selbst hat dann in seiner Rede den Unterschied herausgearbeitet
zwischen einem oppositionellen und oft zensierten Publizisten, Kritiker und
Großdenker, wie es der Frankfurter Revolutionsdemokrat Börne in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts war, und einem – im Sinne des Wortes –
Staatsmann in der „Verantwortung des Handelns, das sich vor der ganzen
Republik zu rechtfertigen hat“. Es seien eben nicht nur Urteile und
Debattenbeiträge, die zur Diskussion stünden, sondern „die eigenen
Handlungen“.
## Nicht beißend scharf oder irritierend
Habeck sagte das nicht, aber [3][im Zentrum eines langsam abklingenden
mediengesellschaftlichen Hurrikans] – vordergründig um ein neues
Gebäudeenergiegesetz – hat er erfahren, was das bedeuten kann. Habecks
nächster Punkt ist aber ein anderer: Sprechen in Verantwortung, Erklären,
Offenlegen, wie man zu einer Handlungs-Entscheidung kommt, sei eine
„Pflicht“ – klar, dass man hier an Bundeskanzler Scholz und auch seine
Vorgängerin denken muss, die das offenbar anders sehen.
Die Sätze dürfen aber nicht beißend scharf und irritierend sein wie jene
Börnes oder die von tatsächlich relevanten Gegenwartsintellektuellen und
schon gar nicht unverständlich, sie müssen reparativ sein, also
zusammenführen. Habeck nennt es in der Paulskirche „die Mit-Verantwortung
für eine geteilte Öffentlichkeit, die für demokratisches Handeln
unverzichtbar ist.“ Die Philosophie ist eine Grundlage des Sprechens, ein
Bewusstsein für die ungeteilte Verantwortung für eine heterogene
Gesamtgesellschaft eine zweite.
Robert Habeck hat schon in seiner Zeit als faktischer Oppositionsführer und
Grünen-Vorsitzender zwischen 2018 und 2021 eine andere Sprache und damit
ein neue politische Kultur entwickelt; eben keine klassisch-spitze und
vereinfachende Oppositionssprache, wie sie jetzt Union und die
rollenverwirrte FDP pflegen. Sondern eine in vielerlei Hinsicht
ausgreifende Sprache, die nicht mehr auf exklusive „Haltung“ zielte, wie
das Grünen-Tradition war und teilweise noch ist, sondern auf möglichst
viele Bündnisse mit anderen Gruppen.
## Habeck geht es um die Freiheit
Wenn man sein Sprechen jetzt analysiert, auch was er am vergangenen Freitag
beim Gespräch mit dem Großphilosophen Peter Sloterdijk bei der Phil.Cologne
ablieferte, dann hat er sich weiter entutopisiert, fast schon
entakademisiert, jedenfalls dann, wenn ihn das nicht zum Handeln, zum
Machen führt. Schluss mit Visionen, vor allem auch mit Apokalypsen, während
Philosophen geschäftlich in großen Zeitspannen denken wollen, ist dieser
Politiker der Aufklärer des Hier und jetzt, manchmal so detaillistisch,
dass erfahrene Spindoktoren aufstöhnen. Noch wird auch in den Salons der
Gegenwart gemurrt, wenn er Sätze raushaut wie diesen: „Der Gedanke ist so
radikal, dass er nichts nützt.“
Wenn Habeck an diesem Sonntag in der Paulskirche über Börne spricht, etwa
dessen unrealisiertes Zeitschriftenprojekt „Der Vermittler“, dann redet er
– bewusst oder unbewusst – darüber, wie er sich sehen will und worum es ihm
gehen soll, nämlich die – hier lässt er Börne sprechen – „widerstreben…
oder wetteifernden Ansprüche und Erwartungen der verschiedenen Klassen der
bürgerlichen Gesellschaft auszugleichen“.
Am Ende geht es Habeck – auch das war früher grünenuntypisch – immer um d…
Freiheit, die sich, wie er sagt, nur als gesellschaftliche Freiheit
realisieren kann. Woraus ernsthafte Wirtschafts- und Klimapolitik – sein
Ceterum Censeo – logisch folgt, denn je weniger gelingende Transformation,
desto weniger Freiheit (Demokratie, Emanzipation, Wohlstand,
Individualismus undsoweiter) in einer kriseneskalierenden Welt.
## Überraschende Wende am Ende
Im Kern von Habecks Denken steht jetzt die Frage unserer Zeit, die sich
offenbar aus seinen jüngsten negativen Reaktionen auf sein politische
Handeln geformt hat: „Wie verhindert man, dass gerade eine aktive Politik,
die versucht, im Angesicht der großen Zukunftsherausforderungen Gräben zu
überwinden, diese neu aufreißt?“ Tja. Darauf gibt es derzeit keine Antwort.
Es regiert das Motto: Soooo geht es auf keinen Fall.
Jedenfalls kommt am Ende in der Paulskirche dann eine überraschende Wende,
vor allem für die, die den Vizekanzler unbedingt als von der Kritik
beleidigten Mimimi hinstellen wollen. Habecks Antwort ist: Weiterhandeln.
Denn, so zitiert er Börnes Biografen Ludwig Marcuse: „Es gibt keinen
Realismus außer dem des Handelnden“. Und: Weiterstreiten. Streit für ihn
keine Eskalation, sondern die Normalität in einer heterogenen Gesellschaft
der Vielfalt.
„Wir streiten, solange wir uns noch zuhören können“, sagt er. Kritik dür…
man nicht als Beleidigung begreifen, sondern sei Ausdruck demokratischer
Anerkennung und Voraussetzung einer neuen Verständigung. Bei allem
Interesse am Zuschütten von Gräben und seiner strategischen und auch echten
Liebe zum Pathos: Das kommt dann doch etwas fett als Versuch einer
souveränen Antwort, gerade auch auf die Infamien der jüngsten Zeit.
11 Jun 2023
## LINKS
[1] /Habeck-weicht-Heizungsgesetz-auf/!5934970
[2] /Klimasubventionen-fuer-Unternehmen/!5936015
[3] /Gruene-verteidigt-Heizungsgesetz/!5938342
## AUTOREN
Peter Unfried
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Rhetorik
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Schwerpunkt Klimawandel
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