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# taz.de -- Film „She Said“ zum #MeToo-Skandal: Bloß kein Drama!
> Maria Schrader verfilmt in „She Said“ die Recherche zum späteren
> Weinstein-Skandal. Sie stellt sich ganz in den Dienst der
> #MeToo-Geschichte.
Bild: Bloß keine Retraumatisierung: Kazan und Mulligan als die Journalistinnen…
War es eine soziale Bewegung, ein gesellschaftlicher Wandel oder schlicht
die Folge der Enthüllungen von lange unter dem Deckel gehaltenen
Schandtaten? In jedem Fall ist all das, was man unter dem Hashtag #MeToo
zusammenfasst, kaum zu unterschätzen. Es war – und ist noch – wirklich ein
großes Ding. Davon geht auch [1][Maria Schrader] in „She Said“ aus, ihrer
Verfilmung von [2][Jodi Kantors und Megan Twoheys Buch „#Metoo“].
Von der legendären Harvey-Weinstein-Recherche der beiden
New-York-Times-Journalistinnen erzählt sie jedoch mit betonter Nüchternheit
und Unaufgeregtheit. Dabei gerät der Film streckenweise derart beiläufig
und unterspielt, dass man als Zuschauer*in manchmal kaum spürt, um wie
viel es eigentlich geht.
Der Höhepunkt des dramatischen Geschehens sind Dialoge, die sich um den
doch recht trockenen journalistischen Fachbegriff des „On the
record“-Gehens drehen. Da mitzufiebern ist trotz eines herausragend
agierenden Schauspielerinnen-Ensembles nicht immer ganz einfach.
Die guten Absichten von Autorinnen und Regisseurin liegen offen zutage:
Schon Kantor und Twohey wollten bei der Veröffentlichung ihres Geschichte
schreibenden Artikels in der New York Times am 5. Oktober 2017 und später
im Buch über die Vorarbeit dazu alles Sensationsheischende und Pathetische
vermeiden. Und auch keiner Retraumatisierung der Opfer Vorschub leisten,
indem man das „On the record“-Gehen von Weinsteins Opfern durch explizite
Schilderung „saftiger“ Details ausbeutet.
Herausgekommen war ein angesichts des Aufregerthemas überraschend trockenes
Buch mit lauter haarklein recherchiertem Material, bei dem die Überfülle an
Details zum Arbeitsprozess selbst die klare Sicht auf den Fall Weinstein
erschwerte.
## Unglamouröse Heldinnen
Schrader wiederum will den journalistischen Instinkten ihrer Heldinnen
Tribut zollen. Auch ihr Film handelt in erster Linie von der Recherche als
Arbeit: kleinteilig, mühsam, belastend. Sicher, die beiden Heldinnen –
derart unglamourös von Zoe Kazan und Carey Mulligan verkörpert, dass man
sich fast in einem Schwarz-Weiß-Film glaubt – sind mit ihren Herzen dabei.
Schrader lässt bei aller Beiläufigkeit nicht aus, dass die von Mulligan
gespielte Twohey, die während der Recherche ein Kind bekam, anschließend
mit Wochenbett-Depressionen zu kämpfen hatte.
Aber auch was diese besondere Art der Doppelbelastung ihrer Heldinnen
angeht, will Schrader gar nicht erst in den Verdacht kommen, etwas
ausschlachten zu wollen. Es bleibt bei ein paar mitfühlenden Worten
vonseiten der Chefin (Patricia Clarkson mal wieder in einer für ihre
Ausstrahlung viel zu knapp gehaltenen Rolle) und dem Austausch von
verständnisvoll-verschworenen Blicken unter Kollegen. „Wir sind Frauen, wir
wissen, wie schwer wir es haben. Bloß kein Drama!“ – so scheint die
stillschweigende Übereinkunft.
Man kann das auch als Tugend loben, die Sachlichkeit, die Zurückhaltung,
das Alltagsbetonte, Nichtvoyeuristische und der komplette Verzicht auf das,
was das große Vorbild des Journalisten-Films, Alan J. Pakulas „Die
Unbestechlichen“ von 1976 mit Robert Redford und Dustin Hoffman so
auszeichnete: der Witz.
## Der Glanz der „Unbestechlichen“
Schaut man „Die Unbestechlichen“ heute, wird man mit Erstaunen bemerken,
wie wenig sich daraus über Nixon und Watergate erfahren lässt und wie viel
über ein inzwischen untergegangenes Journalisten-Image. Auch Redford und
Hoffman spielen ihre Washington-Post-Helden betont ohne Glamour, dafür aber
verleiht ihnen das Drehbuch von William Goldman mit seinen scharfzüngigen
Spitzen einen viel größeren Glanz.
