# taz.de -- Serien mit evangelikaler Pädagogik: Predigt durch die Glotze | |
> Evangelikalismus agiert auch in der Streamingwelt. Familienserien wie | |
> „The Baxters“ sind gefährlicher, als sie auf den ersten Blick erscheinen. | |
Bild: Vater-Mutter-Kinder: Das einzige Familienmodell, was in „The Baxters“… | |
Fürs Serienschauen haben die meisten von uns Gründe, die sich zwischen | |
Unterhaltung und thematischem Interesse bewegen. In völlig anderen | |
Begründungssphären bewegen sich Serien des modernen Evangelikalismus: Der | |
Plot bietet hier eine didaktische Belehrung der Zuschauerschaft, eine | |
Erinnerung an das Gute und Böse, unzählige Beispiele für gelingende wie für | |
scheiternde Biografien – Erstere mit, Letztere ohne Gott. Jede Episode eine | |
Predigt mit erhobenem Zeigefinger: Wenn das, dann das. | |
Besonders nachdrücklich gelingt diese religiöse Erziehung mithilfe von | |
Figuren, die wir über Staffeln hinweg begleiten. Die Familienserie „The | |
Baxters“, mit drei Staffeln seit März auf Amazon Prime zu sehen, und die | |
Kinderserie „The Wingfeather Saga“ sind Beispiele für solche zu | |
telegen-edukativen Geschichten verpackten Predigten des Evangelikalismus. | |
Die Buchgrundlage für „The Baxters“ stammt von Karen Kingsbury, die mit der | |
23-teiligen Reihe einen millionenfach verkauften New York Times-Bestseller | |
rund um das Ehepaar Baxter und ihre fünf erwachsenen Kinder erschuf. | |
Wirkweise der Bücher soll laut Kingsbury die Bereitstellung religiösen | |
Lehrmaterials für die Leser sein. Eine Vorstellung von religiöser Didaktik, | |
die im evangelikalen Glaubensverständnis kaum überrascht, das immer noch | |
die [1][Bekehrung von Ungläubigen als oberste Priorität] versteht. | |
## Christliche Autorenschaft als Sprachrohr Gottes | |
Gott lege die Geschichten in ihr Herz, um sie weiterzuerzählen, so | |
Kingsbury. Christliche Autorenschaft als Sprachrohr Gottes also. Was sie | |
dabei zu sagen hat, ist nur vordergründig eine Geschichte voll | |
Familienidylle. | |
Die Familie Baxter ist oberflächlich wenig mehr als ein holzschnittartiger | |
Traum des Republikanismus mit Vorstadtvilla, heißer Schokolade, SUVs, | |
Familiendinner und Football. Fluchtpunkt der Folgen ist stets die | |
Kirchengemeinde und der gemeinsame Kirchgang. Jede Episode beginnt mit | |
einem Bibelzitat, schon der Vorspann zeigt im Gebet verschränkte Hände. | |
Die Dialoge sind katastrophal, der Plot kaum als solcher zu bezeichnen. Was | |
der christliche Klassiker „[2][Eine himmlische Familie]“ bei aller | |
moralischen Überlegenheit noch hin und wieder an Humor und Originalität im | |
Storytelling vorzuweisen hatte, fehlt bei „The Baxters“ völlig. | |
Das Zuschauererlebnis bewegt sich zwischen einem Finger auf dem Aus-Knopf | |
der Fernbedienung und der Überzeugung, das alles müsse ein parodistischer | |
Spaß sein (ist es natürlich leider nicht). Einer solchen Produktion wäre | |
keiner Erwähnung wert, wären die hinter der persuasiven Bildsprache | |
vermittelten Werte nicht höchst fragwürdig. | |
Während die männlichen Figuren als Ärzte und Universitätsprofessoren | |
arbeiten, [3][sieht man Frauen bei „The Baxters“ fast ausschließlich im | |
häuslich-mütterlichen Raum agieren.] In langhaariger, blumenblusiger | |
Sanftheit gründen sie einen Gemeindekindergarten und schneiden Obst („I’m | |
just passionate about my family“, lautet die Antwort einer der Frauen auf | |
die Frage nach ihrem Beruf. Aha.) Frauen sind hier vor allem feinfühlig, | |
intuitiv, mütterlich. Diese Eigenschaften werden von den Herren der | |
Schöpfung stets gelobt, regelmäßig muss eine zu intensive weibliche | |
Emotionalität allerdings von der Vernunft der Ehemänner gestoppt werden. | |
## Homosexualität und Transidentitäten werden abgelehnt | |
Männer sind nicht nur Familien-, sondern auch Glaubensoberhäupter, nur sie | |
sprechen das Tischgebet, nur sie haben das letzte Wort bei Uneinigkeiten – | |
sanft, aber indiskutabel. Eine für den konservativen Evangelikalismus | |
zentrale Überzeugung der völlig verschiedenen Wesensnatur des Männlichen | |
und Weiblichen tritt hier zutage, wie Thorsten Dietz, Theologieprofessor in | |
Marburg mit Forschungsschwerpunkt Evangelikalismus, erläutert. „Hier sieht | |
man Frauen und Männer als gleichwertig, aber nicht gleichartig. Der Mann | |
gilt als vernünftig und führungsstark, die Frau als emotional und | |
hilfsbereit.“ Da Männer und Frauen füreinander zur Ergänzung bestimmt | |
