# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt (3): Gentrifizierung am Hackeschen Markt: … | |
> Rund um den Hackeschen Markt lässt sich ablesen, wohin Gentrifizierung | |
> führt. Inzwischen sorgen sich selbst Immobilienmakler um den Kiez. Große | |
> Ketten verdrängen kleine Geschäfte. Das Viertel verliert an Flair. | |
Bild: Düstere Stimmung am Bierhimmel: Kneipensterben an der Oranienstraße. | |
Im November musste auch Ursula Wünsch mit ihrer Spielzeugwerkstatt aus der | |
Mulackstraße ausziehen. Die Gestalterin war seit den 70er-Jahren im Kiez | |
verwurzelt. Damals war die Gegend rund um den Hackeschen Markt noch stille | |
Mauerrandlage mit verfallenden Altbauten. Wünsch hat hier mit Kindern | |
gearbeitet, neben dem Haus den "Wunschgarten" angelegt. Doch im Sommer | |
hatte der neue Hauseigentümer die Ladenmiete von 850 auf 2.500 Euro | |
verdreifacht - für 80 Quadratmeter in einer kleinen Seitenstraße. | |
Ihr Wegzug ging wesentlich stiller vonstatten als der des "Schwarzenraben" | |
gleich um die Ecke, in der Neuen Schönhauser Straße 13. Vor zwei Jahren | |
machte das Luxus-Prominenten-Lokal zu und Platz für einen exklusiven | |
"Urbanwear-Store". Und plötzlich wurde heiß Verdrängung am Hackeschen Markt | |
debattiert: Zeitungen brachten lange Trauerartikel, und selbst konservative | |
Bezirkspolitiker, die das Wort "Verdrängung" jahrelang lachhaft gefunden | |
hatten, wenn es um altansässige Mieter ging, zeigten sich nun besorgt. Bang | |
wurde gefragt, ob jetzt die vielen Restaurants den großen Modelabels | |
weichen müssen. | |
Die Neue Schönhauser Straße 13 steht exemplarisch für den radikalen Wandel | |
vom Arbeiterquartier zum hochgeziegelten Kommerzviertel: Ironischerweise | |
hatte sich dort ursprünglich um 1900 im Erdgeschoss ein Volkskaffeehaus | |
befunden, in dem die Ärmsten eine billige warme Mahlzeit erhielten. Nach | |
dem Mauerfall kaufte der Hamburger Investor Harm Müller-Spreer das Haus und | |
vermietete die einstige Speisehalle an den Clubbetreiber Dimitri Hegemann, | |
der den "Schwarzenraben" etablierte. | |
Der Aufwertungsprozess des Gebiets binnen nur 20 Jahren war klassisch: Erst | |
kamen Kulturszene, Clubs und Galerien, dann Touristen, Investoren und jede | |
Menge Restaurants. Die Grundstückspreise und Mieten stiegen drastisch. Doch | |
damit war die Spirale noch nicht am Ende: Avantgarde-Modelabels | |
profilierten die Alte und Neue Schönhauser als Shoppingmeile, die in jedem | |
Reiseführer stand. Ihnen folgten schnell die großen Marken. | |
Statt Bäcker, Künstlerbedarf und Themenbuchhandlung gibt es nun Adidas, | |
Lacoste, Boss, Swatch, Starbucks, H&M. Laut einer Studie des | |
Immobilienbüros Engel & Völkers verdoppelten sich allein zwischen 2005 und | |
2007 die durchschnittlichen Ladenmieten rund um den Hackeschen Markt von | |
rund 50 auf 100 Euro pro Quadratmeter: Das Viertel sei der am stärksten | |
boomende Berliner Einzelhandelsstandort und habe sich mit Hotels, | |
Gastronomie und Mode zur touristischen "Shopping-Destination" entwickelt. | |
Etwas pikiert merkten die Immobilienexperten jedoch an, dass die "Toplagen" | |
hier und da noch "beeinträchtigt" seien, und zwar durch Gewerbemieter der | |
städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte, wie eine Physiotherapie oder | |
einen Metallbaubetrieb, "die eigentlich nicht mehr zum Niveau der Straße | |
passen". | |
Inzwischen liegen Spitzenmieten bereits bei 110 bis 160 Euro pro | |
Quadratmeter: Mit den großen Ketten, die sich Flagship-Stores in 1a-Lagen | |
viel kosten lassen, können kleinere Gewerbetreibende nicht mehr mithalten. | |
Dem Image entsprechend hat sich auch das soziale Milieu verändert: Junge, | |
überdurchschnittlich verdienende Akademiker haben die einstige | |
Bewohnerschaft weitgehend abgelöst. Etwa die Hälfte der jetzigen Anwohner | |
