# taz.de -- Autorin über solidarische Ökonomie: „Ein gutes Leben ohne Kapit… | |
> Die Rote Flora veranstaltet einen Kongress zu Perspektiven der | |
> Selbstverwaltung. Elisabeth Voß über Widersprüche und die globale | |
> Perspektive. | |
Bild: Ort des Kongresses und zudem selbstverwaltet: die Rote Flora in Hamburg | |
taz: Frau Voß, worum geht es in dem Kongress zu Perspektiven der | |
Selbstverwaltung in der Roten Flora? | |
Elisabeth Voß: Es geht grundsätzlich darum, ein gutes Leben für alle ohne | |
Kapitalismus möglich zu machen und beispielsweise durch selbstverwaltete | |
und gemeinschaftliche Projekte andere Praxen von Wohnen, Arbeit und Konsum | |
schon heute zu leben. Es geht um ein breites Verständnis für das | |
solidarische Wirtschaften, in dem der Mensch und nicht das Geld im | |
Vordergrund steht. „Ohne Chef und Staat“ war früher ein Slogan der | |
Selbstverwaltungsbewegung. | |
Also liegt in der Selbstverwaltung der Kern zur solidarischen Ökonomie? | |
Ja. Es bestehen ja de facto Abhängigkeitsverhältnisse, egal ob es im Job so | |
ist, dass man sich mit dem Chef oder der Chefin herumschlagen muss, oder | |
mit dem Vermieter oder der Vermieterin. Selbstverwaltete Projekte schaffen | |
mit Kollektivbetrieben, Hausprojekten oder soziokulturellen Einrichtungen | |
Räume für hierarchiefreies Wirtschaften. | |
Ist es nicht ein Widerspruch, autark sein zu wollen und sich gleichzeitig | |
mit öffentlichen Geldern Projekte finanzieren zu lassen? | |
Das Leben ist voller Widersprüche. Die Staatsknete-Debatte gab es schon in | |
den Achtzigern und hat die Szene gespalten. Es gibt immer noch Autonome, | |
die öffentliche Gelder strikt ablehnen, und andere, die das als öffentliche | |
Aufgabe sehen, auch solche Projekte mitzufinanzieren. Und wir sehen ja | |
beispielsweise in Sachsen nach den letzten Landtagswahlen, dass | |
Finanzierungen für solche Projekte gekürzt oder gestrichen werden. Das ist | |
natürlich fatal für die gesamte kulturelle Infrastruktur in Sachsen. | |
Wie kann die solidarische Ökonomie realisiert werden? | |
Wir sollten zuerst fragen, auf welchen Grundlagen wir Wirtschaft betreiben | |
und welche Produkte und Leistungen die Menschen wirklich brauchen. Sind | |
Waffenlieferungen an die Türkei für Kriege gegen Kurdinnen und Kurden etwa | |
legitim? Mit den Mittwoch begonnenen Angriffen wird die Selbstverwaltung in | |
Rojava konkret bedroht. Kriege gehören mit Klimawandel und Rechtsruck zu | |
den großen Bedrohungen. | |
Es geht also ums Große und Ganze? | |
Unbedingt, wir reden hier auf keinen Fall nur über Nischen. Es geht um die | |
ganze Wirtschaft, um die Versorgung aller Menschen mit dem | |
Lebensnotwendigen – überall, nicht nur im globalen Norden. Darum gehört zur | |
solidarischen Ökonomie die Grundversorgung ebenso wie die Kämpfe gegen | |
Privatisierung und Sozialabbau und unabdingbar eine globale und | |
solidarische Perspektive. | |
Gibt es Tabus in Kollektiven? | |
Mitunter schon. In meinen Vorträgen versuche ich Sachen anzusprechen, um | |
sie sagbar zu machen. Oft sind in den Projekten überwiegend weiße, ich | |
würde sagen, privilegierte Menschen dabei. Es macht einen Unterschied, | |
beispielsweise, ob jemand von Hartz IV lebt oder ein fettes Erbe in der | |
Hinterhand hat. Auch der Bildungshintergrund ist oft sehr unterschiedlich. | |
Wie halten es Kollektive eigentlich mit Angestellten? | |
Im Idealfall sind alle, die in einem Kollektiv arbeiten, auch Mitglied. | |
Aber das funktioniert nicht immer. Beispielsweise Handwerks- oder | |
Baukollektive, die einen unsteten Fluss von Aufträgen haben, sind darauf | |
angewiesen, Leute vorübergehend zu beschäftigen. Ich kenne auch einige | |
Angestellte, die in ihrer kollektiven Arbeitswelt und dem solidarischen | |
Umfeld sehr glücklich sind, obwohl das hierarchische Verhältnisse sind. | |
Früher nannten wir das Chefkollektive. Viele Leute wollen ja gar nicht | |
selbstverwaltet arbeiten und die ganze Verantwortung tragen, finanziell, | |
und vielleicht keinen geregelten Feierabend, und immer Plenum. Das schreckt | |
manche auch ab. | |
Und wie sieht es mit dem Wohnen aus? | |
Na ja, in vielen großen Wohnungsgenossenschaften geht es nicht besonders | |
selbstverwaltet zu. Aber das genossenschaftliche Wirtschaften ist ja nicht | |
an die Rechtsform gebunden. Zum Beispiel besteht das Mietshäuser-Syndikat | |
aus einer Konstruktion von GmbHs und Vereinen. Damit wird die | |
Privatisierung der Häuser verhindert. 2012, im Jahr der Genossenschaften, | |
haben sie trotzdem einen Genossenschaftspreis bekommen, weil sie die | |
genossenschaftliche Solidarität vorbildlich umsetzen. | |
11 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Yasemin Fusco | |
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