# taz.de -- Springer verklagt Julian Reichelt: Sein Chatverlauf vor Gericht | |
> Der Springer-Verlag verlangt von Ex-"Bild"-Chefredakteur Reichelt 2 | |
> Millionen Euro Abfindung zurück. Bei Gericht zeigt sich, worüber | |
> gestritten wird. | |
Bild: Bekam 2 Millionen Euro, damit er geht und die Klappe hält: Ex-Bild-Chef … | |
BERLIN taz | Julian Reichelt war bis Oktober 2021 Chefredakteur bei Bild, | |
dann hat Bild ihn im Zusammenhang mit dem Machtmissbrauchs-Skandal | |
freigestellt. Über die Abwicklung der Trennung wird seit April heftig | |
gerungen. Am Freitag trafen sich Reichelt und der Springer-Verlag nun auch | |
vor Gericht in Berlin. | |
[1][Ausgelöst wurde die Reichelt-Affäre] durch den Vorwurf, er habe seine | |
Machtstellung als Chefredakteur missbraucht. Immer wieder soll Reichelt | |
junge, von ihm beruflich abhängige Kolleginnen gefördert und [2][zugleich | |
in sexuelle Beziehungen verstrickt haben]. Manche von ihnen leiden darunter | |
bis heute. | |
Springer führte deshalb im Frühjahr 2021 ein Compliance-Verfahren durch, | |
bei dem eine Anwaltskanzlei die Frauen anhörte. [3][Zur Kündigung Reichelts | |
kam es aber erst im Oktober 2021]. Begründung: Reichelt habe wiederholt | |
Vorgesetzte darüber belogen, dass er eine private Beziehung im Unternehmen | |
fortführte. | |
Um zu verhindern, dass Reichelt eine Kündigungsschutzklage erhebt, wurde | |
mit ihm ein Abwicklungsvertrag geschlossen. Für den Klageverzicht wurde | |
Reichelt eine Abfindung von zwei Millionen Euro versprochen. Als | |
Nebenpflichten sah der Vertrag außerdem vor, dass Reichelt keine | |
Bild-Mitarbeiter:innen abwerben darf und dass er Vertraulichkeit zu wahren | |
hat. Zudem müsse Reichelt unternehmensbezogen Dateien löschen und | |
Unterlagen zurückgeben. | |
Formal blieb Reichelt noch ein Jahr lang bis Ende Oktober 2022 | |
Bild-Mitarbeiter, auch wenn er nicht mehr für Bild arbeiten durfte. Auch | |
die Abfindung sollte erst im November 2022 ausbezahlt werden. Da Springer | |
den Verdacht hatte, Reichelt biete anderen Medien Interna aus dem Verlag | |
an, musste er vor der Auszahlung am 3. November noch einmal versichern, | |
dass er alle Dateien gelöscht und Dokumente zurückgegeben hat. | |
Bei dieser Zusicherung habe Reichelt die Unwahrheit gesagt, wirft ihm | |
Springer jetzt vor. Denn am 15. April 2023 hatte Reichelt dem Verleger der | |
Berliner Zeitung, Holger Friedrich, vertrauliche Dokumente angeboten, die | |
er eigentlich nicht mehr haben dürfe. [4][Friedrich informierte damals | |
sofort Springer] (was ihm ein [5][Verfahren vor dem Presserat wegen | |
mangelndem Quellenschutz] einbrachte). | |
## Springer klagt, Reichelt klagt zurück | |
Springer aber verklagte Reichelt sofort vor dem Arbeitsgericht Berlin auf | |
Rückzahlung der Abfindung von zwei Millionen Euro. Außerdem verlangt der | |
Verlag 191.000 Euro Vertragsstrafe, weil er gegenüber Friedrich die | |
vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen habe und weil er vier | |
Bild-Mitarbeiter:innen für sein neues Unternehmen Rome Media abgeworben | |
habe. | |
Parallel stellte Springer im April eine Strafanzeige wegen Betrugs gegen | |
Reichelt. Dieser habe bei seiner Zusicherung im November 2022 Springer | |
getäuscht und so die Auszahlung der Abfindung veranlasst, die Springer | |
sonst zurückbehalten hätte. Inzwischen läuft ein Ermittlungsverfahren gegen | |
Reichelt. | |
Reichelt seinerseits hat gegen Springer vor dem Arbeitsgericht eine | |
Widerklage erhoben, bei der er zunächst nur Auskunft darüber verlangt, | |
welche Informationen der Verlag im Zuge des Compliance-Verfahrens von den | |
betroffenen Frauen über ihn gesammelt hat. Nur so könne er sich gegen den | |
