# taz.de -- Besetzerin über Anfänge der Roten Flora: „Die Flora hat ganz vi… | |
> Berit K. kam in der Nacht der Besetzung zur Flora. 30 Jahre später | |
> spricht sie über die politische Bedeutung des Hausprojekts. | |
Bild: September 1990: Altensingen in der Roten Flora. | |
taz: Frau K., wann waren Sie zuletzt in der Flora? | |
Berit K.: Vor einem Jahr. Das war zu einem Treffen mit Leuten, die ich von | |
früher aus der Flora kenne. Davon abgesehen war ich schon lange nicht mehr | |
da. Aber zum Geburtstag der Besetzung am 1. 11. werde ich hingehen, das ist | |
ja quasi Pflicht. | |
Was hat Sie damals dazu gebracht, sich der Besetzung anzuschließen? | |
Ich war relativ neu in Hamburg. Meine ersten Anknüpfungspunkte waren in der | |
Hafenstraße. Ich habe mitbekommen, dass es in der Flora [1][einen | |
kurzfristigen Nutzungsvertrag für eine Ausstellung gibt] und bin | |
hingegangen. Es wurde schnell klar, dass die Leute mit Ablauf des | |
Nutzungsvertrags nicht gehen werden. Das fand ich super. In der Nacht der | |
Besetzung, als am nächsten Tag das Gebäude hätte übergeben werden müssen, | |
war ich dann zum ersten Mal richtig dabei und bin dann dageblieben. | |
Was war Ihre Motivation? | |
Ich hatte schon öfters Häuserkämpfe unterstützt. Es ging auch damals schon | |
darum, dass Wohnen immer teurer wird und Menschen aus Stadtteilen | |
vertrieben werden. Es war total klar: Wenn das Theater in den Stadtteil | |
kommt, … | |
Die Flora sollte ein Musical-Theater werden … | |
… wird sich niemand dort mehr die Mieten leisten können. Ich wohnte damals | |
in Altona, hab die Schanze aber trotzdem als Viertel erlebt, das es zu | |
verteidigen gilt. Ich war aber auch in feministische und antifaschistische | |
Kämpfe involviert. Wie wir halt damals Politik gemacht haben – alles war | |
gleichzeitig wichtig. Da passte die Flora gut rein. | |
Warum? | |
Es war schon ein Akt, so frech zu sein und zu sagen: „Wir nehmen dieses | |
große Ding“, in dem es weder vernünftige Wände noch Klos gab, und zu sagen: | |
„Wir schaffen das trotzdem.“ Und wir haben es geschafft. Das sind | |
bombastische Erfahrungen, die man sonst nirgends machen kann. | |
Wie war Ihre Lebenssituation damals? | |
Anfangs war ich arbeitslos. Das war auch gut so, ich habe ja 24 Stunden | |
Flora gemacht. Ein halbes Jahr später habe ich ’ne Ausbildung in einem | |
Gesundheitsberuf angefangen. Das war etwas bizarr: Ich bin den ganzen Tag | |
in Weiß rumgelaufen, abends nach Hause gekommen, habe mir schwarze Sachen | |
angezogen und bin in die Flora gegangen. Die meisten haben das ähnlich | |
gemacht. Viele haben studiert, eine Ausbildung gemacht, in Kneipen oder bei | |
der Drogenhilfe gejobbt. Wenige hatten feste Berufe. | |
Wie hat sich die Flora in den Jahren verändert? | |
Am Anfang war es ein Ort, wo viele Leute fast durchgehend da waren. Es gab | |
unter anderem eine Vokü-Gruppe, eine Druckgruppe, eine Baugruppe, eine | |
Fahrradgruppe, eine Veranstaltungsgruppe, eine Motorradgruppe, eine Archiv- | |
und eine Sportgruppe. | |
Also [2][ähnlich wie heute]. | |
Das kann sein. Was ich damals irre fand: Dass es so viele verschiedene | |
Leute gab, die Sachen machen wollten, und das dann auch einfach getan | |
haben. Du machst einen Raum auf, da ist nichts drin, und dann fängt zum | |
Beispiel die Sportgruppe an, einen Holzboden einzubauen, der federt. Ich | |
war in der Druckgruppe, wir haben politische Plakate gedruckt. Unser Raum | |
war zu klein, da haben wir einfach einen Holzanbau gebaut und schon hatten | |
wir einen größeren Raum. So lief das. | |
Wie lange hat die Stadt Sie in Ruhe gelassen? | |
Bis wir 1991 den Flora-Park bebaut haben. Das war eine Baugrube mit | |
Schlammloch. Wir haben mit zig Leuten, auch aus anderen Städten, einen Park | |
mit Wiesen, Büschen, Blumen, einem Teich draus gemacht. Der ist dann | |
gewalttätig geräumt wurde. Da waren wir plötzlich mit einer Repression | |
konfrontiert, mit der wir nicht gerechnet hatten. | |
Wirklich nicht? | |
Es war ein richtiger Besatzungszustand im Viertel. Wochenlang überall | |
Polizei und Wasserwerfer. Zwei Leute von uns saßen mit einer konstruierten | |
Mordanklage für Monate im Knast, es gab die erste Enttarnung einer | |
verdeckten LKA-Ermittlerin. | |
Aber die Polizei hat nie versucht, das Haus zu räumen. | |
