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# taz.de -- Film über Geschlechterstereotype: Männer, die gern Frauen aufklä…
> Monia Chokri hat mit ihrer Verfilmung des Theaterstücks „Babysitter“ eine
> #MeToo-Komödie mit reichlich Situationskomik gedreht.
Bild: Bad mit viel Liebe: Nadine (Monia Chokri) trägt an schwangerschaftsbedin…
Ein Männerabend, wie er sich so oder ähnlich allabendlich irgendwo
abspielt. Ein paar Typen schauen anderen, die es besser können, beim Sport
zu, in diesem Fall beim Kickboxen, saufen und johlen auf der Tribüne. Sie
klopfen Sprüche über die Frauen vor ihnen. Vor allem über die Attraktivität
bestimmter Körperteile.
Was diese Typen eben so unter Flirten verstehen. Als die Frauen die Anmache
wenig zimperlich parieren, fühlen sich die Mannsbilder bestätigt und
geraten, weiter angefeuert durch Alkohol und Wettkampffieber, vollends aus
dem Häuschen.
In Großaufnahmen und Zeitlupe eskaliert die Situation zum lauten,
rauschhaften Tohuwabohu, während sich vorne im Ring die Muskelprotze so
unerbittlich prügeln, bis am Ende der weiße Boden des Boxrings
blutverschmiert ist. Beim Kräftemessen entkommt niemand ohne Blessuren,
weder in der Sportarena noch auf dem sozialen Parkett.
Mit diesem Knalleffekt beginnt [1][Monia Chokri ihre
Geschlechterkampfkomödie „Babysitter“], die nach der Weltpremiere auf dem
Sundance Filmfest im Januar morgen exklusiv auf dem Streamingdienst Mubi
startet.
## Toxische Männlichkeit
Kaum Rücksicht auf Verluste nimmt die Frankokanadierin auch in den nächsten
knapp anderthalb Stunden bei ihrer Abrechnung mit toxischer Maskulinität.
Nach dem Match erspäht der recht angesoffene Cédric (Patrick Hivon) eine
bekannte Fernsehreporterin, Chantale LeTremblay (Eve Duranceau), und drängt
ihr vor laufender Kamera ungefragt einen Kuss auf. Sie drückt ihn weg, doch
das Video des Vorfalls geht kurz darauf viral.
Cédric fühlt sich zunächst geschmeichelt, als er auf der Straße darauf
angesprochen wird. Doch dann taucht die Geschichte in einer großen
Tageszeitung auf. Geschrieben hat den kritischen Artikel ausgerechnet
Cédrics Bruder Jean-Michel (Steve Laplante), eine Spezies Mann, der anderen
gerne erklärt, welche Bürde jede einzelne Frau in dieser Gesellschaft zu
tragen hat. Dass ihm die ein oder andere vehement widerspricht, ficht ihn
dabei ebenso wenig an, wie den eigenen Bruder öffentlich zur Rechenschaft
zu ziehen.
Cédric wird wegen des Übergriffs prompt suspendiert und schiebt nun zu
Hause Frust. Jean-Michel bringt ihn dazu, sich in einem offenen Brief bei
der Journalistin zu entschuldigen. Und daraus erwächst die Idee der beiden
Männer für ein Buchprojekt, in dem sie sich bei jeder Frau entschuldigen
wollen, der sie jemals zu nahe getreten sind. Ein Verleger wittert in der
Moralpredigt aus geläuterter Männersicht schnell einen potenziellen
Bestseller.
Unterdessen ist Cédrics Lebensgefährtin Nadine (gespielt von Chokri selbst)
vom neugeborenen Baby mehr gestresst als vom Fehltritt des Gatten und
überlässt dem arbeitslosen Kindsvater erschöpft die Sorge um die kleine
Léa.
## Eine Männerfantasie
Hier kommt nun die titelgebende Babysitterin ins Spiel, die Cédric
anheuert, um sich ganz aufs Schreiben konzentrieren zu können. Amy (Nadia
Tereszkiewicz) entpuppt sich als platinblonde Männerfantasie mit scheinbar
übernatürlichen Fähigkeiten und ganz eigenen Vorstellungen von Sexismus und
angemessener Arbeitskleidung. Damit sorgt sie bei Cédric für erstaunlich
wenig Wallungen, bei seinem selbstgerechten Bruder und Nadine dafür umso
mehr.
Höchst unkonventionell verhilft Amy in einem absurden Höhepunkt des Films
der postpartal depressiven Nadine zu neuem Selbstwertgefühl und erweist
sich als Katalysator im Ringen um vermeintlich klar definierte Rollen und
das Machtgefüge der Geschlechter. Wenn es sein muss, auch durch das
Imitieren typisch männlicher Verhaltensmuster.
