| # taz.de -- Stahlgipfel im Kanzleramt: Experten fordern Bekenntnis der Politik … | |
| > Kurzfristige Maßnahmen zur Entlastung der Branche reichen nicht. Der | |
| > klimaneutrale Umbau muss vorangetrieben werden, sagen | |
| > Transformationsforscher. | |
| Bild: Stahlarbeiter am Hochofen bei Salzgitter Flachstahl: Die Branche leidet u… | |
| Vor dem [1][Stahlgipfel am Donnerstag im Kanzleramt] sind die Erwartungen | |
| hoch, dass die Politik der angeschlagenen Branche schnell hilft. Experten | |
| fordern, dass die Politik nicht nur mit kurzfristigen Maßnahmen auf die | |
| aktuelle Krise reagiert und ein Signal für die Produktion von grünem Stahl | |
| gibt. | |
| Am Donnerstagmittag trifft sich die Bundesregierung mit Vertreter:innen | |
| der Branche und der Bundesländer, die von der Stahlkrise unmittelbar | |
| betroffen sind. Der Wirtschaftszweig steht von vielen Seiten unter Druck. | |
| Er hat wegen nachlassender Nachfrage ein massives Absatzproblem, vor allem | |
| wegen der kriselnden Autoindustrie und der schlechten Baukonjunktur. | |
| [2][Zur Unzeit versetzt Donald Trumps Zollpolitik den internationalen | |
| Stahlmarkt in Aufruhr.] Gleichzeitig machen hohe Energiepreise und | |
| Billigimporte den Unternehmen zu schaffen. Im ersten Halbjahr ist die | |
| Rohstahlproduktion auf das Niveau in der Finanzkrise 2009 gesunken. Damals | |
| hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Krise mit der Abwrackprämie für Autos | |
| bekämpft. | |
| Bei der Frage nach der Zukunft der Stahlindustrie geht es um weitaus mehr | |
| als um die 80.000 Mitarbeiter:innen, die die Branche selbst in Deutschland | |
| beschäftigt. „Die Stahlbranche ist wegen der engen Verzahnung der | |
| nachgelagerten Industrie ein wichtiger Wirtschaftszweig von strategischer | |
| Bedeutung“, sagt Julian Somers, Projektmanager Klimaneutrale Industrie bei | |
| der Denkfabrik Agora Industrie. Stahl ist ein wichtiges Vorprodukt für | |
| viele industrielle Güter. Wird er hierzulande nicht mehr hergestellt, | |
| besteht die Gefahr, dass auch andere Branchen abwandern – die | |
| Autoindustrie, der Maschinenbau oder die Hausgerätehersteller. Dem | |
| arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge [3][hängen | |
| mehr als 600.000 Arbeitsplätze vom Stahl ab]. | |
| ## Hoffnungsträger trotz Krise | |
| Trotz der akuten Krise ist die Stahlbranche auch ein Hoffnungsträger für | |
| die deutsche Wirtschaft. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Stahl | |
| kann dann hierzulande nur noch grün produziert werden – oder gar nicht. An | |
| etlichen Standorten ist die Transformation angelaufen. In Deutschland gibt | |
| es nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl acht Hüttenwerke, in denen | |
| Rohstahl mit fossilen Energien hergestellt wird. Hier entstehen 70 Prozent | |
| des deutschen Rohstahls. Hinzu kommen mehr als 20 Elektrostahlwerke, in | |
| denen Schrott eingeschmolzen wird – die können klimaneutral werden, indem | |
| sie Strom aus erneuerbaren Energien einsetzen. | |
| Bei Hochöfen ist das komplizierter, sie werden mit Kohle angetrieben. Die | |
| Umstellung auf zunächst Gas und perspektivisch Wasserstoff ist teuer. Beim | |
| Unternehmen Salzgitter in der gleichnamigen niedersächsischen Stadt wird | |
| derzeit eine Anlage umgerüstet, die in den kommenden Jahren einsatzfähig | |
| sein soll. Dort gibt es allerdings nur einen Hochofen. Läuft alles nach | |
| Plan, ist die Transformation vergleichsweise schnell gelungen. Bei | |
| Thyssenkrupp in Duisburg etwa ist die Lage anders. Hier sollen Hochöfen | |
| nach und nach umgestellt werden. | |
| Höhere Gas- und Ölpreise, eine schwache Konjunktur, Handelskonflikte und | |
| internationale Konkurrenz setzen Unternehmen unter Druck. „Die | |
| konventionelle Produktionsweise ist in Deutschland perspektivisch nicht | |
| mehr wettbewerbsfähig – es braucht eine Modernisierung“, sagt Somers. Und | |
| gleichzeitig braucht es politische Unterstützung, damit grüner Stahl „made | |
| in Germany“ eine Zukunft hat. | |
| Gelingt hier die Transformation, besteht die Chance, die Standorte | |
| zukunftsfähig zu machen und damit Jobs und Schlüsselindustrien zu erhalten. | |
| Voraussetzung dafür sei aber, dass die Politik klare Signale für die | |
| Transformation sendet. „Unternehmen brauchen Planungssicherheit“, betont | |
| Somers. Nötig ist seiner Auffassung nach auch, sogenannte Leitmärkte zu | |
| etablieren. Diese entstehen, indem verlässliche Abnehmer grünen Stahl | |
| nachfragen und übergangsweise auch höhere Kosten in Kauf nehmen. „Ein Hebel | |
| dafür ist die öffentliche Beschaffung“, sagt er. Durch den von der | |
| Bundesregierung auf den Weg gebrachten 500 Milliarden Euro schweren | |
| Infrastruktur- und Klimafonds wären die erforderlichen Mittel vorhanden. | |
| Viele Vorschläge, die im Vorfeld des Stahlgipfels im Kanzleramt diskutiert | |
| werden, zielen auf kurzfristige Maßnahmen. So sollen die Unternehmen bei | |
| den Energiekosten entlastet werden. Stärkere Zölle auf Billigimporte etwa | |
| aus China sollen den deutschen Stahlmarkt schützen. | |
| ## Transformation weiterentwickeln | |
| Um die Stahlindustrie zu stützen, ist eine Doppelstrategie erforderlich, | |
| ist der Transformationsexperte Stefan Lechtenböhmer von der Universität | |
| Kassel überzeugt. Die Ampelregierung hatte für den Umbau der Stahlindustrie | |
| ein Konzept und ihn mit hohen Fördermitteln angestoßen. Was die neue | |
| Bundesregierung will, ist noch unklar. „Wichtig ist jetzt erstens ein Plan, | |
| um die Transformation weiterzuentwickeln“, sagt er. „Die Bundesregierung | |
| muss Unternehmen und Märkten das Vertrauen geben, dass die Transformation | |
| kommt.“ | |
| Ansonsten werden Manager:innen und Anleger:innen nicht weiter | |
| investieren. „Zweitens ist ein gut geschnittenes Maßnahmenpaket | |
| erforderlich“, sagt er. Das könne ein klug gestalteter Industriestrompreis | |
| oder ein kluges E-Auto-Programm wie das französische Social Leasing sein. | |
| Aber ohne einen langfristigen Transformationsplan bringt das alles nichts, | |
| ist er sicher: „Dann verbrennt man nur Geld.“ | |
| 6 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Forderungen-vor-dem-Stahlgipfel/!6126191 | |
| [2] /Hoehere-Zoelle-auf-Stahl/!6113044 | |
| [3] https://www.iwkoeln.de/presse/iw-nachrichten/benita-zink-tillman-hoenig-and… | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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