ist erst in den letzten sechs Jahren zugezogen und war bereit, eine Menge | |
Geld in die 1a-Lage zu investieren. Der Anteil an Eigentumswohnungen | |
steigt, für 1 Quadtratmeterpreis ab 3.000 Euro. Bei Neuvermietungen werden | |
um die 10 Euro nettokalt gezahlt. Um Altmieter loszuwerden, bieten | |
Eigentümer bis zu 2.000 Euro je Quadratmeter als Ablöse. | |
Dass dennoch immerhin noch ein Zehntel der Anwohner schon länger als 15 | |
Jahre hier lebt, liegt zum einen an den hiesigen Plattenbauten, in die | |
Gutverdiener nicht unbedingt ziehen wollen. Zum anderen daran, dass in dem | |
Viertel, das Anfang der 90er zum Sanierungs- und Denkmalschutzgebiet | |
erklärt worden war, ein Teil der Häuser mithilfe von Förderprogrammen | |
saniert wurde. Das Geld vom Land Berlin gab es aber nur, wenn die | |
Hauseigentümer Mieterschutzklauseln akzeptierten. Vor allem Leute mit | |
kleineren Einkommen leben in solchen Wohnungen. Doch diese | |
Mietpreisbindungen warne meist auf 15 Jahre begrenzt. Sie laufen nun nach | |
und nach aus. | |
Jan Bauditz hat längst keine Illusionen mehr. Der Architekt wohnt seit 28 | |
Jahren im Gebiet. 1989 hatte er zusammen mit anderen die Alte Schönhauser | |
14/15 besetzt und eine Genossenschaft gegründet. Aber der Versuch, das | |
Gebäude in Selbsthilfe zu sanieren, scheiterte an ungeklärten | |
Eigentumsverhältnissen. Heute gehört auch dieses Haus Müller-Spreer, der | |
sich seit 1990 quer durchs Viertel kauft. Dessen Aufwertung hat Bauditz | |
nicht überrascht. "Mir hat mal ein Gastwirt gesagt, Mitte sei schließlich | |
für die vergnügungswilligen Besucher da." Die vielen Schuh-, Designer- und | |
Modeläden habe er allerdings nicht erwartet. | |
Auch Simone Motzkus, die im Jahr 2000 aus dem Westen herzog und ein | |
ambitioniertes Geschäft für Kindersachen eröffnete, findet den Wandel | |
inzwischen bedenklich. "Die Mieten explodieren. Die kleinen, individuellen | |
Geschäfte, die das Viertel erst attraktiv gemacht und den Marktwert | |
gesteigert haben, müssen gehen." | |
Das rasante Umkippen verunsichert nicht nur sie. Denn das Viertel am | |
Hackeschen Markt wandelte sich vom Avantgardegebiet über die | |
Kneipenmonokultur und die Luxusaufwertung hin zum Ziel für Massentourismus. | |
Immer mehr Billighostels und Hotels entstehen, allein vier entlang der | |
Rosenthaler Straße. Nächtlicher Sauftourismus, Starbucks und H&M wirken | |
nicht sonderlich avantgardistisch. | |
Harm Müller-Spreer sieht die Entwicklung sportlich. Er hat die Zentrale des | |
Softwareentwicklers SAP sowie diverse Modemacher in den Kiez hergeholt. | |
Dass sein einstiges Stammlokal Schwarzenraben schließen musste, kommentiert | |
er trocken: "Die waren halt pleite." Insgesamt sei das eben eine 1a-Lage. | |
"Die funktioniert jetzt erst richtig. Der Hackesche Markt wird | |
kontinuierlich weiter aufgewertet." Die Analysten von Engel&Völkers hatten | |
immerhin schon vor zwei Jahren eine dunkle Ahnung des nahenden Dilemmas: | |
"Die Zunahme von kommerziellen Anbietern und Markenunternehmen führt jedoch | |
zur Verdrängung von Kultur- und kleinen Gewerbetreibenden, die maßgeblich | |
für das Image des Quartiers verantwortlich sind." Das sei selbst für | |
Immobilienhändler ziemlich blöd, weil die kommerziellen Anbieter ja erst | |
wegen der attraktiven, "interessanten Mischung aus Kultur, Handwerk, | |
Kommerz und Wohnen" hierherkamen. | |
"Monokultur" klagt nun Exkneipenchef Dmitri Hegemann - und meint damit, | |
dass die Kneipenmonokultur von großen Modefirmen verdrängt wird. Ursula | |
Wünschs Spielzeugwerkstatt ist in die Greifswalder Straße umgezogen. In | |
ihrem einstigen Laden gibt es jetzt - nun ja, Klamotten. | |
IMMOBILIENENTWICKLER | |
HARM MÜLLER-SPEER | |
30 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Steglich | |
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