# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt" (2): Baugemeinschaften: Baugruppen sind z… | |
> Den einen scheinen sie als Retter einer nachhaltigen Stadtentwicklung, | |
> für andere sind sie das kapitalistische Feindbild schlechthin. Ein | |
> Fallbeispiel. | |
Bild: Zankapfel | |
Christian Schöningh taugt schon äußerlich nicht zum Feindbild. Die dunklen | |
Locken schwirren unstrukturiert auf dem Kopf, die Cordhose ist ausgebeult. | |
Statt nach Schlüsseln für den Geländewagen sucht er höchstens nach denen | |
für sein Alltagsrad. Schöningh sieht nicht aus wie ein Immobilienhai und | |
Großinvestor, und er ist auch keiner. Um so mehr hat es den Architekten | |
erstaunt und getroffen, dass er in diesem Jahr ins Visier von | |
Linksaktivisten geraten ist - als Gentrifizier, als Verursacher von | |
Verdrängung und steigenden Mieten. Schöningh ist Bauplaner zweier | |
Baugruppen in Alt-Treptow. | |
"Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Baugruppen Teil einer | |
wünschenswerten Stadtentwicklung sind", sagt der Vater zweier Kinder. Er | |
teilt diese Meinung mit dem Senat, zahlreichen Stadtplanern - und linken | |
Polit-Aktivisten wie dem Mediaspree-versenken-Initiator Carsten Joost. | |
Kritisch gegenüber stehen dem der Stadtsoziologe Andrej Holm und - einige - | |
linke Gruppen. Der Konflikt kreist um die Frage: Wie sozial sind | |
Baugruppen, und fördern sie eher die Mischung oder Entmischung eines | |
Kiezes? | |
Die Diskussion spitzt sich zu im Fall der benachbarten Projekte "KarLoh" | |
und "Zwillingshaus" im nordwestlichen Teil von Treptow an der Grenze nach | |
Kreuzberg. Zwei Baugemeinschaften haben die Grundstücke im Kunger-Kiez | |
erworben. Die etwa 60 Menschen planen generationenübergreifendes, | |
ökologisches Wohnen. Sie kommen überwiegend aus dem Viertel, ordnen sich | |
der grün-alternativen Szene zu. "Unsere Kinder gehen in der Gegend in | |
öffentliche Schulen, viele von uns arbeiten um die Ecke", erklären sie. | |
"Wir sind keine Investoren, die aus Profitinteresse bauen - wir ziehen | |
selbst in das Haus ein." | |
Anhänger der lokalen "Initiative gegen Mieterhöhung und Verdrängung" | |
hingegen sehen die Baugrüppler als "Gentrifizier", die zur - negativ | |
bewerteten - Aufwertung im Kiez beitragen. Ihr Vorwurf: KarLoh privatisiere | |
Wohnraum und schaffe Eigentum, das weitere einkommensstarke Schichten | |
anlocken könnte. "Wir wollen hier keine Baugruppen haben", sagt ein | |
Aktivist, der seinen Namen nicht nennen will. Die KarLoh-Baustelle ist | |
beschädigt worden; Mitglieder der Initiative brandmarkten Schöningh und | |
riefen dazu auf, dem Architekten persönlich die Meinung zu sagen. Die | |
Adresse lieferten sie gleich mit. | |
Die Baugruppe will inzwischen nicht mehr mit der Presse reden. Sie wolle | |
den Konflikt nicht zusätzlich aufheizen, sagt ein Mitglied. In einer an die | |
Kunger-Ini gerichteten Entgegnung werfen sie den Links-Aktivisten indes | |
eine "autoritäre, intolerante und bornierte Geisteshaltung" vor. Wer | |
proklamiere "Familien gehören in den Prenzlauer Berg", sei kleinkariert. | |
Für Planer Schöningh hört das Verständnis auf, wenn Gewalt ins Spiel kommt. | |
Ob das gegen Sachen oder Menschen gehe, sei letztlich egal, sagt er. | |
Überhaupt gebe es lohnenswertere Ziele, wenn von Verdrängung die Rede ist, | |
die verhindert werden solle. | |
"Grundsätzlich stabilisieren Baugruppen ein Viertel", findet Schöningh. | |
Baugrüppler sind selten wohlhabende Zuzügler. In das Großprojekt "Am Urban" | |
etwa werden zu 80 Prozent Menschen aus der Umgebung ziehen. "Die Leute | |
haben einen Bezug zu dem Kiez, es gib kaum welche, die einfach nur eine | |
Wohnung suchen", sagt Initiatorin Mary-France Jallard Graetz. Das Projekt, | |
das auf dem ehemaligen Krankenhausgelände am Landwehrkanal entstehen soll, | |
ist mit mehr als 120 Parteien eine der größten Baugemeinschaften Berlins. | |
Auch Gerd Kuhn und Stefan Krämer sehen Baugruppen als zukunftsweisende Form | |
des Wohnens, um Flächenfraß und Suburbanisierung zu bremsen. "Man muss | |
davon weg, Probleme in der Stadt durch Wachstum zu lösen", sagen die zwei | |
Wissenschaftler, die im Auftrag der Wüstenrot-Stiftung bundesweit | |
Baugemeinschaften beobachtet und untersucht haben. Außerdem sei es | |
