# taz.de -- Stadtplanerin über Wohnprojekte: „Meistens geht's um Kosten“ | |
> Zusammen wohnen, aber wie? Baugemeinschaft, Genossenschaft oder | |
> Miethäusersyndikat? Stadtplanerin Ulrike Pelz erklärt die Vor- und | |
> Nachteile. | |
Bild: „Wir brauchen in ganz Deutschland viel mehr geförderten Wohnraum“, s… | |
taz am wochenende: Frau Pelz, der Wohnungsmarkt wird immer teurer. Sind | |
Wohnprojekte in Kollektiveigentum ein Ausweg aus der Spirale? | |
Ulrike Pelz: Für einige schon. Die Förderung von Baugemeinschaften ist | |
Ländersache, aber in einigen Bundesländern ermöglicht die Förderung es auch | |
Menschen mit wenig Geld, selbst Wohnraum zu bauen. Die Mieten für die | |
Wohnungen, die dabei entstehen, werden bis zu dreißig Jahre lang | |
subventioniert. So wird günstiger Mietwohnungsraum über eine sehr lange | |
Zeit erhalten. | |
Welche Trägerformen für Wohnen im Kollektiveigentum gibt es? | |
Die individuellste Form ist die Kleingenossenschaft. Das heißt, die | |
Baugruppe gründet eine Genossenschaft, und alle Mitglieder wohnen später in | |
ihrem Haus. Die Mitglieder entscheiden, wer einzieht, wie das Haus | |
aussieht, wie sie zusammen wohnen wollen. Eine andere Möglichkeit ist, dass | |
die Gruppe unter das Dach einer großen Genossenschaft schlüpft. Die ist | |
dann die Bauherrin und kann das meiste entscheiden. Der Vorteil ist, dass | |
die Dachgenossenschaft den für Bauprojekte nötigen Eigenanteil aufbringt | |
und die neue Gruppe nicht so viel Geld besitzen muss. Ein weiteres Modell | |
ist das [1][Mietshäusersyndikat]. | |
Und was ist das? | |
Die Idee kommt aus Freiburg. Die einzelnen Hausprojekte sind autonom und | |
können grundsätzlich alles selbst bestimmen, aber das Syndikat hat in der | |
Haus-GmbH eine Sperrminorität, um das Kollektiveigentum zu erhalten. | |
Was ist mit Optionen, bei denen man nicht selbst bauen muss? | |
Dafür bräuchte man eine geeignete Immobilie, aber vielerorts gibt es das | |
nicht mehr. Attraktiv für größere Gruppen, die gemeinschaftlich wohnen | |
wollen, wäre ja zum Beispiel eine Fabriketage oder ein großer Altbau. | |
Solche Orte sind zum Beispiel in Hamburg seit Jahren vermietet, verkauft | |
oder abgerissen. | |
Aber für einen Neubau braucht man immer Kapital. Sind solche Wohnformen nur | |
was für Gutverdiener*innen? | |
Das würde ich nicht sagen. Man kann sich die Genossenschaftsanteile bei der | |
[2][Kreditanstalt für Wiederaufbau] leihen und über die Miete abbezahlen. | |
Da die Grundmiete ja subventioniert ist, ist es über die Jahre gerechnet | |
immer noch ein guter Mietpreis im Vergleich zum normalen Wohnungsmarkt. Und | |
um die Förderung zu bekommen, müssen die meisten Mieter*innen ohnehin | |
geringe Einkommen haben. | |
Allerdings braucht man viel Zeit, um einen Neubau zu planen. Das muss man | |
sich schon leisten können. | |
Das stimmt, aber in der Realität ist es immer so, dass sich nicht alle | |
gleich stark engagieren. Ein Teil der Gruppe macht viel. Die anderen werden | |
mitgezogen. Allerdings muss man sich viel miteinander auseinandersetzen, | |
wenn das Fundament des Wohnens die Gemeinschaft ist. Das will nicht jeder. | |
Gibt es ein Erfolgsrezept für das Wohnen in großen Gemeinschaften? | |
Nein, es kommt immer auf die Gruppe an. Wichtig ist, dass sich die Gruppen | |
früh Regeln auferlegen, wie sie miteinander umgehen und diskutieren. Je | |
mehr sie sich daran halten, desto besser ist es für die Zukunft. Hilfreich | |
ist es auch, regelmäßig Supervision zu machen. Natürlich gibt es immer | |
wieder Differenzen, auch schon bevor man zusammenwohnt. | |
Welchen Konflikten begegnen Sie? | |
