| # taz.de -- Film-Remake eines Streitgesprächs: Vier Feministinnen und ein Macho | |
| > Ein Medienereignis des Feminismus als Remake: RP Kahls Film „Als Susan | |
| > Sonntag im Publikum saß“ setzt eine Podiumsdiskussion von 1971 in Szene. | |
| Bild: Szene aus dem Film: Celine Yildirim als Jacqueline Ceballos (l.) und Sara… | |
| Stellen Sie sich vor, da sitzt der größte Macho unter den zeitgenössischen | |
| Intellektuellen auf einer Bühne mit vier der radikalsten und klügsten | |
| Feministinnen. Und bei den sich ergebenden Streitgesprächen schonen sie | |
| einander nicht – aber sie lachen auch zusammen, provozieren sich | |
| spielerisch und nehmen die Herausforderung mit einem geradezu sportlichen | |
| Ehrgeiz an. | |
| Schwer vorstellbar? Utopisch? Vor 50 Jahren war so eine | |
| Diskussionsveranstaltung namens „A Dialogue on Women’s Liberation“ mögli… | |
| – zumindest in New York City und unter den Stars der damaligen smarten | |
| Elite. | |
| Am 30. April 1971 stritten sie sich öffentlich in der übervollen Halle der | |
| New Yorker Town Hall: [1][Norman Mailer], [2][Germaine Greer], Diana | |
| Trilling, Jill Johnston und Jacqueline Ceballos. D. A. Pennebaker und Chris | |
| Hegedus haben daraus den Dokumentarfilm „Town Bloody Hall“ gemacht; 1979 | |
| erschienen, wirkt der – inzwischen [3][gratis auf Youtube] zu findende – | |
| Klassiker der Women’s Lib eher wie ein Konzertfilm. Das ist plausibel, denn | |
| davon hat Pennebaker etliche gedreht. | |
| Hat sich in den gut 50 Jahren seitdem etwas verändert? Diese Frage stellte | |
| sich der Berliner Regisseur RP Kahl und er fand einen künstlerisch | |
| verwegenen Weg, um sie zu beantworten: Er inszenierte „Town Bloody Hall“ | |
| nach, drehte also das Remake eines Dokumentarfilms. Dass dies eigentlich | |
| unmöglich sei, sagt er selbst. Und so versucht er auch gar nicht, mit „Als | |
| Susan Sontag im Publikum saß“ nun stilistisch dem „Direct Cinema“-Stil | |
| Pennebakers nachzueifern. Stattdessen reduzierte er ihn radikal auf die | |
| seinerzeit im Film gesprochenen Texte. | |
| Die ließ er nun von vier Darstellerinnen nachsprechen, Mailer übernahm er | |
| selbst. Es gibt noch einen männlichen Nebendarsteller, der sowohl einen | |
| Zwischenrufer spielt wie auch einen Zuschauer, der empört den Saal | |
| verlässt. Beinahe schon eine bedauernswerte Freiheit: Der Witz der | |
| Veranstaltung und beider Filme ist ja, dass Mailer sich allein der | |
| [4][feministischen Kritik] stellen wollte. | |
| Der Autor und Public Intellectual war Anfang der 1970er-Jahre auf der Höhe | |
| seines Ruhms. Dass diesen Schwergewichtsmeister des US-amerikanischen | |
| Kulturbetriebs nun Kahl spielt, könnte man ein wenig anmaßend finden | |
| (allerdings hätte man dann das Wesen der Schauspielerei vielleicht | |
| missverstanden). Diese etwaige Fallhöhe bewältigt Kahl mit souveräner | |
| Ironie – indem er erst gar nicht versucht, dem Original schauspielerisch | |
| beizukommen. | |
| Auch die anderen Darstellerinnen spielen nicht im eigentlichen Sinne die | |
| Schriftstellerin Germaine Greer, die Literaturkritikerin Diana Trilling, | |
| die feministische Aktivistin Jacqueline Ceballos oder die lesbische | |
| Kulturkritikerin Jill Johnston. Sie lesen deren Texte vor, repräsentieren | |
| dann aber vor allem sich selbst. Danach hat Kahl sie offensichtlich auch | |
| ausgewählt: als heutige weibliche Stimmen, als aktuelle deutsche | |
| Neubesetzung des New Yorker Panels. | |
| Also fallen auch die Filmemacherin und Autorin Saralisa Volm, die | |
| Künstler*innenagentin und Autorin Heike-Melba Fendel, die Regisseurin | |
| und Schauspielerin Celine Yildirim sowie die Schauspielerin und Sprecherin | |
| Luise Helm immer wieder aus der Rolle. Sie kommentieren und kritisieren das | |
| Vorgelesene; reflektieren darüber, was vom Gesagten heute noch aktuell ist | |
| – und wie weit die Emanzipation der Frauen es gebracht hat in den | |
| vergangenen 50 Jahren. Spoiler: Grundsätzlich hat sich da nicht viel | |
| geändert. Vergewaltigung in der Ehe mag inzwischen strafbar sein, aber eine | |
| politische und ökonomischen Gleichheit der Geschlechter ist immer noch | |
| ferne Utopie. | |
| So besteht nun etwa die Hälfte des Films aus Originaltext, die andere | |
| Hälfte wurde improvisiert. So schön streiten wie die New Yorker*innen | |
| der 1970er-Jahre können die Protagonist*innen allerdings nicht. Dazu | |
| ist Kahl zu politisch korrekt, sind seine Gegenspieler*innen zu | |
| höflich. Richtig komisch ist das Ganze auch nicht; einige im Textmaterial | |
| angelegte Lacher werden geradezu verschenkt, weil sie nun ohne Gefühl für | |
| Pointen vorgelesen werden. Liegt das daran, dass das Berliner „Ballhaus | |
| Ost“, auf dessen Bühne der FIlm entstand, eben nicht die New Yorker Town | |
| Hall ist? Oder einfach nur an Corona? | |
| Kahl sagt selbst, dass „Als Susan Sontag …“ kurz vor dem zweiten Lockdown | |
| entstanden sei, in einer „sehr unlustigen Zeit“ also. In der ersten und der | |
| letzten Einstellung sieht man dann auch das Berliner Publikum mit | |
| Gesichtsmasken. Der Regisseur spricht von einem „Coronafilm, in dem nicht | |
| über Corona geredet wird“. | |
| Seinen Ausgang nahm das Ganze – Idee: Maike Mia Höhne – als Teil des | |
| [5][Ausstellungsprojekts „Humor nach #Metoo“] im Kunstverein Hamburg. | |
| Finanziert wurde der Film dann auch von der Filmförderung | |
| Hamburg/Schleswig-Holstein und der benachbarten Nordmedia; Produzent | |
| Torsten Neumann leitet ansonsten das Filmfest Oldenburg. | |
| Und [6][Susan Sontag]? RP Kahl erzählt, dass eine „ältere Dame“ sich bei | |
| einer Vorführung darüber „echauffiert“ habe, dass ihre Ikone zwar im Tite… | |
| aber im Film selbst kaum vorkomme. Tatsächlich saß die berühmte Essayistin | |
| 1971 im Publikum und stellt nun – gespielt von Stefanie Schuster – eine | |
| dringend gebotene Zwischenfrage: Warum Mailer seine Gegenstreiterinnen als | |
| „Ladies“ anspreche – und warum die das mitmachten. Da war sie, als | |
| vielleicht einzige im Saal, ihrer Zeit voraus. | |
| 5 May 2022 | |
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| [3] https://www.youtube.com/watch?v=gGYmyou0sKM | |
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| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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