Und sie dürfen auch noch ganz eitel-männlich-selbstverliebt daherkommen,
etwas, was den Helden im [3][oscarprämierten Journalistenfilm „Spotlight“
von 2015] schon nicht mehr zu Gebot steht. Dort ist der Journalismus
bereits zum Tätigkeitsfeld selbstquälerisch veranlagter Arbeitssüchtiger
heruntergekommen, die sich in einem Job aufreiben, der keinen Spielraum
mehr für Ruhm lässt. Nicht umsonst gleichen ihre Triumphe eher denen von
erfolgreichen Steuerfahndern.
„She Said“ will im direkten Anschluss an „Spotlight“ weniger ein Film �…
den Fall Harvey Weinstein sein als die schwierige Recherche nachzeichnen,
bei der es in der Hauptsache um besagtes „On the record“-Gehen ging.
Weinsteins sexuelle Übergriffigkeit war schon lange mehr als nur ein
Gerücht, allein es fehlten die Zeuginnen, die namentlich und öffentlich
bereit zur Aussage waren.
## Bruch in der Karriere
Im Film gibt es am Anfang eine Szenenfolge mit einer jungen Frau im
Vorher-nachher-Modus: Zuerst das Glück, einen Job am Filmset zu haben, ein
Wohlgefühl unter fröhlichen Kollegen. Dann ein einsames Schluchzen irgendwo
auf der Straße, isoliert und alleingelassen. Was dazwischen vorgefallen
ist, muss nicht im Einzelnen geschildert werden.
Der Bruch in der Karriere, im Leben, den sexuelle Übergriffe auslösen,
bleibt oft so unsichtbar wie unüberwunden. Im Film verleiht Jennifer Ehle
der nun älteren Frau auf sehr eindrückliche Weise Gestalt: dem Schmerz, das
Geschehene noch einmal erinnern zu müssen, aber auch der Genugtuung, mit
dem Öffentlichmachen nun endlich etwas bewirken zu können.
Auch anderen Zeuginnen erweist „She Said“ auf bewundernswert respektvolle
und zugleich mitfühlende Weise seine Hommage, sei es dass Samantha Morton
eine ehemalige Miramax-Angestellte verkörpert oder Ashley Judd in großer
Verhaltenheit ihre eigene Weinstein-Erfahrung schildert.
## Donald Trumps „Pussygate“
Im Buch setzen Kantor und Twohey ihre Recherche anfangs noch in den
weiteren Kontext der Auseinandersetzungen um Donald Trumps „Pussygate“ und
andere Fälle. Der Film verzichtet fast vollständig auf Kontext und verharrt
so konzentriert auf seinen Figuren, den Sitzungen in gläsernen
New-York-Times-Büros und der Technik des verständnisinnigen Zuhörens, dass
er etwas Klaustrophobisches bekommt.
Dazu trägt bei, dass Kantor und Twohey im Film Heldinnen ohne
Charakterentwicklung sind: überzeugt bei der Arbeit, gefasst auf das, was
kommt, mehr oder weniger betroffen, empört oder indigniert. Aber es gibt
keinen Wendepunkt für sie, kein echtes Erstaunen, kein Umdenken, keinen
Anstoß zur Selbstreflexion. Damit bleibt „She Said“ zwar nah an der
Vorlage, verpasst aber die Chance, in den Blick zu nehmen, was #MeToo eben
zu so einem großen Ding machte: das große gesellschaftliche Umdenken, die
Revolutionierung der Wahrnehmung.
Auch viele Frauen verabschiedeten sich von lange gehegten Ansichten und
Urteilen. Wo etwa früher das, was auf der berüchtigten „Casting Couch“
geschah, schulterzuckend als gängige Praxis für ehrgeizige
Schauspieltalente hingenommen wurde, setzte sich die klare Erkenntnis
durch, dass es sich um Ausbeutung, Missbrauch und in den schlimmsten Fällen
um Vergewaltigung handelte.
Alle haben es irgendwie immer schon gewusst – das war das eigentliche
Erschreckende am Fall Weinstein. Denn geschwiegen haben nicht nur die
Frauen, die drakonische Schweigevereinbarungen hatten unterzeichnen müssen,
um ein bisschen Kompensation zu erhalten, sondern das ganze Umfeld
drumherum, das lieber Schadensbegrenzung betrieb, als den Täter zu
konfrontieren. Als Spielfilm mit dokumentarischen Gestus stellt „She Said“
diese Gemengelage zwar nach, die packende Dramatisierung der dahinter
verborgenen Konflikte aber steht noch aus.
2 Dec 2022
## LINKS
[1] /Deutsche-Filme-bei-der-Berlinale/!5749550
[2] /US-Journalistin-Jodi-Kantor-ueber-MeToo/!5703359
[3] /Oscar-Favorit-Spotlight/!5278129
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
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