Nee, wir waren darauf eingestellt, dass das Gebäude geräumt wird, und haben | |
gar nicht verstanden, dass nichts passiert! Dann hat uns die Weltpolitik | |
eingeholt. Neun Tage nach der Besetzung ist die Mauer gefallen, und | |
plötzlich hat sich keine Sau mehr für uns interessiert. Ohne den Fall der | |
Mauer hätten wir es, glaube ich, nicht über den Winter geschafft. Aber mit | |
der Zeit wird eine Räumung ja immer schwieriger, wenn etwas erst mal da | |
ist. Wir haben ja auch Veranstaltungen gemacht und bauliche Maßnahmen | |
ergriffen. | |
Wofür steht die Flora heute? | |
Für mich ist die Flora eine alte Dame, die ganz schön viel geschafft hat. | |
Ich blicke da immer mit viel Wohlwollen drauf. Wir hätten damals alles | |
drauf gewettet, dass wir niemals 30 werden. Einerseits konnte ich mir | |
sowieso nicht vorstellen, mal so alt zu werden. Aber auch nicht, dass das | |
wirklich zu schaffen ist. | |
Was schätzen Sie an ihr? | |
Die Flora ist ein Ort, an dem man einfach sein kann. Wenn zum Beispiel | |
junge Frauen dort tanzen gehen und blöd angemacht werden, wissen sie, dass | |
sie Hilfe kriegen. Außerdem laufen dort viele Veranstaltungen, die mich | |
interessieren, auch wenn ich kaum Zeit habe, hinzugehen. Ich finde es auch | |
beeindruckend, dass die Flora immer wieder den Versuch macht, auf die Leute | |
um sie herum zuzugehen und in Kontakt zu bleiben, wie zum Beispiel nach dem | |
G20. Sie sagt nie „Mir doch alles egal, um mich herum sind ja eh alle | |
Yuppies!“ | |
Wann haben Sie aufgehört, sich in der Flora zu engagieren? | |
Mit Mitte 30 kam ich an einen Punkt, wo ich mich dabei ertappt habe, auf | |
dem Plenum zu sitzen und zu denken: „Das haben wir doch alles schon | |
diskutiert.“ Da ging es um Vertragsverhandlungen. Ich musste dann denen das | |
Feld überlassen, die das noch nicht diskutiert hatten. Denn ich wollte mit | |
Anfang 20 auch keine 30-Jährigen, die mir erzählen, wie die Welt | |
funktioniert. | |
Wie fühlt es sich an, wenn Sie heute in die Flora gehen? | |
Es ist ein bisschen, wie die Eltern zu Hause zu besuchen: eine Mischung aus | |
ganz vertraut und total weit weg. Die Flora ist ein Teil meiner Geschichte | |
und meiner Identität, aber ich bin heute eine andere Person als damals. Und | |
ich besuche dann die Person von damals. Aber wie es da jetzt aussieht im | |
Vergleich zu damals, die renovierte Vokü und so, da liegen ja Welten | |
dazwischen. Wie wir damals im Qualm saßen … | |
Ist die Flora heute politisch noch bedeutsam? | |
Es ist unfassbar wichtig, dass es solche Räume gib. Wenn mal viele Leute | |
zusammenkommen müssen, wenn eine Soli-Party gemacht werden muss – all das | |
geht dort. Als vor ein paar Jahren [3][die Menschen der Lampedusa-Gruppe | |
obdachlos waren,] war es wichtig, diese Projekte zu haben, auch | |
Hausprojekte, um ein solidarisches Wohnen zu organisieren. Ohne solche | |
Räume kannst du vieles nicht organisieren. Ich meine: Die Türkei greift | |
Rojava an und es ist ein natürlicher Punkt zu sagen: „Wir treffen uns vor | |
der Flora.“ Diese Basis musst du erst mal haben, das haben gar nicht so | |
viele. Gut, in Hamburg gibt’s jetzt auch das Gängeviertel. | |
Sind Sie heute noch politisch engagiert? | |
Mein Leben hat sich total geändert, mit zwei Kindern habe ich neben der | |
Arbeit nicht mehr so viel Zeit für Politik. Ich bin aber immer in irgendwas | |
involviert, setze mich für globale Migrationsbewegungen und gegen Rassismus | |
ein und verstehe mich als politischen Menschen. Die aktuellen Entwicklungen | |
machen mir große Sorgen. Wir haben es mit einer gefährlich erstarkenden | |
faschistischen Bewegung zu tun, und gleichzeitig mit der Erosion von | |
Demokratie. Ich will nicht in einer Welt leben, wo es keine Menschlichkeit | |
gibt. Aufhören, politisch zu sein, ist keine Alternative für mich. Ich | |
könnte dann nicht mehr in den Spiegel gucken. | |
Seit 30 Jahren ist die Rote Flora besetzt. Lesen Sie mehr über den | |
Geburtstag in der Wochenendausgabe der taz nord oder am [4][E-Kiosk]. | |
25 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /25-Jahre-Rote-Flora-in-Hamburg/!5029697/ | |
[2] https://www.rote-flora.de/programm/ | |
[3] /Zwischenbilanz-des-Lampedusa-Protests/!5037297/ | |
[4] /Unser-eKiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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