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# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt" (5): Hausverwalter aus Nord-Neukölln im …
> Nord-Neukölln boomt, die Mietpreise ziehen an: "Gott sei Dank", sagt
> Bernd Girke, Verwalter von vier Mietshäusern. Jetzt sei endlich wieder
> Geld da, um die Häuser instand zu halten.
Bild: Online-Bewerbung der Townhouse-Siedlung
taz: Herr Girke, alle reden vom boomenden Nord-Neukölln. Was sagen Sie
dazu?
Bernd Girke: Da ist was Wahres dran. Solange ich hier wohne, und das sind
jetzt 68 Jahre, wollten noch nie so viele Leute unbedingt hierher. Es gibt
Architekten, die mir gesagt haben: Wer jetzt nicht hierher zieht, hat in
den nächsten Jahren keine Chance mehr - weil es boomt in dem Gebiet rechts
und links vom Kanal. Es gibt sogar schon Diplomaten, die ziehen hierhin,
wurde mir erzählt. Und bei mir im Haus sind in letzter Zeit drei junge
Ärzte eingezogen. Wir haben jahrzehntelang Schwierigkeiten gehabt,
überhaupt etwas zu vermieten - und jetzt ist es kein Problem mehr,
überhaupt nicht.
Also hatten Sie früher Leerstand in Ihren Häusern?
Ja, wir hatten grundsätzlich immer welchen. Gott sei Dank, kann ich sagen,
war es nie so viel. Aber jetzt mache ich eine Anzeige im Internet, und in
einem Tag ist die Wohnung weg.
Das heißt, Sie können auch die Miete erhöhen?
Definitiv. Und das tun wir auch.
Können Sie mal eine Preisspanne sagen?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich schätze mal, von 2008 auf 2009 haben wir
bei Neuvermietung zwischen 10 und 15 Prozent erhöht. Und da sind wir auch
drauf angewiesen. Alles wird teurer, und so ist es auch mit unseren
Handwerkern. Die Firmen, die wir hier beschäftigen, sind alles deutsche
Firmen mit fast ausschließlich deutschen Arbeitnehmern, und die wollen ja
auch nicht für dreifünfzig arbeiten.
Also war das Vermieten lange Zeit ein schlechtes Geschäft und jetzt wird es
wieder ein gutes?
Ja, jetzt ist es endlich wieder ein besseres Geschäft. Wenn Sie bedenken,
was hier an Altbausubstanz erhalten werden muss, dann muss man sehen,
zumindest für einen Teil der privaten Hausbesitzer ist das mehr ein Hobby.
Also ein Riesengeschäft ist das auf keinen Fall.
Aber das wird ja jetzt besser.
Ja, das macht sich schon bemerkbar. Wir haben jetzt auch angefangen, wieder
etwas zu investieren, die Haustüren anzustreichen. Demnächst wollen wir uns
an die Innenhöfe machen. Aber wenn wir jetzt nebenan das Haus aus den
50er-Jahren komplett sanieren - neue Isolierung, Fenster, Balkone,
Fernheizung und so weiter -, dann kostet das den Besitzer locker eine
Viertelmillion. Das hat er auch nicht so schnell wieder drin, selbst wenn
jetzt die Miete erhöht wird wegen Wohnwertverbesserung. Also reich kann man
damit nicht werden, nicht als kleiner Vermieter mit vier Häusern. Darum
arbeiten unsere Vermieter ja auch beide noch, damit überhaupt was übrig
bleibt. Zum Reichwerden muss man schon 500 Häuser haben.
Aber jetzt haben viele sogar schon Angst, dass sie aus dem Kiez verdrängt
werden, wenn die Mieten steigen. Können Sie das verstehen?
Na ja, in einem gewissen Umfang wird es natürlich schon eine Vertreibung
geben. Aber Neukölln war immer ein Arbeiterbezirk, und da wird nicht heute
oder morgen die Hautevolee hinziehen und die Preise in die Höhe treiben.
Und die Preise, die wir jetzt erhöhen und die vielleicht etwas höher sind
als normal, das können wir ja nur machen, wo wir neu vermieten. Ansonsten
sind wir ja an den Mietspiegel gebunden, und daran halten wir uns auch. Und
es wird ja nicht alles neu vermietet, es bleiben ja auch ein paar Leute
hier wohnen.
Sie meinen, so richtig schick wird Neukölln nie?
Als die Häuser hier vor 100 Jahren gebaut wurden, hätte man auch denken
können, dass hier wer verdrängt werden würde, denn die Wohnungen bekamen
sogar einen Dienstbotenaufgang! Aber der wurde nie benutzt. Das heißt, das
hier ist nie ein Bezirk geworden, in den unbedingt die Leute mit Geld
ziehen wollten. Und selbst wenn es jetzt hier entlang des Kanals etwas
teurer wird, dann bleiben immer noch 150.000 Wohnungen in Neukölln übrig
für die, die dort immer schon gewohnt haben. Also ich denke nicht, dass die
Gefahr der Vertreibung hier so groß ist.
Was für Menschen haben denn in Ihrer Kindheit in Neukölln gelebt?
Es war immer ein Arbeiterviertel, vielleicht einen kleinen Tick besser als
Wedding. Also kein reines Arbeiterviertel, sondern ein bisschen besser
durchmischt, auch Handwerker, kleinere Beamte im mittleren Dienst, zum
Beispiel bei der Polizei. Richtig große Probleme gab es hier jedenfalls
nicht. Ich bin ja in unsere jetzt in ganz Deutschland berühmte Rütli-Schule
gegangen, auf den technischen Zweig, mittlere Reife, da war alles ganz
normal. Da hat man sich mal gehauen, wenn einer einen Streich gemacht hat.