„Babysitter“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Catherine
Léger, das nach der Uraufführung 2017 unter anderem auch am Münchener
Teamtheater in einer szenischen Lesung zu sehen war. Als Drehbuchautorin
adaptierte Léger das Stück nun und zog an manchen Stellen die Schrauben
weiter an. Aus dem Fußballspiel in der Bühnenfassung wurde im Film ein
brutaler Martial-Arts-Kampf, Cédrics angesoffener Übergriff auf die
Fernsehmoderatorin war im Theater „nur“ eine verbale Beleidigung.
Die 1980 geborene Léger hatte das Stück ursprünglich als Reaktion auf eine
Reihe sexistischer Übergriffe vor allem in den Vereinigten Staaten
geschrieben. Dort hatten Männer wiederholt versucht, Journalistinnen in
Livesendungen vor laufender Kamera mit obszönen Bemerkungen aus dem Konzept
zu bringen. Mit ihrer wütend-komischen Abrechnung nahm sie vorweg, was sich
kurz später in der [2][#MeToo-Bewegung] manifestieren sollte. Eine
Filmadaption war da nur eine Frage der Zeit.
## Queerfeministische Filmemacherin
Wie Léger ist auch die 1982 geborene Monia Chokri Teil einer Generation
queerfeministischer Filmemacher*innen im kanadischen Québec, zu denen
auch [3][Xavier Dolan] gehört, für dessen Spielfilme „Heartbeats“ (2010)
und „Laurence Anyways“ (2012) Chokri als Schauspielerin vor der Kamera
stand. 2019 inszenierte sie mit „Die Frau meines Bruders“ ihr Regiedebüt,
stand in der selbstverfassten Tragikomödie über eine strauchelnde
Mitdreißigerin noch nicht selbst vor der Kamera.
Bei ihrem zweiten Spielfilm nennt sie [4][Yorgos Lanthimos’ „The Killing of
a Sacred Dee]r“ und Dario Argentos „Suspiria“ (und verschweigt Pasolinis
„Teorema“) als Einfluss für ihre leicht überhöhte Figurenzeichnung, die
zwischen lebensnah und magischem Realismus changiert.
Auch der Blick auf das Verhältnis der Geschlechter ist ambivalent. Die
Frauen sind sich durchaus ihrer Position und Macht bewusst, es sind vor
allem die Männer, die möglichst woke erscheinen und alles richtig machen
wollen, ihre Rolle in einer veränderten Gesellschaft bislang nicht gefunden
haben. „Ich weiß nicht, ob du gerade einen Scherz machst oder nicht“, wird
an einer Stelle diese Verunsicherung auf den Punkt gebracht.
Chokri inszeniert das in einer Mischung aus schriller Komik mit Elementen
des Horror- und Softerotikkinos und spielt mit den misogynen Klischees
dieser Genres und der Objektivierung von Frauenfiguren. Der zuckrige
Seventies-Retro-Touch in Ausstattung, Kostüm und Musik erinnert an die
hyperstilisierte Ästhetik Xavier Dolans und Suburbia-Satiren wie
„Pleasantville“, sorgt aber für eine merkwürdig ironische Distanz, die dem
satirischen Tonfall die Schärfe nimmt, als sollten wir das alles doch nicht
gar so ernst nehmen.
## Jede*r bekommt sein/ihr Fett weg
So grundsympathisch und notwendig Chokris und Légers Frontalangriff auf
Sexismus und Machtgehabe mit den Waffen des Humors ist, bei dem jede*r mal
sein/ihr Fett abbekommt, halten sich Vergnügen und Erkenntnisgewinn in
Grenzen. Manch absurder Situationswitz verpufft, statt zu zünden, der
entlarvend gemeinte Fokus auf stereotype Geschlechtsmerkmale etwa ermüdet
schnell. Mit ihren Beobachtungen über Geschlechterrollen und der daraus
resultierenden Lektion für Figuren wie Publikum rennen sie zum Teil offene
Türen ein.
Die besten Momente behält sich Monia Chokri selbst vor, wenn sie sich als
Nadine sarkastisch über die vermeintlich aufgeweckten Herrklärungen ihres
Schwagers in puncto patriarchale Strukturen und korrekte Formen des
Feminismus lustig macht. Als nur minimal überzeichnetes Zeitbild einer im
zwischenmenschlichen Miteinander zutiefst verunsicherten Gesellschaft ist
„Babysitter“ allemal sehenswert.
18 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Gqmx826TnCw
[2] /Nachruf-auf-Regisseur-Dieter-Wedel/!5869337
[3] /Neuer-Film-von-Xavier-Dolan/!5786286
[4] /Neuer-Film-von-Yorgos-Lanthimos/!5470271
## AUTOREN
Thomas Abeltshauser
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