illusorisch zu glauben, dass Quartiere sich allein mit kommunaler Steuerung | |
entwickeln. "Die Zeiten sind einfach vorbei." | |
Kuhn und Krämer verweisen auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen | |
"bösen" Privatinvestoren und lokalen Initiatoren: "Im Gegensatz zum | |
gewerblichen Wohnungsbau ist die Gewinnmaximierung für Baugruppen ein | |
nachrangiges Ziel." Oder wie es der Mediaspree-versenken-Mann Joost auf den | |
Punkt bringt: "KarLoh ist nicht Carloft." Carloft ist ein luxuriöses | |
Projekt nahe dem Landwehrkanal; die Bewohner können ihre Wagen mit dem Lift | |
auf Wohnungshöhe fahren. | |
Völlig gegen Baugruppen eingestellt sind demnach nur einzelne linke | |
Gruppen. Umstritten ist bei Planern und Wissenschaftlern schon eher, | |
welchen positiven Beitrag Baugruppen für die Stadtentwicklung leisten | |
können oder sollen. Der Soziologe Andrej Holm etwa weist darauf hin, dass | |
sich Baugemeinschaften vor allem in Städten mit angespannten | |
Wohnungsmärkten gebildet haben. "Dahinter steckt ein individualökonomischer | |
Sinn", sagt er. Mieten wurden zu teuer, Baugruppen eine günstige Form der | |
Eigentumsbildung. | |
Das erkläre auch, warum die Gemeinschaften erst jetzt für Berliner | |
Mittelstandsfamilien attraktiv würden - Jahre, nachdem Süddeutschland sich | |
mit dieser Bauform anfreundete. "Baugruppen wenden sich auch selektiv an | |
eine Gruppe und sind daher kein gesamtstädtisches Planungsinstrument", sagt | |
Holm. Vor allem könnten sie nicht in die Bresche springen, um den Rückzug | |
des Senats aus der kommunalen Wohnungspolitik zu kompensieren - oder zu | |
kaschieren? | |
Thorsten Tonndorf, Referatsleiter Stadtentwicklungsplanung beim Senat, | |
wehrt sich. Baugruppen leisteten einen qualitativen Einfluss, nicht einen | |
quantitativen. Und schließlich umfasse das Programm "Soziale Stadt" weit | |
mehr als die Förderung von Baugruppen. In der Tat arbeitet die zuständige | |
Senatorin Ingeborg Junge-Reyer an einem Konzept zur Neuausrichtung der | |
Wohnungspolitik; es soll bis zum Frühjahr vorliegen. | |
Reicht nicht, kontern Kritiker: Eine der Knackpunkte dürfte sein, wie sich | |
Baugruppen für Einkommenschwächere öffnen können. "Ich würde die Politik | |
dringend auffordern, dass sie einen strengen ökologischen und sozialen | |
Rahmen setzt", sagt etwa der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann, | |
der selbst seit Jahrenin Projekten von Baugemeinschaften lebt. "Sonst ist | |
das Konzept der Baugruppen verschenkt." Abschreckendes Beispiel ist für ihn | |
die Rummelsburger Bucht. Was dort von der Idee einer neuen Stadt übrig | |
geblieben sei, sei nur "Reihenhausbau im Kollektiv". Geplante | |
Infrastruktureinrichtungen seien nie verwirklicht worden, das Land habe | |
sich zu schnell aus Planung und Steuerung zurückgezogen. Zugleich erzählt | |
der Grünen-Politiker von einem früheren Hausprojekt in Stuttgart; dort | |
hätten sich die Bewohner verpflichtet, auf eigene Kosten Sozialwohnungen zu | |
schaffen. Das wiederum förderte die Stadt. | |
Für den Senat ist das keine Option, sozialer Wohnungsbau wird nicht | |
gefördert. Damit würden auch Baugruppen nicht gefördert, die | |
Sozialwohnungen bereitstellen wollten, sagt Tonndorf. Grundsätzlich aber | |
unterstützt der Senat Baugruppen (siehe Kasten) - und davon werde er sich | |
auch durch Proteste lokaler Initiativen wie in Treptow nicht abbringen | |
lassen, so der Verwaltungsfachmann. Er sieht einen "gewissen Grad" an | |
sozialer Mischung bei der Wohnform auch ohne Zutun des Senats. | |
"Baugemeinschaften, das ist ja kein Millionärswohnen." | |
Auch Schöningh verneint, dass er sich von Protesten beeindrucken lässt. Er | |
bekennt jedoch: "Aber die Frage der Veränderung in der Stadt mit von vielen | |
ungewünschten Begleiterscheinungen ist in den Vordergrund gekommen." Sein | |
neues Projekt, ein Haus an der Spree, entsteht als Genossenschaft. So | |
sollen Missbrauch verhindert werden, zudem sind Mietwohnungen geplant. | |
Eigentum an und für sich sei nämlich nicht schlecht und in "irgendeiner | |
Form unvermeidlich", findet Schöningh. Es käme darauf an, was wirklich | |
passiert, und: "Eigentum verpflichtet." | |
22 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
## TAGS | |
Genossenschaften | |
Bremen | |
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