# taz.de -- Streit um Demoverbot für Coronaleugner: Menschenleben oder Bürger… | |
> Berlins Innensenator will die für Samstag geplante Demonstration von | |
> Corona-LeugnerInnen verbieten. Ist das der richtige Weg? Ein Pro und | |
> Contra. | |
Bild: Polizeikette und abstandslose Demonstration gegen Coronaschutzmaßnahmen … | |
Berlins Innensenator will die für Samstag geplante Demonstration von | |
Corona-LeugnerInnen verbieten. Ist das der richtige Weg? | |
## Ja | |
Sie wollen ausdrücklich ohne Atemschutzmasken zu Zehntausenden | |
demonstrieren: Coronaleugner*innen aus der ganzen Bundesrepublik | |
gefährden nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern die anderer Menschen. | |
Auch die wirtschaftliche Existenz all jener, die unter einem zweiten | |
Lockdown schließen müssten, steht auf dem Spiel. Das Recht auf | |
Versammlungsfreiheit muss hier gegen das Allgemeinwohl abgewogen werden. | |
Natürlich werden die rechten Verschwörer*innen sich lautstark empören, | |
sich in ihrer Meinungsäußerung unterdrückt sehen. Sie werden die | |
Gelegenheit nutzen, sich als Opfer zu inszenieren. | |
Zugleich können in der gesamten Bundesrepublik Konzerte, Hochzeiten, | |
Fußballspiele und andere Veranstaltungen gar nicht oder nur begrenzt | |
stattfinden. Auch eine [1][lang geplante Gedenkdemonstration in Hanau] | |
wurde aus Infektionsschutzgründen verboten. Die von Coronaleugner*innen | |
angestrengte Erzählung, ihnen würde gezielt der Mund verboten, trifft, im | |
Gesamtkontext betrachtet, also überhaupt nicht zu. | |
Nun ist es tatsächlich so, [2][dass der Berliner Innensenator Andreas | |
Geisel (SPD)] neben den gesundheitlichen auch politische Gründe für das | |
Demo-Verbot zu hegen scheint. In seiner Erklärung spricht er die | |
rechtsextreme Mobilisierung zu dieser Demonstration an. Vom AfD-Sprecher | |
Björn Höcke über Martin Sellner von der Identitären Bewegung bis zum | |
rechtsextremistischen Rapper Chris Ares scheint die gesamte rechte Szene | |
vertreten. In einer Demokratie allerdings haben auch sie das Recht, sich zu | |
äußern. Geisel betritt deshalb dünnes Eis, wenn er Gesinnungen ins Spiel | |
bringt | |
Trotz dieses Dilemmas ist das Verbot ein richtiger Schritt. Ein | |
Nazi-Aufmarsch wie 2018 in Chemnitz, wo es rassistische Jagden auf Menschen | |
gab, könnte auch bei dieser Großmobilisierung ein Szenario sein. Das gilt | |
es zu unterbinden. Es gab und gibt zu viele Fälle, in denen nichts gegen | |
rechtsextreme Gefahren unternommen wurde. Die Anschläge in Halle, Hanau, | |
der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke sind nur die bekanntesten | |
Beispiele. Es ist richtig, die Wegbereiter*innen solcher Taten in die | |
Schranken zu weisen, um Schlimmeres zu verhindern. Denn auch hier geht es | |
um Menschenleben. | |
Lea Fauth | |
## Nein | |
Erleichtert atmen nun viele auf über [3][das Demo-Verbot für die | |
Corona-Leugner*innen]. Es wäre ja auch tatsächlich kaum zu ertragen | |
gewesen, wenn erneut 20.000 oder mehr Menschen, darunter die gesammelte | |
extreme Rechte des Landes, für ihren Wahnsinn auf die Straße gegangen | |
wären. Und trotzdem ist das Verbot genauso falsch wie der Jubel darüber. | |
Seien wir ehrlich: Hätte das Verbot eine linke Demo getroffen – wie am | |
vergangenen Samstag in Hanau –, hätte es, zumindest in der taz, nur eine | |
Meinung gegeben: falsch. Demokratiefeindlich. Politisch motiviert. | |
Nun ist Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) nicht vorzuwerfen, er | |
habe die Veranstaltungen verboten, weil sie ihm unliebsam seien. Fast | |
täglich dürfen in Berlin Verschwörer*innen und Nazis auflaufen, ohne dass | |
der Staat dagegen vorgeht. Über den polizeilich nicht durchgesetzten | |
Infektionsschutz bei der vergangenen Verschwörer*innendemo hatte | |
Geisel noch in der taz gesagt, das Grundrecht auf Meinungs- und | |
Versammlungsfreiheit stehe höher als die dort begangenen | |
Ordnungswidrigkeiten. Dies hätte auch jetzt gelten müssen. | |
Richtig wäre es gewesen, vor Ort darauf zu regieren, wenn die | |
Teilnehmer*innen das Tragen von Masken und den Mindestabstand verweigern. | |
[4][Die Polizei hätte es in der Hand], die Demo dann nicht laufen zu | |
lassen. Einen Block von damals noch verbotenerweise vermummten | |
Blockupy-Demonstrant*innen 2013 in Frankfurt am Main kesselte die Polizei | |
neun Stunden lang ein. Ein solch hartes Vorgehen wäre die korrekte Antwort | |
an die Gesundheitsgefährder*innen gewesen. | |
Deren Versuch, sich nun als Verteidiger der Grundrechte aufzuspielen, ist | |
klar zu widersprechen. Die Egoist*innen von rechts interessieren sich | |
nicht für die demokratischen Grundrechte anderer, sondern nur für ihre | |
eigenen. Eine gesellschaftliche Linke sollte sich nicht die Hände reiben, | |
wenn der Staat repressiv agiert, nicht zuletzt, weil sie selbst | |
potenzielles Ziel solcher Maßnahmen ist. | |
Die richtige Antwort einer antifaschistischen Zivilgesellschaft wäre es, | |
solche Demos durch Blockaden zu verhindern. Scheitert das Verbot vor | |
Gericht, muss sie mehr bieten als staatsgläubige Schadenfreude. | |
Erik Peter | |
26 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Absage-der-Hanau-Gedenkveranstaltung/!5704039 | |
[2] /Berlin-verbietet-Verschwoerer-Demo/!5704451 | |
[3] /Ruf-nach-Demonstrationsverboten/!5699995 | |
[4] /Polizeieinsatz-bei-Demos-in-Berlin/!5699853 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Lea Fauth | |
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