Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte um Wohnungsknappheit: Zynische Vorschläge
> Die Immo-Lobby will Quadratmeterobergrenzen für Mieter, zerstört hat
> sie den Markt selbst. Doch wohnen ist jetzt schon beengt.
Bild: Platz ist in der kleinsten Hütte
Maren Kern, Chefin des Verbands Berlin-Brandenburgischer
Wohnungsunternehmen, hat Chuzpe. Die Lösung, die der Lobbyistin der
Wohnungswirtschaft für die in Großstädten akute Wohnungsnot eingefallen
ist, lautet zugespitzt: Der mietende Pöbel soll halt den Gürtel ein
bisschen enger schnallen. Kern forderte in einem Zeit-Interview ernsthaft
eine Begrenzung der Quadratmeterzahl pro Person – mutmaßlich gemütlich aus
einem Einfamilienhaus mit großem Garten und hohem Zaun heraus. Zynischer
geht’s kaum.
Denn Maren Kern ist als Berlins Oberlobbyistin der Immo-Wirtschaft
natürlich vollkommen klar, dass private Wohnungsfirmen und die in ihrem
Verband organisierten Aktienunternehmen in erster Linie dafür
verantwortlich sind, dass der Wohnungsmarkt kaputt ist. Selbst wer sich
verkleinern will, kann in Berlin wegen explodierter Mietpreise kaum aus
seiner Wohnung ausziehen, weil man dann halt einfach mal das Doppelte für
weniger Wohnraum zahlt. Ganz zu schweigen davon, wie eine solche Forderung
wohl bei den [1][8,5 Millionen Menschen ankommt], die unter überbelegten
Wohnverhältnissen leiden. Und man [2][darf zu Recht fragen], wer denn
eigentlich die Omi aus der 50-Quadratmeter-Wohnung zwangsräumen wird, wenn
der Opi gestorben ist. Macht das Maren Kern dann persönlich?
Das Einzige, was sich angesichts dieses abstrusen Vorstoßes wohl seriös
fordern lässt, ist eine Obergrenze für zynische Vorschläge – und dass
kommunale Wohnungsunternehmen schnellstens aus diesem Verband austreten
sollten.
Und als wäre das noch nicht genug Unsinn für eine Woche Wohnungspolitik,
kommt auch noch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert um die Ecke und haut
wohnungssuchenden Mieter*innen ohne viel Kohle noch mal ordentlich in
die Fresse. Oder wie sonst ist es zu verstehen, wenn Kühnert zwar im
Tagesspiegel-Podcast Krokodilstränen über die schwierige Wohnungssuche in
Berlin vergießt und dafür quasi noch mit einer Wohnungsgratisanzeige im
Spiegel belohnt wird?
Wenigstens kann der bestens vernetzte Kühnert, der mit einem monatlichen
Abgeordnetensalär von mehr als 10.000 Euro angeblich binnen eines Jahres
keine Wohnung gefunden hat, seine erfolglose Suche [3][populistisch
ausschlachten]. Anderen bleibt nur Angst vor Mieterhöhungen, Rausschmiss
oder Wohnungslosigkeit.
## Kaputte Wohnungsmärkte und hohe Mietpreise
Hinzu kommt, dass die SPD als Kanzlerpartei nicht zuletzt selbst etwas
gegen kaputte Wohnungsmärkte und hohe Mietpreise tun könnte. Und
selbstverständlich könnte die SPD mit Franziska Giffey in Berlin den
erfolgreichen Volksentscheid für die Vergesellschaftung von privaten
Wohnungskonzernen umsetzen. Stattdessen gibt es weiterhin keine wirksamen
Preisregulierungen und eine langwierige Enteignungskommission, deren von
[4][der SPD entsandte Mitglieder schwer nach Sabotage aussehen]. Dann muss
man sich auch nicht über Eierwürfe wundern.
Die Konsequenz des wohnungspolitischen Stillstands ist sozialer Druck auf
alle, die deutlich weniger als Maren Kern, Kevin Kühnert und Franziska
Giffey verdienen. Dazu werden und wurden wirksame Mietpreisregulierungen
von CDU, FDP und Immobilienlobby weggeklagt oder bis zur Unkenntlichkeit
verwässert. Selbst die Reform des [5][kommunalen Vorkaufsrechts], das bei
aller Liebe ein sehr komplexes und nur punktuell wirksames sowie letztes
Mittel der Gegenwehr gegen den Ausverkauf der Städte ist, [6][steht dank
der FDP wieder zur Debatte]. Ganz zu schweigen von mal im Wahlkampf
[7][versprochenen regionalen Mietenstopps].
Natürlich aber braucht es angesichts eines kaputten Wohnungsmarkts wie in
Berlin, dessen Währung auf der einen Seite Rendite und auf der anderen
Seite menschliche Verzweiflung ist, gute Vorschläge für Lösungen. Die
Wohnungswirtschaft hat mit dem jüngsten Vorstoß wieder einmal gezeigt, dass
sie nichts dazu beitragen will. Lösungen kann man offenbar nicht mit ihr
umsetzen, sondern nur gegen sie: Wohnungstauschportale, die Mieterhöhungen
ausschließen und Fluktuation am Wohnungsmarkt wiederbeleben könnten, wären
so eine Idee.
Oder funktionierende Preisregulierungen und Vergesellschaftung. Und warum
eigentlich soll nur ein Viertel des geplanten Neubaus sozialgerecht sein?
Warum entstehen derzeit an der Spree so viele für SPD-Generalsekretäre
taugliche Penthouses, aber keine günstigen Wohnungen? Und warum werden ein
paar Meter weiter Obdachlose vertrieben, um Hotels mit Aquarium zu bauen?
Aber wer weiß, vielleicht brauchen wir auch einfach eine Obergrenze. Dann
aber bitte für [8][Eigentumswohnungen pro Person].
5 May 2022
## LINKS
[1] https://www.fr.de/politik/millionen-menschen-deutschland-zu-wenig-wohnraum-…
[2] https://twitter.com/terrorsaitan/status/1521853551630331904
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-kevin-kuehnert-sucht-seit…
[4] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!5840468
[5] /Gekipptes-Vorkaufsrecht-bei-Immobilien/!5810896
[6] /Mietenkrise-und-Verdraengung/!5847825
[7] /Mietendeckel-und-Wohnungsmarkt/!5794613
[8] https://twitter.com/retep_kire/status/1521852825302708228
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Wohnen
Wohnraum
SPD
Kevin Kühnert
Franziska Giffey
GNS
Vorkaufsrecht
Mietendeckel
Genossenschaften
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mietenkrise und Verdrängung: Liberale Blockade
Bauministerin Klara Geywitz will das Vorkaufsrecht der Kommunen neu regeln,
um den Mieterschutz zu stärken. Doch die FDP will lieber weiter prüfen.
Mietpreise in Berlin weiter gestiegen: Wohnen wird immer teurer
Die Angebotsmieten in Berlin stiegen 2021 auf durchschnittlich 10,55 Euro
pro Quadratmeter, heißt es im Wohnungsmarktbericht der IBB. Weniger Neubau.
Stadtplanerin über Wohnprojekte: „Meistens geht's um Kosten“
Zusammen wohnen, aber wie? Baugemeinschaft, Genossenschaft oder
Miethäusersyndikat? Stadtplanerin Ulrike Pelz erklärt die Vor- und
Nachteile.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.