# taz.de -- Streit um Habersaathstraße: Weg frei für Abriss | |
> Das Bezirksamt Mitte beschließt eine Vereinbarung über den Abriss der | |
> Habersaathstraße 40–48. Die Mieter*innen sprechen von Erpressung. | |
Bild: Die ehemaligen Obdachlosen in der Habersaathstraße müssen um ihr neues … | |
BERLIN taz | Der Bezirk Mitte hat den Weg frei gemacht für einen Abriss der | |
Habersaathstraße 40–47. So beschloss das Bezirksamt am Dienstag eine | |
Vereinbarung mit dem Eigentümer, um den langjährigen Rechtsstreit um den | |
Abriss des Hauses, den der Bezirk bislang verweigert hatte, beizulegen. | |
Demnach wird der Abriss des ehemaligen Schwesternwohnheims mit seinen 120 | |
Wohnungen genehmigt, [1][im Gegenzug erklärt sich der Eigentümer zu | |
Zugeständnissen bereit.] „Das Bezirksamt ist überzeugt, dass seine heutige | |
Entscheidung die beste aller schwierigen Handlungsalternativen ist“, teilte | |
Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Dienstagnachmittag mit. | |
„Sie ermöglicht die schnelle Schaffung von neuen Wohnungen, geht fair mit | |
den verbliebenen Mieter*innen um und bietet den Menschen eine | |
Zukunftsperspektive, die dort seit Januar eine neue Heimat gefunden haben.“ | |
Bereits am späten Montagnachmittag hatte von Dassel die verbliebenen 9 | |
Mietparteien zu einem Gespräch geladen, um ihnen die Vereinbarung | |
darzulegen. Anwesend bei dem zweieinhalbstündigen Treffen, das | |
Teilnehmer*innen als „relativ hitzig“ beschreiben, waren auch | |
Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD), 5 Altmieter*innen sowie | |
Vertreter*innen des Berliner Mietervereins und der rund 60 Obdachlosen, | |
die seit Anfang des Jahres in dem Gebäude wohnen. | |
Der Vergleichsvorschlag, der der taz in Auszügen vorliegt, sieht vor, dass | |
die Altmieter*innen nach dem Abriss und der Fertigstellung des Neubaus | |
in neue und gleichartige Wohnungen einziehen können. Ihre derzeitige – sehr | |
niedrige – Miete soll für zehn Jahre nur moderat erhöht werden können –, | |
bis maximal 7,50 pro Quadratmeter, wobei die Miete nicht mehr als 30 | |
Prozent der Einkommen betragen darf. Alternativ können sie eine Abfindung | |
in Höhe von 1.000 Euro pro Quadratmeter erhalten. | |
## Ersatzwohnungen für 7,92 Euro pro Quadratmeter | |
Die Arcadia Estates verpflichtet sich, „wesentlich mehr Wohnraum“ zu | |
errichten als bisher und 91 Ersatzwohnungen für im Durchschnitt 7,92 Euro | |
netto kalt zu vermieten – so wie es im Zweckentfremdungsverbotsgesetz | |
vorgesehen ist. Sollte diese Regelung entfallen, will die Arcadia 30 | |
Prozent der neuen Wohnungen (91 Ersatzwohnungen plus zwischen 40 bis 50 | |
zusätzlich zu bauende Wohnungen) je zur Hälfte für 6,50 Euro und 8,20 Euro | |
pro Quadratmeter vermieten. Das Bezirksamt bekommt für zehn Jahre ein | |
Vorschlagrecht für die Auswahl der Mieter*innen. | |
Da der Eigentümer damit alle Anforderungen des | |
Zweckentfremdungsverbotsgesetzes einhalte, sehe sich der Bezirk gezwungen, | |
die Abrissgenehmigung zu erteilen, heißt es. „Um den Abriss von | |
schützenswertem Wohnraum in Fällen wie der Habersaathstraße zukünftig zu | |
verhindern, müsste das geltende Zweckentfremdungsgesetz geändert werden. | |
Hier besteht dringender Handlungsbedarf durch den Landesgesetzgeber“, so | |
Bezirksbürgermeister von Dassel. | |
