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# taz.de -- Zweisamkeit auf dem Kirchentag: Gespürte Liebe und kein Gequatsche
> Anmachsprüche, hier? Der Kirchentag verspricht viel Offenheit und
> reichlich Flirts. Passen Sexualität und Glauben zusammen?
Bild: Es wird heftig angefasst auf dem Kirchentag
Du siehst mich – und das womöglich als potenzieller Sexualpartner. Auch der
erotisch konnotierte Blick spielt auf dem Kirchentag eine Rolle. Mehr noch:
Es wird in der „Abendreihe Flirten“ ausdrücklich dazu angeregt.
Während der Veranstaltung „Wenn du mich anblickst, werde ich schön“ wande…
flirtende Blicke durch den Saal. Ob das wohl an der „Blick-La-Ola“ liegt?
Blick-La-Ola, das heißt: Der erste schaut den Menschen auf seinem
Nebenplatz an und sagt: „Schön.“ Als Antwort kommt ein „Dich zu sehen“
zurück. Das wird so lange durchgezogen, bis jeder einmal an der Reihe war
und alle froh zu sein scheinen, sich zu sehen.
Schön. Klappt ja ganz famos – hier auf dem Kirchentag. Aber im Leben? Wenn
sich zwei Menschen im Alltag begegnen, gibt es häufig
Blick-Missverständnisse. Da wird zu kurz geschaut, zu langsam reagiert, da
sind große Zweifel.
„Pfff, die wollen mir das Flirten beibringen. Das ist mir alles zu
verkopft.“ Holger Marten verlässt sichtlich genervt und zugleich belustigt
die Veranstaltung. „Das ist ja immer eine 50:50-Chance: Ich spreche eine
potenziell nette Frau an, dann stimmt entweder die Chemie oder eben nicht.“
Wenn ein erster Blickkontakt zu einem ausgedehnten Flirt führt, kann daraus
ein sexueller Kontakt entstehen. Huch, und wie weit darf ich da gehen als
christlich Gläubiger? Sozial- und Sexualpädagoge Uwe Sielert sieht in der
protestantischen Ethik eine große Offenheit, was verschiedene
Beziehungsformen und die darin eingeschlossene Sexualität betrifft. „Es
geht darum, dass die Sexualität lebenswichtig ist und gelebt wird“, sagt
er. „Und das auf Augenhöhe. Verschiedene Beziehungen werden dabei nicht nur
als existent, sondern auch als würdig erachtet.“
## Hölzern und verklemmt?
Also alles ganz frei und ungehemmt, auch im kirchlichen Zusammenhang?
Marten sagt: „Gott, wenn es ihn denn gibt, hat mich doch genau so
geschaffen. Wenn ich ihn also ernst nehme, bedeutet das doch zwangsläufig,
dass ich mich mit allen meinen Stärken und Schwächen annehmen muss. Das ist
aus meiner Warte doch gerade die Voraussetzung, um meinen Nächsten zu
lieben – wie soll das denn sonst funktionieren?“ Dass der Zugang aus
Kirchensicht immer noch so hölzern und verklemmt ist, versteht er nicht.
Uwe Sielert glaubt sogar, dass der Glaube zu einer gelebten Sexualität
führen kann. Man könne dann gelassener mit dem „Konfliktuösen der
Sexualität“ umgehen. Durch den Glauben sei eine „zugesprochene Gewissheit�…
da. Wer nicht ständig um die Anerkennung seiner Person kämpfen müsse, könne
auch leichter loslassen und so eine „extatische Sexualität leben“.
Es sei doch bemerkenswert, meint Sielert, dass die Kirchentagsbesucher
durch ein besonders offenes Schauen auffallen würden, zum Beispiel in der
Straßenbahn. „Die lächeln mich an, dann kann ich auch ein Lächeln
zurückgeben.“ Der Kirchentag sei von einer „Multisinnlichkeit“ geprägt,…
sei es eine „gespürte Liebe und nicht nur so ein Gequatsche“. Den
Kirchentag als „Forum für gelebte Sexualität“ zu begreifen, fällt ihm ab…
dann doch auch schwer.
Na, man wird sehen. Um beim Flirten mal was anderes als die abgedroschenen
Anmachsprüche zu benutzen, lohnt sich offenbar – lehrt ja der Kirchentag –
ein Blick in die Bibel. Wie wär’s mit: „Dein Schoß ist wie ein runder
Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhügel, von
Lotosblüten umsäumt. Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge
einer Gazelle.“
26 May 2017
## AUTOREN
Malina Günzel
## TAGS
Kirchentag 2023
Liebe
Sexualität
Flirten
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Brexit
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Willkommenskultur
Margot Käßmann
Homosexualität
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