| # taz.de -- Soziologe über Sterbekulturen: „Sterben wird immer riskanter“ | |
| > Es wird nicht mehr einfach so gestorben, sagt der Soziologe Werner | |
| > Schneider. Der Tod wird als Prozess gestaltet. Das „gute Sterben“ ist | |
| > aber nicht für alle verfügbar. | |
| Bild: Soziale Unterschiede bestimmen nicht nur das Leben, sondern auch den Tod | |
| kirchentaz: Wo fängt aus soziologischer Perspektive das Sterben an? | |
| Werner Schneider: Im Alltagsverständnis wird das Sterben als körperlicher | |
| Prozess verstanden. Soziologisch gesehen ist das Sterben primär als | |
| sozialer Prozess zu sehen, der gesellschaftlich gestaltet wird. Beim | |
| Sterben geht es um die Ausgliederung eines Menschen. Kollektiv muss man | |
| sich bewusst machen, dass einer die Gruppe unwiederkehrlich verlässt. Es | |
| geht darum, eine neue Situation, eine gemeinsame Alltagswirklichkeit | |
| herzustellen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass jetzt ein bedeutsamer | |
| Anderer nicht mehr dabei ist. | |
| In Ihrem Vortrag am Freitag geht es um Sterbekulturen – im Plural. | |
| Inwiefern gibt es in Deutschland mehrere Kulturen des Sterbens? | |
| Es gibt nicht nur verschiedene Sterbekulturen, sondern auch | |
| unterschiedliche Sterbewelten. Sterben wird mittlerweile immer riskanter. | |
| Es wird nicht mehr einfach so gestorben, sondern der Prozess des Sterbens | |
| wird gestaltet und damit kann die Sache mal mehr und mal weniger gut gehen. | |
| Wir reden heute von einem „guten Sterben“. Es soll würdevoll sein, | |
| selbstbestimmt, möglichst schmerzfrei und gut versorgt. Die Gestaltung | |
| dieses „guten Sterbens“ differenziert sich immer weiter aus. Mittlerweile | |
| sind schon allein durch den Wohnort ganz unterschiedliche Sterbekulturen in | |
| Reichweite. Oder eben auch nicht. Gibt es eine Palliativstation? Wie | |
| spezialisiert ist der Pflegedienst? Gibt es ehrenamtliches Engagement? In | |
| unserer Gesellschaft wird also ganz unterschiedlich gestorben. | |
| Wie stehen die unterschiedlichen Sterbekulturen im Zusammenhang mit | |
| sozialer Ungleichheit? | |
| Die sozialen Unterschiede, die schon das ganze Leben bestimmen, verlängern | |
| sich bis zum letzten Atemzug. Es gibt diverse Zugangshürden, was die ganze | |
| Problematik von Versorgung, Betreuung und Vollmacht mit einschließt. Durch | |
| diesen Formularkrieg muss man sich erst mal durchkämpfen. Das braucht | |
| Kompetenzen. Wenn man sich das alles im Kleinen anschaut, deutet vieles | |
| darauf hin, dass das „gute Sterben“ nicht so ohne Weiteres für alle | |
| verfügbar ist. | |
| Kann ich auch innerhalb meines Lebens von einer zur nächsten Sterbekultur | |
| wechseln? Angenommen, ich bin christlichen Praktiken verpflichtet, mache | |
| dann aber die Erfahrung, dass ein Kind stirbt, was mich an der Güte Gottes | |
| zweifeln lässt. | |
| Es ist plausibel, anzunehmen, dass eine solche Grenzerfahrung die Abkehr | |
| vom Glauben nach sich zieht, ich meine Sterbenskultur verlasse. Genauso ist | |
| aber auch die umgekehrte Richtung denkbar . Es kann also genauso passieren, | |
| dass jemand durch eine solche außerordentliche Erfahrung in eine religiöse | |
| Vertiefung hineinkommt. | |
| Nun tummeln sich auf dem Kirchentag sehr viele junge Menschen. Ist das | |
| Thema des Sterbens aus Ihrer Sicht auch für junge KirchentagsbesucherInnen | |
| interessant und wichtig? | |
| Ich bin nicht der Meinung, dass wir uns alle möglichst viel mit dem Sterben | |
| beschäftigen müssen. Es ist eine der großen Errungenschaften des 20. | |
| Jahrhunderts, dass wir das eben nicht tun müssen. Wir werden ja recht alt | |
| und wir können unser ganzes langes Leben in einer alltäglichen Haltung | |
| potenzieller Unsterblichkeit leben. Aber natürlich sind auch junge Menschen | |
| mit dem Sterben konfrontiert. In unserer Gesellschaft wird ja permanent | |
| gestorben. Dass wir mit dem Tod von anderen konfrontiert sind, zieht sich | |
| durch alle Alterstufen. Dass sich jetzt immer alle Leute mit ihrer eigenen | |
| Sterblichkeit beschäftigen sollten, wäre die falsche Richtung. | |
| 26 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Malina Günzel | |
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