Für den stellvertretenden Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, | |
Sebastian Bartels, ist die Vereinbarung eine „wohnungspolitische | |
Katastrophe“. Die Abfindung sei angesichts der hohen Mietpreise zu niedrig, | |
die 10-Jahres-Garantie zu kurz und die 30 Prozent günstige Wohnungen zu | |
wenig. Hier zeige sich, dass das Zweckentfremdungsverbot „ein relativ | |
schlechtes Gesetz“ sei. „Das muss so schnell wie möglich nachgeschärft | |
werden“, sagt Bartels zur taz. | |
## Zweckentfremdungsverbot unzureichend | |
Bartels fordert unter anderem eine Quote für mietpreisgebundene Wohnungen. | |
Die müsste bei mindestens 50 bis 60 Prozent liegen, wie es etwa in München | |
der Fall sei. Auch müssten Bezirke den Abriss von Gebäuden im Interesse des | |
Klimaschutz verhindern können. Ähnlich äußert sich am Dienstag auf Twitter | |
die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, die eine | |
Reform des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes inklusive Abrissverbot fordert. | |
Der Vergleich kommt allerdings nur zustande, wenn mindestens fünf | |
Mietparteien zustimmen. Ob es dazu kommt, ist unklar. „Wir werden die | |
Vereinbarung wohlwollend prüfen“, sagt Daniel Diekmann, der Vorsitzende des | |
Mieterrats, zur taz. Ihn ärgert insbesondere, dass der Eigentümer die | |
ehemaligen obdachlosen neuen Bewohner*innen nur dann bis zum Abriss in | |
dem Haus dulden will, wenn die Einigung zustande kommt. „Wir sollen unsere | |
unbefristeten Werksmietverträge verschenken, damit die Obdachlosen hier | |
bleiben können. Das ist Nötigung und Erpressung“, findet der 54-Jährige. | |
„Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen“, stellt er klar. | |
## Rekommunalisierung des Gebäudes gefordert | |
Bis 15. Juli haben die Altmieter*innen nun Zeit, über den Vorschlag zu | |
entscheiden. Kommt der Vergleich nicht zustande, erhält der Eigentümer | |
trotzdem die Abrissgenehmigung – nur eben ohne Zugeständnisse. Abreißen | |
kann er dann aber trotzdem nicht, vorher müsste er die Altmieter*innen | |
rausklagen – was Jahre dauern kann. „Wir werden das jetzt besprechen, uns | |
vom Mieterverein beraten lassen und ein Rechtsgutachten erstellen“, kündigt | |
Diekmann an. Dem Bezirk wirft er vor, Investoren den roten Teppich | |
auszurollen, ohne sich um die Rechte der Mieter*innen zu kümmern. „Das | |
kann so nicht weitergehen mit dem Ausverkauf der Stadt.“ | |
Das sieht die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ ähnlich. Mit einer | |
Kundgebung protestierte sie am Montag gegen den Abriss des Gebäudes. Mit | |
der Genehmigung des Abrisses lasse Stephan von Dassel die Menschen im | |
Stich, die in der Habersaathstraße ein neues Zuhause gefunden haben und | |
belohne den Eigentümer für seine Spekulation mit Leerstand mit Profiten, | |
kritisiert Sprecherin Valentina Hauser. Auch aus Umwelt- und | |
Klimaschutzgründen sei der unnötige Abriss „Wahnsinn“. Die Initiative sie… | |
nun den Senat in der Pflicht: „Wir fordern, dass das Land den Abriss | |
verhindert, die Gebäude in der Habersaathstraße beschlagnahmt und | |
rekommunalisiert.“ | |
28 Jun 2022 | |
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[1] /Streit-um-Habersaathstrasse/!5859680 | |
## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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