Meistens geht es um Kosten. Die Mitglieder einer Baugemeinschaft sind ja | |
finanziell unterschiedlich situiert. Es gibt viele, die wenig Geld haben | |
und ein paar, die mehr haben. Sich zu einigen, in welcher Qualität ein Haus | |
geplant werden kann und wie teuer die Ausstattung sein soll, ist immer ein | |
Streitfaktor. Ein weiterer Punkt ist die Frage: Wie viel | |
Gemeinschaftsfläche wollen wir haben und dafür auf einen Teil des privaten | |
Raums verzichten? | |
Bei Eigentümerbaugemeinschaften kann jeder selbst entscheiden, weil ja | |
jeder seinen Teil selbst finanziert. Läuft das konfliktfreier? | |
Eigentümergemeinschaften haben das Problem, dass hier neben dem Wohnen auch | |
immer eine Vermögensanlage umgesetzt wird. Die finanzielle Belastung des | |
Einzelnen ist sehr hoch. Das kann die Gruppe stark belasten. | |
Ist gemeinschaftliches Wohnen nach wie vor gefragt? | |
Ja, immer mehr. Die Menschen wollen zunehmend der Vereinzelung aus dem Weg | |
gehen, und es gibt im Alltag viele Notwendigkeiten, sich zu unterstützen, | |
sei es bei der Kinderbetreuung oder als Hilfe für alte Menschen. | |
Mehrgenerationenprojekte sind sinnvoll, da entstehen viele Synergien. In | |
der Coronazeit gab es viele Wohnprojekte, die gut funktioniert haben, weil | |
es einfacher ist, sich zu helfen, wenn man sich kennt. | |
Zeichnet sich ein Trend zu kleinen Wohneinheiten in der Gemeinschaft ab – | |
im Gegensatz zu großen WGs? | |
In Hamburg werden WGs von bis zu sechs Personen in Baugemeinschaften | |
gefördert. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sie nicht so langfristig | |
beständig sind, dass Gruppen das WG-Konzept nach einer Weile nicht mehr | |
wollen. Es ist gut, Wohnungen gleich so zu strukturieren, dass man sie bei | |
Bedarf in kleinere Formen zurückbauen kann. | |
Warum sind WGs nicht so langlebig? | |
Die Einkommensbeschränkung im sozialen Wohnungsbau kann ein Problem sein. | |
Wer neu einzieht, darf ein gewisses Einkommen nicht überschreiten. Das ist | |
nicht sehr hoch, auch Sozialarbeiter*innen können darüber liegen. | |
Aber man sucht sich seine Mitbewohner*innen ungern nach ihrem | |
Einkommen aus. Manchmal ist es auch einfach die Lebensphase, die nach dem | |
WG-Leben eine andere Wohnform erfordert. | |
Seit wann gibt es Baugemeinschaften? | |
Die Baugemeinschaftsszene ist in den Achtzigern entstanden. Einige Gruppen | |
gingen aus Besetzungen hervor, andere haben etwa ein leer stehendes Gebäude | |
entdeckt und gesagt: „Kommt, lasst uns hier zusammen was aufbauen.“ Die | |
Stadtverwaltungen haben ja auch ein Interesse daran, dass Menschen ihr | |
Wohnen selbst organisieren. | |
Woran müsste sich eine integrative und gemeinschaftsorientierte | |
Stadtplanung ausrichten? | |
Wir brauchen in ganz Deutschland viel mehr geförderten Wohnraum. Darüber | |
hinaus ist es wichtig, dass es viele verschiedene Wohnformen gibt. Nur | |
Singlehaushalte und Familienwohnungen zu fördern, reicht nicht. Es wäre | |
gut, flexibler zu bauen, zum Beispiel Cluster, wo sich kleine Wohneinheiten | |
um große Gemeinschaftsflächen gruppieren, oder Wohnungen, die man später in | |
kleinere Einheiten zurückbauen kann. Angesichts der hohen Baupreise würde | |
es auch helfen, wenn es nicht zu viele Auflagen gibt, sodass man günstiger | |
bauen kann. Umweltstandards sind natürlich wichtig, aber vielleicht ist | |
nicht jede Auflage nötig und sinnvoll. | |
11 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.syndikat.org/de/ | |
[2] https://www.kfw.de/kfw.de.html | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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