# taz.de -- Sexismus in der Filmbranche: „Sie infiltrieren das Bewusstsein“ | |
> Regisseurin Nina Menkes erforscht systematischen Sexismus in der | |
> Filmindustrie. Ihr Film „Brainwashed: Sex-Camera-Power“ läuft auf der | |
> Berlinale. | |
Bild: Die Filmemacherin Nina Menke | |
Als feministische Filmpionierin dreht [1][Nina Menkes] seit „Queen of | |
Diamonds“ 1991 unabhängige Filme, die viele internationale | |
Festivalauftritte und Ehrungen erhalten haben. Fast so lange schon | |
unterrichtet sie auch Film am California Institute of the Arts und hat in | |
diesem Kontext eine Lecture mit vielen Filmausschnitten zu „Sex and Power: | |
the Hidden Language of Cinema“ entwickelt. Ihr erster Dokumentarfilm | |
„Brainwashed“ ergänzt diese Vorträge mit analytischen Illustrationen und | |
vielen Interviewpartnerinnen zu einer kämpferischen und aufschlussreichen | |
Tour de Force durch das Konfliktfeld des kinematografischen Blicks auf den | |
weiblichen Körper. | |
taz: Nina Menkes, vielen Dank für ihren inspirierenden Film. Der wird | |
sicherlich ein bedeutender Materialschatz für weitere Forschung. Sie | |
sprechen darin von einem „krassen verflochtenen System von | |
Genderunterdrückung“ in der Filmindustrie Hollywoods. Könnten Sie uns | |
erklären, wie dieses System funktioniert? | |
Nina Menkes: Das System besteht aus Netzen von Ideologie und Praxis, die | |
interagieren. Es gibt immer noch starke Arbeitsdiskriminierung von Frauen | |
in der Filmindustrie, schlimmer als in den Kohleminen. Es gibt eine | |
flächendeckende Epidemie sexueller Belästigung. Untersuchungen zeigen, dass | |
94 Prozent der Frauen im Filmbusiness Erfahrungen damit gemacht haben. Und | |
es gibt die Inszenierung des weiblichen Körpers, die Frauen objektifiziert | |
und damit die männlichen Machtpositionen verstärkt und legitimiert. | |
Sie sagen, dass diese Degradierung von Frauen zu Objekten nicht nur auf der | |
Ebene von Script und Narration, sondern mit praktischen Entscheidungen von | |
Framing und Beleuchtungsstrategien geschieht. Wie sieht das konkret aus? | |
In der kinematografischen Tradition von Hollywood, aber auch bei vielen | |
europäischen Arthaus-Filmen, ist das Vorgehen komplett anders, je nachdem, | |
ob eine Frau oder ein Mann gefilmt wird. Das bezieht sich auf Parameter wie | |
die Position des Kamera-Blicks gegenüber den Körpern, wo die Frauen – gern | |
auch unbekleidet – durch das Framing zerstückelt oder einem | |
(ab-)schätzenden Kamera-Scan unterzogen werden. Die Gesichter werden durch | |
die Lichtsetzung entmaterialisiert und in zweidimensionale Flächigkeit | |
aufgelöst. | |
Das Interessante ist, dass auch Filme, die einen feministischen Inhalt | |
transportieren wollen, gerne dieses Shot Design einnehmen. Zum Beispiel | |
[2][„Bombshell“ (Regie: Jay Roach, 2019)], der von Frauen handelt, die sich | |
gerichtlich gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr setzen. Doch in der | |
Darstellung dieses Übergriffs selbst reproduziert der Film die Perspektive | |
des gegenderten Blicks des Täters auf die Beine und die Unterhose der Frau. | |
Was sind die Folgen? | |
Diese systematischen sexistischen Entscheidungen sind den meisten nicht | |
bewusst, wenn sie einen Film sehen. Aber sie infiltrieren unser | |
Bewusstsein. Es beeinflusst, wie wir die Frau ansehen, die vor uns die | |
Straße entlanggeht. Und auch, wie wir uns selbst sehen. Wir können sehen, | |
wie diese Kräfte unsere Gehirne und Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen | |
infiltrieren und mitbestimmen, wie wir uns zur Welt verhalten. Und es sind | |
Frauen und Männer, die das solchermaßen internalisieren. | |
Was bedeutet das im Besonderen für eine Filmemacherin? | |
Wir sind in einem Teufelskreis sexueller Objektivierungen gefangen. Zu | |
versuchen, dort herauszukommen und die Paradigmen zu ändern, ist extrem | |
schwere Arbeit. Sogar wenn du eine starke machtvolle Frau bist, die es | |
irgendwie geschafft hat, einen Film zu machen. Doch wenn du dann einen | |
Verleiher suchst, triffst du wieder auf die gleichen Barrieren. Wie ich es | |
im Film sage: Wenn die Frauen im Film so inszeniert sind, dass sie von den | |
Männern, die ihn beurteilen und kaufen sollen, nicht als Lustobjekte | |
gesehen werden können, finden diese den Film nicht attraktiv und du | |
bekommst nicht den Produktionsdeal oder den Verleihvertrag. | |