Aber da gab es nichts, wo man sagen müsste, oh Gott, da geht was krass
auseinander, oder man konnte nicht miteinander umgehen.
Und wann ging es dann bergab?
Das ist schwer zu sagen. Es fing irgendwann an, dass die kleinen Läden und
Geschäfte schließen mussten. In der Weichselstraße etwa gab es einen
Schuhmacher, da war es ganz dunkel, verräuchert, es roch immer nach Kleber
und Pech und alten Schuhen. Alle haben ihre Schuhe dahin gebracht, und er
konnte davon existieren. Aber so was gibt es eben nicht mehr. Irgendwann -
war das Anfang der 70er? - kamen Kaisers und Edeka und all die
Filialgeschäfte. Da konnten die Kleinen nicht mehr mithalten.
Und woher kommt jetzt der Aufstieg?
Kann ich auch nicht sagen. Dass wir in der ganzen Weichselstraße praktisch
keinen Laden mehr haben, der leer steht, wundert mich auch, das hätte ich
nie geglaubt. Hier ist ja ein Ding neben dem anderen, Galerie,
Künstlerladen, Raucherkneipe und dergleichen. Aber es ist ja auch so, wenn
es einmal anfängt, ein Laden macht auf, dann ist es wie eine Zelle, die
sich teilt, dann kommt der nächste und so weiter. Das finde ich auch schön.
Aber bei allem Reden vom Boom ist für viele Neukölln immer noch ein Synonym
für Problembezirk.
Es ist auch einer. Aber wenn Sie andere Großstädte nehmen, etwa im
Ruhrgebiet, wo auch ganz viel Arbeit weggebrochen ist, dann haben die
ähnliche Probleme wie wir hier. Ich finde es ganz schlimm, dass so viele
große Betriebe dichtgemacht haben, Siemens und Daimler, und BMW macht nur
noch die Hälfte, oder das Kabelwerk Oberspree. Dabei hatten sie doch
vorher, nach dem Mauerbau, so viele Ausländer hierher geholt zum Arbeiten.
Die sind alle in die günstigen Wohnungen gezogen, sie hatten ja oft eher
schlechte Jobs und konnten nicht viel zahlen. Als dann die Arbeit wegbrach,
fingen die Probleme an. Denn die sind natürlich hier geblieben und viele
haben es sich dann eingerichtet in der Arbeitslosigkeit mit dem Geld vom
Staat. Zwar weiß Gott nicht alle, aber so ist der Mensch ja nun mal. Sonst
hätte das ja auch geklappt mit dem Sozialismus.
Manche sagen, ein Problem sei auch, dass das Zusammenleben der Kulturen
nicht so funktioniert. Würden Sie dem zustimmen?
Ja, das ist auch ein Problem. Es gibt seit dem 11. September eine
zunehmende Angst vor dem Islam, beziehungsweise vor seinen extremen
Ausformungen. Außerdem haben sich zu viele der Migranten abgekapselt. Sie
bleiben unter sich. Dadurch sind zu viele Leute misstrauisch, weil sie
sagen, wir wissen ja nicht, was da ist. Aber natürlich kann man die
Probleme von Neukölln nicht allein an den Migranten festmachen, um Gottes
willen.
Was für Nationalitäten leben denn in den von Ihnen verwalteten Häusern und
wie funktioniert da das Zusammenleben?
Lassen Sie mich mal überlegen. Also, wir haben nur ein türkisches Ehepaar,
die wohnen aber schon seit 25 Jahren hier, dann gibts einen Spanier, zwei
Schotten, eine Zeitlang hatten wir finnische junge Leute. Ach so, einer
unserer Doktoren kommt aus Polen. Aber sonst haben wir eigentlich wenig
Migranten, noch nicht mal zehn Prozent.
Hatten Sie schon mal arabische Mieter? Es wohnen ja viele Araber hier in
der Gegend.
Nee, hatten wir noch nicht. Ich glaube, dass die Familien mit arabischem
Hintergrund lieber dort hinziehen, wo schon arabische Familien sind. In der
Sonnenallee zum Beispiel gibt es meines Wissens auch eine ganze Reihe
arabischer Hausbesitzer. Also gefragt hat bei mir noch keiner. Ich muss
aber zugeben, das wäre mir auch nicht so ganz angenehm. Wobei: Ehe ich
einem arabischen Mieter absagen würde, der mir und dem Vermieter angenehm
ist, eher würde ich einem Hundebesitzer absagen.
Das finden Sie noch schlimmer?
Das kommt überhaupt nicht in Frage. Also Hundebesitzer, nein!
Dabei sind Ihre Wohnungen sicher auch bei denen bestimmt besonders begehrt.
Sie haben am Weichselplatz einen schönen Spielplatz, es gibt ein
kinderfreundliches Café, einen Bio-Eisladen, Kindermodegeschäft. Manche
sagen, der Weichselplatz ist schon bald der Kollwitzplatz von Neukölln.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie am Kollwitzplatz,
zumindest ist den letzten 20 Jahren nicht. Darum weiß ich auch nicht, ist
das was Positives, was Negatives? Jedenfalls freue ich mich, wenn ich nach
Hause komme und sehe, dass das Café voll ist und überall Fahrräder stehen
und auf dem Spielplatz voller Betrieb ist. Diese Entwicklung ist schon
recht schön.
5 Jan 2010
## AUTOREN
Susanne Gannott
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