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# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt": Kneipensterben in Kreuzberg: Schluss mit…
> Mit Bierhimmel und Café Jenseits hat die Oranienstraße in Kreuzberg zwei
> Institutionen des Nachtlebens verloren. Der Verlust ist eine
> Begleiterscheinung der rasanten Aufwertung des Kiezes.
Bild: Düstere Stimmung am Bierhimmel: Kneipensterben an der Oranienstraße.
Die Kreuzberger Oranienstraße ist um ein paar Attraktionen ärmer. Gleich
zwei Institutionen des Nachtlebens haben zu Weihnachten für immer die Türen
zugemacht: Das Künstlerlokal Café Jenseits am Heinrichplatz, in dem seit
den Achtzigern unter einer Spiegelpalme Kaffee getrunken und geraucht wird,
gibt es nicht mehr. Er habe sich die "exorbitanten Mieterhöhungen von über
100 Prozent" nicht mehr leisten können, sagt Wirt Clement de Wroblewsky.
Auch der "Bierhimmel" hat seine Pforten geschlossen. Das schwul-lesbische
Lokal in der Oranienstraße 183 ist vollkommen ausgeräumt. Grund für das Aus
war aber keine Mieterhöhung, wie Wirtin Claudia Ullmann betont. "Nach 20
Jahren Bierhimmel war es einfach Zeit aufzuhören."
Kaum 2.000 Euro zahlten die Betreiber für 140 Quadratmeter Ladenfläche. Als
vergangenen Monat die Verlängerung des Mietvertrages um weitere fünf Jahre
anstand, habe der private Vermieter sogar mit einer Mietsenkung gelockt.
Doch Ullmann und ihr Kompagnon wollten nicht mehr. Sie gaben den
Mietvertrag ab und stifteten große Teile der Einrichtung dem Schwulen
Museum. "Ich hatte keine Lust, weitere fünf Jahre auf die Oranienstraße zu
gucken und immer mehr von diesen T-Shirt- und Kaffeeläden zu sehen", sagt
Ullmann.
Auch wenn sie selbst von der grassierenden Mieterhöhung im Kiez nicht
betroffen ist, betrachtet sie die Veränderung der Nachbarschaft mit Sorge:
"Die typische Kreuzberger Mischung stirbt aus, es wird immer schicker und
gleichförmiger."
Seit 2005 ist die Gegend rund um die Oranienstraße von teils massiven
Mieterhöhungen betroffen. Ein Drittel der Mieten liegt bereits über den für
ALG-II-Empfänger festgesetzten Höchstsätzen. Bei Neuvermietungen und
Verlängerung von alten Mietverträgen schlagen Vermieter richtig zu. Viele
der alteingesessen kleinen Läden können sich die Preise nicht mehr leisten,
wie jetzt im Fall des Jenseits. Die Folgen sind im Straßenbild bereits
deutlich sichtbar: An die Stelle kleiner Gemüseläden und Alternativkneipen
treten Wettbüros oder Filialen von Kleidungs-und Gastroketten.
Die Angst vor einer Gentrifizierungswelle grassiert im Kiez. Mitte Dezember
diskutierte im - mittlerweile geretteten - SO 36 der grüne
Bezirksbürgermeister mit Anwohneraktivisten zum Thema "Kreuzberg 36 in der
Krise?" Mehr als 200 Menschen kamen, es wurde hitzig über Mietobergrenzen,
Mieterberatung und Widerstandsstrategien debattiert (taz berichtete).
Das alkohol-und drogenfreie Migrantenprojekt "Café Orya" in der
Oranienstraße 22 hat angesichts der Entwicklung freiwillig aufgegeben. Im
Sommer lief der Fünfjahresvertrag mit der städtischen
Wohnungsbaugesellschaft GSW aus. 1.300 Euro Miete zahlte der Trägerverein,
die Progressive Volkseinheit der Türkei (HDB), zuletzt. Alle zwei Jahre
wurde eine Erhöhung um 100 Euro fällig. Bei Vertragsverlängerung hätte es
noch einmal eine Mieterhöhung gegeben. Der Verein sei aber schon bei der
obersten Grenze des Zahlbaren angekommen, sagt Vorstandsmitglied Ahmet
Iyidirli. Daher habe man auf eine Vertragsverlängerung verzichtet. Auf ein
Entgegenkommen des Vermieters verließ man sich erst gar nicht. Der Verein
sucht nach neuen Räumlichkeiten. Auf der immer teurer werdenden
Oranienstraße wird er nicht mehr eröffnen können.
Die Räume des Bierhimmels seien dagegen schon vermietet, heißt es. An
kaufkräftigen Interessenten mangelt es jedenfalls nicht. Als Wirtin Claudia
Ullmann vor wenigen Tagen die Reste des selbst entworfenen Interieurs auf
die Straße trug, kamen zwei junge Männer und nannten eine beträchtliche
Summe für den Laden. Natürlich für ein T-Shirt-Geschäft. NINA APIN
31 Dec 2009
## AUTOREN
Nina Apin
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