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# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt" (1): Kein Herz für Mieter
> Alle reden in Berlin von steigenden Mieten und von Verdrängung. Nur nicht
> der Senat. Das hat vor allem mit der Berliner SPD zu tun. Auftakt einer
> neuen taz-Serie.
Bild: Bärig schön, aber sauteuer: Altbauten im schick sanierten Prenzlauer Be…
Wenn ein Politiker zum Hintergrundgespräch lädt, steht in der Regel
Gewichtiges an. Nicht so bei Hella Dunger-Löper (SPD). Im September lud die
Staatssekretärin für Wohnen einige Journalisten zu sich - tags davor war
wieder eine Studie erschienen, die ergab, dass das Wohnen in Berlin teurer
wird. Doch Dunger-Löper wollte lieber über den "Tag des offenen Denkmals"
sprechen. Teure Mieten und Verdrängung? "Das sehe ich nicht so". Damit war
das Thema erledigt.
Vielleicht ist diese Begebenheit symptomatisch für den Umgang des Senats
mit den Berliner Mietern. Immer wieder hat sich die SPD auf die Schulter
geklopft - und auf den "Mietermarkt" verwiesen. Nicht der Vermieter, soll
das heißen, hat die Qual der Wahl, sondern der Mieter.
Lange Zeit stimmte das sogar. Gleich nach der Wende hat die große Koalition
die sogenannten Vorstädte in Karow-Nord, Französisch-Buchholz oder
Altglienicke aus dem Boden gestampft. Insgesamt wurden nach der Wende in
Berlin mehr als 120.000 Wohnungen neu gebaut, viele davon Sozialwohnungen.
Das entspricht bei einem Bestand von knapp 1,9 Millionen Wohnungen immerhin
einem Anteil von 6,3 Prozent.
Hinzu kam die Stadterneuerung. Schon nach zehn Jahren waren in den ab 1993
festgelegten 22 Sanierungsgebieten 41.000 Wohnungen modernisiert worden.
Von den 270.000 Plattenbauwohnungen ist bereits jede neunte saniert. Und
dann ist da noch der Speckgürtel. Zwischen 1990 und 2000 hat Berlin 150.000
Einwohner an das Umland verloren. Nicht alle sind der Versuchung der
"Renaissance der Innenstadt" erlegen und zurückgekehrt.
Und dennoch. Es wird eng - vor allem im Geldbeutel. Namentlich bei
Neuvermietungen steigt die Miete und damit, Jahr für Jahr, auch der
Mietspiegel. In Lichtenberg oder Lichtenrade gibt es noch bezahlbare
Wohnungen, in der Innenstadt sind sie immer schwerer zu kriegen.
Dennoch weigert sich der Senat, der Realität ins Auge zu blicken. Würde er
für einzelne Bezirke eine sogenannte Mangellage einräumen, könnten
Neuvermietungsmieten nach Wirtschaftsstrafrecht begrenzt werden.
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) verweist aber lieber
auf den Leerstand in der Stadt. Nicht nur der Mietermarkt ist ein Phantom,
wie der ehemalige Mietervereinschef Hartmann Vetter sagte. Ein Phantom ist
auch die Mieterpartei SPD.
Zwar räumen auch die Grünen ein, dass der politische Spielraum auf
Landesebene begrenzt ist. Was den grünen Wohnungspolitiker Andreas Otto
aber ärgert, ist die Taktiererei der SPD. "Als sie im Bund mit Wolfgang
Tiefensee den Bauminister stellte, hat die Berliner SPD alle Anträge
abgelehnt, das Thema Neuvermietung in den Bundesrat zu bringen", schimpft
Otto. Erst jetzt, in der Opposition gegen den CSU-Bauminister, mache die
SPD mit. "Dabei haben sich die Bedingungen grundsätzlich verschlechtert."
Dennoch wollen die Grünen die Berliner SPD nicht aus der Pflicht nehmen.
Demnächst will Otto einen Antrag ins Abgeordnetenhaus einbringen, der die
sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verpflichtet, bei
Neuvermietungen den Mietspiegel einzuhalten: "Die Wohnungsbaugesellschaften
sind das einzige Instrument, das wir haben", so Otto.
Das Mietrecht auf der einen, die Mietwirklichkeit auf der anderen Seite.
Das ist eine Schieflage, die sich zunehmend bemerkbar macht. "Ich staune,
wie wenig gegen Projekte wie das Palais Kolle Belle oder Marthashof
protestiert wird. Dass es nicht mal mehr jemanden gibt, der einen
Farbbeutel wirft, das finde ich erstaunlich." Dieses Zitat stammt nicht aus
der Autonomenzeitschrift Interim, sondern von Matthias Klipp, Exbaustadtrat
in Prenzlauer Berg und heute Stadtbaurat in Potsdam. Es ist vor allem die
Angst vor Verdrängung in Prenzlauer Berg, Kreuzberg oder Friedrichshain,
die Klipp anspricht. Diese Angst teilen viele. Nur nicht der Berliner
Senat.
Immerhin: Dem Koalitionspartner der SPD schwant inzwischen, dass in einer
Stadt, in der 87 Prozent zur Miete wohnen, die Mietenpolitik zum Thema
soziale Gerechtigkeit gehört. Schon während der Koalitionsverhandlungen
hatte die Linkspartei darauf bestanden, keine weitere
Wohnungsbaugesellschaft zu verkaufen. Nun will der neue Fraktionschef Udo
Wolf der SPD etwas unter die Arme greifen. "Wenn auch einkommensschwächere
Menschen eine Chance haben sollen, in der Innenstadt zu wohnen", sagt Wolf,
"müssen wir mit den Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften und
Mieterverbänden in eine neue Diskussion eintreten."
Linke und Grüne sind sich in diesem Falle einig. Die Frage ist nur: Will
das auch die SPD? Jene Partei, die ihre Politiker am Ende ihrer Karriere
gerne auch an die städtischen Wohnungsbaugesellschaft abgibt und auch
deshalb nicht weiß: Ist sie eine Partei der Mieter oder eine Partei der
Wohnungsbaugesellschaften? Im Bundesrat nämlich hat die Berliner SPD
gefordert, dass jeder Vermieter einen Energieausweis vorlegt. Einen Antrag
der Grünen, der auch die Berliner Wohnungsbaugesellschaften dazu
verpflichtet, lehnte sie ab.
Auch Hella Dunger-Löper sollte eigentlich aus der Politik entschwinden.
Weil ihr aber zwei Stimmen für den Job als Chefin des Rechnungshofs
fehlten, ist sie weiter im Amt der Staatssekretärin für Wohnen. Seit dem
Hintergrundgespräch im September hat man von ihr in dieser Funktion nichts
mehr gehört.
18 Dec 2009
## AUTOREN
Uwe Rada
Uwe Rada
## TAGS
Schwarz-rote Koalition in Berlin
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