seien, werden [4][gelebte Homosexualität und Transidentitäten als Aufruhr | |
gegen Gottes Ordnung abgelehnt.] | |
Bedrohungen von außen gibt es bei „The Baxters“ einige: die universitäre | |
Naturwissenschaft, über die der jüngste Sohn auf Abwege gerät, Schwarze | |
Figuren im Gegensatz zur weißen Idylle und immer wieder auch gottlose | |
Frauen aus Scheidungsfamilien. Der Schwarze Schwiegersohn wird von einer | |
Schwarzen Studentin verführt, die den intellektuellen, sinnlichen und damit | |
sündigen Gegenentwurf zur weißen, züchtig angezogenen Weiblichkeit der | |
Baxters darstellt. Da Scheidung nicht infrage kommt, muss besagter | |
Schwarzer Schwiegersohn durch einen Schusswechsel sterben, damit die weiße | |
Tochter endlich den weißen NFL-Footballer heiraten kann. | |
Auf vorehelichen Sex folgt der Tod des Vaters der gefallenen Entjungferten | |
durch einen Amoklauf in der Kirchengemeinde, dem er nicht zum Opfer | |
gefallen wäre, wenn sein Töchterchen ihr Keuschheitsgelübde eingehalten | |
hätte. Der Schwangerschaftsabbruch einer feministischen Umweltschützerin | |
mit Nasenpiercing verläuft lebensgefährlich, Journalisten sind ein weiteres | |
Feindbild der Gottlosigkeit und entweder untreue Alkoholiker oder | |
psychotische Amokläufer. | |
Einem Vietnam-Veteranen dankt man dafür, Amerika befreit zu haben, während | |
Figuren, die das Feindbild der progressiven Linken inklusive sexueller | |
Befreiung und Frauenrechten repräsentieren, das Familienleben gefährden. | |
Man hasst sie nicht, sondern betet für sie. Frauenfeindliche und | |
rassistische Figurenkonstellationen durchziehen die Handlung, außerhalb des | |
Familienesstisches wird es gefährlich für Glaube und Moral. Typisch, so | |
Dietz. | |
## Gemeinschaft kennt klare Grenzen | |
„Das Ziel in diesem antiliberalen Evangelikalismus ist eine sehr | |
harmonische, liebevolle Geborgenheit für alle innerhalb der Gemeinschaft. | |
Die kennt allerdings sehr klare Grenzen. Der Mann führt die Frau, die Frau | |
führt die Kinder. Kindern bringt man bei, dass alle, die nicht gehorchen, | |
im Leben scheitern werden und etwa in Drogensucht abrutschen. Die Welt | |
draußen wird als gottlos und lebensgefährlich wahrgenommen, der absolute | |
Fokus liegt auf dem Familien- und Gemeindeleben. Wer sich anpasst, erfährt | |
viel Zuwendung. Aber wehe denen, die nicht in diese Wertelogik | |
hineinpassen.“ | |
Mit ähnlich didaktischem Hammer geht die Kinderserie „The Wingfeather Saga“ | |
vor, basierend auf den Büchern des christlichen Autors Andrew Peterson. Die | |
Serie ist kostenlos abrufbar auf Angel Studios, einer christlichen | |
Plattform, die auch die christliche Erfolgsserie „The Chosen“ produzierte, | |
und wurde durch Spenden von Christen weltweit finanziert. Erbsünde, immer | |
noch eine zentrale Überzeugung im Evangelikalismus, gibt es in dieser Serie | |
schon für die Kleinsten. | |
Gegen das Böse in sich selbst müssen auch Kinder hier schon ankämpfen und | |
ihre inneren teuflischen Triebe besiegen – nicht unüblich für die häufig | |
noch vormoderne [5][Pädagogik evangelikaler Strömungen,] die auf Züchtigung | |
und Disziplinierung setzt. Die Stammeslogik der eigenen Familie, die | |
Verteidigung der eigenen Blutlinie gegen eine bedrohliche Außenwelt sind | |
zentrale Motive der animierten Serie. | |
## Zuwendung zum Neotribalismus | |
[6][Christliche Momfluencerinnen] weltweit preisen die Serie als eine, die | |
ihre Kinder zu gottgefälligen Menschen erziehe. „Wir sehen hier eine | |
Zuwendung zum Neotribalismus“, so Dietz, „einen Rückzug in den sicheren | |
familiären Raum und die eigene Glaubensgemeinschaft.„Dieses Bedürfnis sei | |
weltweit zu beobachten, gleichzeitig aber eine „Absage an eine moderne, | |
offene Gesellschaft, die Freiheit des Einzelnen ermöglicht und Vielfalt | |
feiern kann. Vor diesem Draußen wird Angst geschürt. Diese Angst spürt man | |
nicht, solange man drinnen bleibt. Die anderen sind hier nicht nur anders, | |
sondern auch gefährlich. Man soll sie bekehren – oder meiden.“ | |
Assoziiert mit Angel Studios ist die Plattform Vid Angel, die allzu | |
Weltliches wie Sex und Schimpfwörter aus herkömmlichen Serien und Filmen | |
herausschneidet, falls das Bedürfnis nach „Grey’s Anatomy“ oder den | |
[7][„Simpsons“] doch zu groß wird. Ins Keusche zensierte „Simpsons“ si… | |
wohl kaum zu ertragen – besser als die „Baxters“ sicherlich jedoch allema… | |
19 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Marie-Sofia Trautmann | |
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