fortdauernden „Reputationsschaden“ wehren. | |
Soweit die Vorgeschichte. | |
## Verhärtete Fronten vor Gericht | |
Im Gütetermin beim Arbeitsgericht Berlin sollte es am Freitag eigentlich um | |
eine gütliche Einigung gehen. Doch Richterin Anke Weyreuther hatte wenig | |
Hoffnung: „Das Gericht hat keinen Vorschlag mitgebracht.“ | |
Tatsächlich machte dann auch nur Reichelts Anwalt Stephan Pötters einen | |
Vorschlag: beide Seiten könnten ihre Klagen zurücknehmen, wenn Reichelt | |
zumindest in Umrissen erfährt, was ihm konkret vorgeworfen werde. Doch | |
Springer-Anwalt Christian Hoefs lenkte nicht ein: „Wir vertrauen darauf, | |
dass wir mit der Klage Erfolg haben.“ | |
Dennoch wurden in der rund einstündigen Verhandlung die wesentlichen | |
Argumente ausgetauscht. Reichelts Anwalt Pötters betonte, dass sein Mandant | |
keine Pflichten verletzt habe. Dem Verleger der Berliner Zeitung habe er | |
nur den Chatverlauf mit seiner Ex-Geliebten Johanna G. vorgelegt, mit dem | |
er beweisen will, dass er keinen „Sex on demand“ gefordert habe, sondern | |
die Initiative in der fraglichen Situation von ihr ausging. Der Chatverlauf | |
sei aber nicht von seinen Löschungspflichten erfasst, weil es sich um | |
private Daten handele. | |
Außerdem habe Springer gewusst, dass er den Chatverlauf noch habe, schon | |
deshalb habe er den Verlag darüber nicht täuschen können, so Anwalt | |
Pötters. Schließlich habe Springer Reichelt ausdrücklich aufgefordert, den | |
Chatverlauf nicht zu löschen, damit sich der Verlag besser gegen eine Klage | |
G.s in den USA verteidigen kann. Auch Springer-Chef Matthias Döpfner habe | |
Reichelt aufgefordert, den Chatverlauf „sehr sorgfältig zu dokumentieren“, | |
damit er gegenüber anfragenden Medien wie der englischen Times „auspacken“ | |
könne. | |
Springer-Anwalt Hoefs wies jedoch darauf hin, dass Reichelt neben diesem | |
Chatverlauf auch andere eindeutige unternehmensinterne Dokumente | |
weitergeben habe. Reichelt-Anwalt Pötters sieht aber auch hier keine | |
Täuschung Springers, schließlich sei Reichelt bis Oktober 2022 Mitglied | |
einer Chat-Gruppe mit Springer-Führungskräften gewesen, in der über den | |
Umgang mit den Vorwürfen diskutiert wurde. | |
## War die Bild zu woke? | |
Pötters glaubt auch, die Abwerbevorwürfe entkräften zu können. So habe Ralf | |
Schuler – einst Leiter des Bild-Parlamentsbüros, heute bei Rome Media – | |
öffentlich erklärt, warum er bei Bild kündige. Er hielt das Springer-Blatt | |
für zu „woke“ sei, es biedere sich zu sehr an die Queer-Bewegung an. Da | |
habe Reichelt offensichtlich nicht abwerben müssen. Hier konterte | |
Springer-Anwalt Hoefs nur vage: Man müsse jeden Einzelfall individuell | |
ansehen. | |
Was für Springer auf keinen Fall in Betracht komme, so Hoefs, sei die | |
Herausgabe der Unterlagen aus dem unternehmensinternen Compliance-Verfahren | |
gegen Reichelt, man müsse Hinweisgeber:innen im Gegenteil schützen. | |
Reichelts Anwalt Pötters sah hier durchaus Kompromissmöglichkeiten, etwa in | |
dem die Namen geschwärzt werden. | |
Bis zu einer Entscheidung dürfte es noch dauern. Das Verfahren vor dem | |
Arbeitsgericht wird erst am 15. November weitergehen. Dann werden | |
möglicherweise erste Zeug:innen gehört. | |
9 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Reichelt-gegen-Springer/!5936465 | |
[2] /Reichelt-Affaere-bei-der-Bild-Zeitung/!5880568 | |
[3] /Abgesang-auf-Julian-Reichelt/!5806003 | |
[4] /Julian-Reichelt-ohne-Quellenschutz/!5928936 | |
[5] /Presserat-tagt-zu-Zeit-und-Friedrich/!5935416 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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