Im Pressematerial berichten Sie, dass Sie an der Filmschule des California | |
Institute of the Arts seit zwei Jahrzehnten mit der Analyse und der Lehre | |
dieses „gendered shot design“ mit Vorträgen engagiert sind, aus denen ihr | |
Film hervorging. Können Sie mir etwas über diese Arbeit sagen? | |
Erst mal möchte ich betonen, dass ich nie das Ziel hatte zu unterrichten. | |
Ich begann damit, weil ich keine vernünftige Bedingungen für meine | |
Filmarbeit bekommen konnte. Ich wurde Lehrerin, um meine Miete zu bezahlen. | |
Das ist mir wichtig. Als Professorin musste ich eine Form finden, von den | |
erlebten Barrieren zu sprechen. So fing ich an, Filmclips zu Vorträgen | |
zusammenzustellen, um das Problem anschaulich zu machen. Viele kennen ja | |
die Thesen von Laura Mulvey zum „male gaze“. Aber den wenigsten ist klar, | |
wie stark dieser immer noch die meisten Filme bestimmt, die wir sehen – und | |
damit unsere Leben. Es ist so lange her. Aber wir bekommen immer noch die | |
gleichen Bilder (lacht). | |
Wie reagieren die Studierenden auf diese Erkenntnis? | |
Tatsächlich sind die meisten schockiert und sagen, sie haben das bisher gar | |
nicht gesehen. Sie kennen zwar die Filme, es sind ja auch die Vorbilder, | |
von denen sie die Filmkunst lernen sollen. Aber es war ihnen nie | |
aufgefallen. Das CalArts ist eine fortschrittliche Filmschule, aber in den | |
Kameraklassen wird immer noch das genderspezifische Beleuchten gelehrt. Es | |
ist für die, die dort studieren, leichter, Plotpoints zu erkennen als die | |
spezifische Blickweise, in der etwas gedreht ist. | |
Denken Sie, es wäre wichtig, auch jungen Menschen ohne Filmstudium ein | |
kritisches visuelles Grundwissen zu vermitteln? | |
Auf jeden Fall, das ist ein Grund, weshalb es jetzt diesen Film gibt. Auch | |
wegen der zunehmenden Bedeutung des Visuellen. Aber nicht nur den Jungen. | |
Ich habe meine Vorträge seit 2018 mehrfach vor einem nichtstudentischen | |
Publikum gehalten. In der Folge wurde ich geradezu dazu gedrängt, daraus | |
einen Film zu machen, um die Verfügbarkeit zu erweitern. Die Anregung kam | |
von außerhalb. | |
In einem Artikel für das [3][„filmmakers magazine“] im Herbst 2017 | |
schrieben Sie, dass Sie kein bisschen überrascht waren von den | |
Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein. Aber auch von der Hoffnung, dass | |
sein Fall der Beginn einer Bewusstseinsänderung sein könnte. Wie denken Sie | |
heute darüber? | |
Ich denke schon, dass sich etwas geändert hat. Das Bewusstsein ist schon | |
viel stärker geworden. So war mein Artikel damals etwa der meistgelesene | |
der Zeitschrift im ganzen Jahr. Und auch für die Finanzierung meines Films | |
hat die Affäre um Harvey Weinstein und die Me-Too-Bewegung einen großen | |
Unterschied gemacht. | |
Sie haben bisher ja vor allem Spielfilme gemacht, die auf viele Festivals | |
gereist sind und von der Kritik höchst gelobt wurden, in denen sie das | |
„shot design“ bewusst umlenken. Welche ästhetischen Entscheidungen trafen | |
Sie für die Inszenierung der von Ihnen interviewten Frauen in Ihrem ersten | |
Dokumentarfilm? | |
Sicherlich habe auch ich mich bemüht, sie gut aussehen zu lassen. Aber mir | |
war es besonders wichtig, dass man den Unterschied sieht zwischen den | |
2-D-Figuren in den Filmstills und den dreidimensionalen Frauen mit echten | |
Körpern und Runzeln, die im Sessel sitzen und von ihren Erfahrungen | |
berichten. | |
Was erhoffen Sie sich aus dem Film für sich? | |
In Zukunft vielleicht mehr Chancen, Geld und Zeit für weitere Spielfilme zu | |
bekommen.. | |
Was wären die nächsten Schritte zu einer gesellschaftlichen Veränderung? | |
Ich denke, es wäre wichtig, dass mein Film eine weite Verbreitung findet. | |
Wir sind gerade dabei, nach einem Vertrieb zu suchen. | |
Würden Sie dem Gespräch gerne noch etwas hinzufügen? | |
Dass es zwar um ein komplexes und theoretisches Sujet geht. Doch der Film | |
ist auch sehr unterhaltsam und keineswegs nur etwas für Akademikerinnen. | |
15 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!820650&s=Nina+Menkes&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /MeToo-im-Film/!5659814 | |
[3] https://filmmakermagazine.com/103801-the-visual-language-of-oppression-harv… | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
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