# taz.de -- Innerfeministische Debatten: Die Sache mit dem Begehren | |
> Feminismus im 21. Jahrhundert muss neu gedacht werden. Darüber schreibt | |
> die Philosophin Amia Srinivasan in „Das Recht auf Sex“. | |
Bild: Wie natürlich ist denn Geschlecht, Begehren und sexuelle Identität übe… | |
Nicht selten, wenn jemand „den Feminismus“ kritisiert, halten Feministinnen | |
entgegen, dass es den einen Feminismus so wenig wie die Frau gebe. Je nach | |
Hautfarbe, Ethnie und Klassenzugehörigkeit können feministische Kämpfe ganz | |
unterschiedlich gestaltet sein. Umso erstaunlicher (oder eben auch nicht) | |
ist es, dass die dominante Form des Feminismus jener der weißen | |
Mittelschichtsfrauen ist. | |
Die indisch-amerikanische Autorin und Professorin Amia Srinivasan widmet | |
sich in ihrem erhellenden wie provokanten Buch „Das Recht auf Sex“ diesen | |
innerfeministischen (Macht-)Kämpfen, wie sie etwa in Fragen des Verbots von | |
Pornografie oder Prostitution zum Vorschein kommen. Srinivasan greift eine | |
Reihe von zeitgenössischen Diskursen um Sexualität auf, beispielsweise den | |
sexuellen Konsens betreffend. [1][Wie wurde aus „Nein heißt nein“ „Nur ja | |
heißt ja“?] | |
Sie legt den Finger in die Wunde, wenn sie fragt, warum so viele | |
Feministinnen zur Neuordnung der Machtverhältnisse in Geschlechts- und | |
Sexualitätsfragen ausgerechnet auf den karzeralen, patriarchalen Staat | |
vertrauen. Ist Gerechtigkeit hergestellt, wenn Gesetze erlassen oder | |
einzelne Männer – bevorzugt schwarze oder arme Männer – für ihre Vergehen | |
weggesperrt werden, während das System bestehen bleibt? | |
Die Liste der innerfeministischen Kämpfe um Sex ist in der Tat lang. Viele | |
Konflikte drehen sich um die Frage, wie natürlich Geschlecht, Begehren und | |
sexuelle Identität sind. Srinivasan zeigt das am Konzept des politischen | |
Lesbentums. Während im [2][gegenwärtigen Diskurs Homo- oder | |
Trans-Sexualität als angeborener Teil der Identität] verstanden wird, gab | |
es in den 1970er und 80er Jahren viele Advokatinnen des politischen | |
Lesbentums: Da jede heterosexuelle Beziehung zwangsläufig von Gewalt und | |
Machtpraxen durchdrungen sei, sei der einzige Ausweg die Hinwendung zu | |
lesbischen Beziehungen, so die These. | |
## Ideologische Zwickmühle | |
Das Begehren, das auf Männer konditioniert sei, ließe sich umtrainieren, | |
zugleich könnte man gewissermaßen Männer bestrafen, in denen man ihnen | |
vorenthielte, was sie suchen: Sex und emotionale Fürsorge. | |
Srinivasan erkennt an, dass „die Ideologie der angeborene(n) Präferenz“ | |
ihre politische Berechtigung habe. Andererseits kollidiert diese | |
Betrachtungsweise „mit den konstruktivistischen, antiessenzialistischen | |
Tendenzen des Feminismus“. Wenn lesbisches Begehren angeboren, | |
heterosexuelles Begehren aber die Konsequenz einer heterosexuellen | |
Zwangsmatrix sein soll, gerät man in eine ideologische Zwickmühle. | |
Die damalige Debatte hat zwei moderne Wiedergänger: Der eine ist die Suche | |
nach nicht-patriarchalen Beziehungsformen fernab der Kleinfamilie. Die | |
andere ist die teils heftig geführte Debatte um die Ablehnung von | |
Trans-Frauen als potenzielle Sexualpartner durch einige lesbische Frauen. | |
Die BBC veröffentlichte vor Kurzem einen Artikel, in dem lesbische Frauen | |
davon berichteten, Teile der queeren Community würden sie als | |
transfeindlich framen, sofern sie nicht dem Sex mit Trans-Frauen | |
zustimmten; andere fühlten sich gar von Trans-Frauen genötigt. Die einen | |
sahen in dem Text ein Zeichen von Transphobie. | |
Andere fragten, warum in diesem Fall die Formel „believe women“ nicht | |
gelte. „Believe women“ meint, dass man einem potenziellen Opfer sexueller | |
Nötigung mit einer Glaubwürdigkeitsvermutung gegenübertreten sollte. | |
## Gibt es ein Recht auf Sex? | |
Srinivasan führt die Debatte zu ihrer Kernfrage: Gibt es ein Recht auf Sex? | |
Nein, niemand habe ein Recht auf Sex. Aber bei dieser Feststellung dürfe | |
man nicht stehen bleiben. Wer hat weniger Chancen, sein Begehren | |
verwirklicht zu sehen? Menschen, die nicht den geltenden Normen von | |
sexueller Attraktivität (also Fuckability) entsprechen. | |
Wenn einigen Menschen sexuelle Attraktivität abgesprochen wird, bewegen wir | |
uns aber auf dem Feld der politischen Voraussetzungen für das Begehren. Es | |
ist keineswegs so, dass unser Begehren „natürlich“ in uns erwächst, sonde… | |
es wird geprägt durch Bilder und Standards, die sehr genau festlegen, was | |
begehrt werden darf und was begehrt werden soll. | |
Srinivasan stellt dem Problem der Trans-Frauen das [3][Thema der Incels] | |
entgegen. Auch Letztere fordern ein Recht auf Sex, auch sie klagen an, dass | |
Frauen nicht mit ihnen schlafen wollen, weswegen sie unfreiwillig zölibatär | |
leben müssten. | |
Der Unterschied sei aber, und das zeigt Srinivasan anhand des Manifests von | |
Elliot Rogder, der in der Incel-Szene Heldenstatus genießt, dass Incels Sex | |
mit einer bestimmten Art Frau fordern. Nämlich solchen, deren hoher | |
sexueller Status ihren Status als Mann aufwertet. Auch dieses Begehren ist | |
nicht apolitisch, sondern durchdrungen von Politik in Form von Status und | |
patriarchalen Vorstellungen von männlichen Vorrechten. | |
Srinivasans Buch destabilisiert nicht nur patriarchale Diskurse, es ordnet | |
auch die feministischen Karten neu, indem es einmal mehr den Blick auf | |
blinde Flecken lenkt. Ihre Analysen sind gleichermaßen bestechend scharf | |
wie differenziert. | |
Auch wenn die eine oder andere Position Widerspruch generieren mag: | |
Srinivasans Buch ist eine Aufforderung, Feminismus im 21. Jahrhundert neu, | |
differenzierter zu denken. | |
17 Mar 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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